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NSA-Affäre : Als Staatsfrau unbeirrt

Bundeskanzlerin Merkel sagt als Zeugin im Untersuchungsausschuss aus

20.02.2017
2023-08-30T12:32:16.7200Z
4 Min

Eine schwarze Ledermappe mit goldgeprägtem Bundesadler hatte die Zeugin mitgebracht, darin ihre Geschichte. Daten, Dokumente, Zitate, eine halbe Stunde lang referierte sie, nachdem das Geklacker der Fotoapparate verstummt war und der Pulk von Kameraleuten den Sitzungssaal geräumt hatte, wie im Sommer und Herbst 2013 die Snowden-Affäre aus Sicht der Kanzlerin, ihrer eigenen also, verlaufen war.

Auf der Tribüne des Europsaales im Paul-Löbe-Haus waren derweil sämtliche Plätze mit Zuhörern besetzt. Dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) bescherte der Auftritt am vergangenen Donnerstag in der 131., der allerletzten öffentlichen Sitzung, ein Erlebnis, das er in den fast drei Jahren zuvor die meiste Zeit hatte entbehren müssen, das Licht der Öffentlichkeit.

Geschiebe und Beengung vor den Türen. Gezeter eines Herandrängenden, dem wegen drohender Überfüllung zunächst der Zutritt verwehrt zu bleiben schien. Der Wald von Kamerastativen und bereitstehenden Mikrofonen draußen vor dem Saal. Immerhin eine Überraschung, eine einzige, durften die massenhaft erschienenen Medienmenschen notieren, als auf die rituelle Eingangsfrage des Vorsitzenden nach Name und Adresse hin die Zeugin sich vorstellte - als "Angela Dorothea Kasner", mit ihrem Mädchennamen also.

Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatte vor demselben Gremium, wenn auch bei entschieden geringerem Publikumsandrang, zu Beginn der Woche den Tenor vorgegeben, indem er die Snowden-Affäre, die Enthüllung massenhafter Bespitzelung durch die amerikanische National Security Agency (NSA), als Erfahrung einer Vertrauenskrise beschrieben hatte. Im Verhältnis zum Bündnispartner USA, aber auch zu den Bürgern in Deutschland, die sich zu Recht gefragt hätten, ob hierzulande noch deutsche Gesetze zu beachten seien, und wie gegebenenfalls mit ihren eigenen Daten umgegangen werde.

Den Faden dieser Erzählung spann die Zeugin Kasner am Donnerstag weiter: "Dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin plötzlich im Mittelpunkt der Debatte stand, war für mich persönlich nicht die zentrale Frage." Sie war ja, wie sie am 17. Oktober 2013 - so präzise hatte sie sich vorbereitet - vom Regierungssprecher erfuhr, womöglich selber Bespitzelungsopfer gewesen. Dass sich damit die "öffentliche Aufmerksamkeit" auf ihr Handy richtete, war ihr aber, wie sie zu verstehen gab, eher unangenehm. Habe es doch vom eigentlich Wichtigen abgelenkt: "Für mich standen die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt."

Sicherheit und Freiheit Die Staatsfrau, die sich in der Krise vom Klein-Klein nicht beirren ließ, das große Ganze stets im Blick behielt, das war das Bild ihrer selbst, das die Zeugin dem Ausschuss präsentierte. Sie habe durch die Enthüllungen Edward Snowdens eine Grundsatzfrage berührt gesehen, das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit: "Freiheit und Sicherheit stehen seit jeher in einem Spannungsverhältnis. Es muss durch Recht und Gesetz in der Balance gehalten werden."

Sie habe dieses Thema wenige Tage nach Beginn der Affäre mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama bei dessen Besuch in Berlin am 19. Juni 2013 auch persönlich erörtert. Und darauf hingewiesen, dass geheimdienstliche Tätigkeit zur Gefahrenabwehr unverzichtbar, jedoch auch das Gebot der "Verhältnismäßigkeit immer wichtig" sei. Der Staat habe gleichermaßen die Sicherheit wie die Privatsphäre der Bürger zu schützen. Sie sei, gab die Zeugin zu verstehen, ihrer "hohen gesamtgesellschaftlichen Verantwortung" jederzeit gerecht geworden: "Ich habe vom ersten Tag an nicht geschwiegen, sondern ich habe sehr klare politische Vorgaben gemacht."

Diese freilich - Merkels Satz "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" ist mittlerweile ein geflügeltes Wort - sind in sozialdemokratischen und Oppositions-Kreisen des Ausschusses reichlich belästert worden. Seit im Oktober 2015 feststand, dass nicht nur die NSA, sondern auch der BND in beachtlichem Umfang Freunde und Verbündete bespitzelt hatte. Wie konnte sich angesichts dessen die Kanzlerin nur so weit aus dem Fenster lehnen? Hatten ihre sachverständigen Untergebenen in der Abteilung 6 des Amtes sie nicht "ins offene Messer laufen lassen"?

Es war der Grüne Konstantin von Notz, der die Zeugin damit konfrontierte: "Irgendwie fühlte sich das gut an", meinte er, aus dem Mund der Kanzlerin diesen Satz zu hören und sicher zu sein, dass "wir moralisch auf der richtigen Seite" stünden. "Ja, das habe ich auch gedacht", gab die Zeugin zurück. Sie habe "keinen Anlass" gesehen, zu vermuten, "dass der Satz bei uns seitens des BND nicht eingehalten wurde". Darauf sei es aber auch gar nicht angekommen: "Ich habe eine Überzeugung zum Ausdruck gebracht. Sie bedurfte keiner weiteren Verifikation." Im übrigen: "Alles, was wir bisher getan haben, verhilft dieser Überzeugung mehr zum Durchbruch", sagte Merkel.

Dass sie über Einzelheiten nicht im Bilde war, von NSA-Selektoren erst im März 2015, von politisch heiklen BND-Suchmerkmalen ein halbes Jahr später erfuhr, mochte die Zeugin ausdrücklich nicht als Versäumnis bewerten: "Ich fühle mich ausreichend informiert." Dass sie ihren Mitarbeitern vertraue, betonte sie mehrfach. Und auch, dass sie es nicht für hilfreich hält, in die Vergangenheit zu schauen: "Ich bin hoffnungsvoll, dass sich in Zukunft solche Dinge nicht wiederholen werden."