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DEMOKRATIE : Die populistische Revolte

Winkler sieht den westlichen Liberalismus in der Defensive

18.12.2017
2023-08-30T12:32:31.7200Z
2 Min

Die Komplexität der innen-, außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen auf europäischer wie auf globaler Ebene beleuchtet der Historiker Heinrich August Winkler auf herausragende Weise. Der Autor des dreibändigen Standardwerks "Die Geschichte des Westens" begnügt sich in seinem neuesten Buch nicht damit, die Ursachen der Entfremdung und die Fehlentscheidungen der politischen Klasse zu beschreiben. Vielmehr zeigt er Wege auf, die zur Stabilisierung der Lage und zur Normalisierung der Beziehungen führen können. Winkler analysiert mehrere Krisen: Er beginnt mit der "werteorientierten Politik" der Europäischen Union und dem Brexit, es folgen der Zusammenbruch der "Nach-Kalte-Kriegsordnung" durch Russlands Krim-Annexion, der Krieg in der Ost-ukraine und die ersten außenpolitischen Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump. Des Weiteren beschäftigt er sich detailliert mit den politischen Folgen der Fluchtbewegungen, dem Aufstieg des Populismus und der Isolierung Deutschlands auf Grund seiner Flüchtlingspolitik.

"Die liberale Demokratie des Westens ist in der Defensive", stellt Winkler nüchtern fest. Sie werde nicht nur von außen, von autoritären Regimen wie der Volksrepublik China in Frage gestellt, sondern ebenso von innen: So könnten populistische Bewegungen und Parteien mit der Behauptung punkten, sie seien die "wahren Repräsentanten der Demokratie", denn sie allein sprächen für "das Volk". Zugleich profitierten die Populisten von den Problemen, die von den etablierten Parteien verdrängt, beschönigt oder unbefriedigend gelöst würden. Sie nutzten alles, was sich als Abgehobenheit der "politischen Klasse" oder der "Eliten", als Abkopplung der Regierenden von den Regierten, als Entfremdung zwischen "oben" und "unten" deuten lasse.

Zu Recht weist Winkler darauf hin, dass die Krise des Liberalismus und das Aufkommen populistischer Nationalismen nicht nur transeuropäische Phänomene seien; vielmehr würden sie den demokratischen Westen insgesamt betreffen. Die populistische Revolte gegen das repräsentative, demokratische System führt er auf die zunehmende Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung, den weitreichenden Kontrollverzicht der demokratischen Nationalstaaten zugunsten der Finanzmärkte, den Globalisierungsschub und die Internet-Revolution zurück. Insbesondere die Digitalisierung habe es dem aggressiven Populismus erleichtert, mit Desinformationen den benötigten Resonanzboden zu finden.

Der Historiker bezeichnet die repräsentative Demokratie und den Rechtsstaat als die wertvollsten Errungenschaften der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789. Die schwindende Zustimmung für die rechtspopulistischen Parteien in den Niederlanden und in Frankreich habe die inneren Selbstbehauptungskräfte der freiheitlichen, pluralistischen, gewaltenteiligen sowie die Menschen- und Bürgerrechte achtenden Demokratie gestärkt. Nunmehr müssten die EU-Mitglieder ihren Werten treu bleiben und ihre Kräfte bündeln, um Staaten mit autoritären Ordnungsvorstellungen zurückzudrängen.

Der Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft empfiehlt der deutschen Politik, sich nicht "als moralische Lehrnation Europas" zu positionieren. Deutschland könne auf humanitärem Gebiet mehr leisten als andere und sollte es tun. "Über andere sich erheben aber darf Deutschland nicht."