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Finanzausgleich : Der lange Weg zur Einigung

Die föderalen Beziehungen werden neu organisiert. Alle Länder gewinnen, mehr Kompetenzen für den Bund

20.02.2017
2023-08-30T12:32:16.7200Z
7 Min

Der 3. Dezember 2015 war ein historischer Tag. Jedenfalls in der Geschichte der Bund/Länder-Beziehungen. Recht unerwartet gelang es den Ministerpräsidenten der Länder bei einem Treffen in der Bremer Landesvertretung, sich auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Reform des Finanzausgleichs zu einigen. Sie überraschten sich damit selbst. Vor der Gesprächsrunde, die ein wenig turbulent verlief, standen die Signale keineswegs auf Einigung. Vor allem aber überrumpelten sie die Bundesregierung und den Bundestag. Dort war man davon ausgegangen, dass die Länder - gemäß langer Erfahrung - mal wieder nicht einig sein würden. Und dann kam die Nachricht: 16 zu 0.

Die Bundesseite war nicht vorbereitet. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein Staatssekretär Werner Gatzer, zweifellos etwas zermürbt nach den schon fast zwei Jahre laufenden Gesprächen, hatten weder einen echten Gegenvorschlag parat noch eine Liste von Bedingungen, die der Bund, der in dem Ländermodell als Geldgeber vorgesehen war, in die weiteren Verhandlungen hätte einbringen können. Erst mit einigen Wochen Verspätung legte Schäuble ein Papier vor. Die Bundesregierung versuchte, ihre Position zu verbessern, indem sie eine Einigung verzögerte und die parallel laufenden Gespräche über die Finanzierung der Flüchtlingskosten informell mit den Finanzausgleichsverhandlungen verband.

Am 14. Oktober 2016 schließlich machten die Kanzlerin und die Länderchefs den Sack vorläufig zu. Der Bund hatte mittlerweile noch weitere Punkte in das Paket eingebracht, so dass am Ende nach den Worten des baden-württembergischen Bundesratsbeauftragten Volker Ratzmann fast schon eine dritte Föderalismusreform beschlossen wurde - und nicht nur ein neuer Finanzausgleich. In der Tat war in einem Hoppla-hopp-Verfahren viel zusammengekommen, allerdings ohne die gründlicheren Beratungen, welche die beiden Föderalismuskommissionen in den Nullerjahren geprägt hatten.

Wie sich schnell zeigte, war der Kompromiss jedoch nicht belastbar. Nachverhandlungen wurden nötig. In der Nacht zum 9. Dezember 2016 gelang es den Beteiligten in einer weiteren Gipfelrunde im Kanzleramt dann, eine Lösung zu finden, die in Gesetzentwürfe gegossen werden konnte - in den Details freilich weiter umstritten, wie die Stellungnahme aus der vergangenen Sitzung des Bundesrates zeigte: Rund 70 Änderungen schlägt die Länderkammer vor.

Seehofers Wunsch Begonnen hatte alles Jahre zuvor mit dem Wunsch vor allem des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) nach einer Entlastung der Zahlerländer im Länderfinanzausgleich. Dieser Ausgleich ist nach dem Grundgesetz vorgesehen, doch die Entwicklung seit der Reform von 1994, die der Bund mit dem Verzicht auf sieben Umsatzsteuerpunkte ermöglichte, hatte nicht zur Annäherung der Steuerkraft der Länder geführt. Eher im Gegenteil: Das Zahlen war immer mehr eine Sache der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, während das einst starke Nordrhein-Westfalen zurückfiel und der Osten nicht aufholte. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II für die ostdeutschen Länder 2019 drohte ohne Reform ein Finanzausgleich, der die Geberländer noch stärker herangezogen hätte. Die Regierung in München legte eine Klage in Karlsruhe vor, juristisch unterstützt aus Wiesbaden und politisch aus Stuttgart.

Doch war unklar, ob der Gang nach Karlsruhe weit führen würde. Weitaus mehr versprach der Versuch, die Länder in ein Boot zu bekommen, um gemeinsam mit dem Bund oder auch gegen ihn einen neuen Finanzausgleich zu zimmern. Dabei spielte eine Rolle, dass alle Länder ein Interesse hatten, sich zusammenzutun: Die Zahler wollten Entlastung (das Ziel Bayerns: eine Milliarde Euro, was Seehofer am Ende auch erreichte), Nordrhein-Westfalen wollte als Zahlerland erscheinen, die schwächeren westdeutschen Länder hatten wegen der Schuldenbremse mittlerweile leichte Haushaltsprobleme, die Hochschuldenländer, voran Bremen und das Saarland, brauchten noch höhere Fremdhilfen, und der Osten wollte seine Abhängigkeit vom Bundeshaushalt nicht verlängern.

Der Blick aller Ministerpräsidenten richtete sich nach Berlin, das Objekt der Begierde war der "Soli". Der Zuschlag zur Einkommensteuer, allein dem Bund zustehend, diente längst nicht mehr allein der Finanzierung für den Aufbau Ost zwischen Rostock und Dresden. Eine Verlängerung über 2019 hinaus wäre daher nur machbar, wenn man ihn in die Einkommensteuer eingliederte - die Länder und Kommunen wären dann mit 57,5 Prozent beteiligt - eine ordentliche Finanzmasse von elf Milliarden Euro (bezogen auf 2019), mit der eine Neuordnung des Finanzausgleichs machbar wirkte. Im Frühherbst 2014 schien man sich darauf geeinigt zu haben, inklusive einiger Belastungsverschiebungen bei den Kosten der Unterkunft für Sozialhilfeempfänger und der Eingliederungshilfe. So stand es jedenfalls in einem "Non-Paper" von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und dem Hamburger Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), dem Verhandlungsführer der Länder.

Weniger Stufen im Verfahren Statt einem "Heureka" folgte jedoch ein Veto aus dem Kanzleramt, unterstützt von Seehofer, mit der Begründung, die Union wolle den "Soli" schrittweise abschaffen. Die Verhandlungen begannen damit praktisch von vorn. Allerdings war nun der bayerische Ministerpräsident gefordert, seinen Einfluss stärker für eine Lösung im Sinne aller Länder einzusetzen. Er schwenkte auf den Vorschlag der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ein, den bislang zweistufigen Ausgleich der Länder untereinander in einer Stufe zusammenzufassen.

Bislang hat der Bund-Länder-Finanzausgleich vier Stufen. Zuerst erfolgt die Verteilung der Gemeinschaftsteuern zwischen Bund und Ländern, das sind die Einkommens-, Lohn-, Körperschafts-, Umsatz- und Kapitalertragssteuer. Vor allem die Aufteilung der Umsatzsteuer ist ein flexibel genutztes Instrument für Umschichtungen.

Sodann wird in einem zweiten Schritt der Länderanteil der Gemeinschaftsteuern unter den Sechzehn verteilt. Dabei wird mit dem sogenannten Umsatzsteuervorwegaus-gleich bereits ein Teil der Steuerkraftunterschiede austariert. Die dritte Stufe ist der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne und stets umstritten, weil er sichtbar über die Landeshaushalte abgewickelt wird. Geberländer gleichen damit bis zu einem gewissen Grad direkt die schwächere Finanzkraft der Nehmerländer aus. Und am Ende stehen die Bundeszuweisungen vor allem für die schwächeren Länder, ein Instrument der Feinabstimmung. Zwei vertikale Stufen also, am Anfang und am Ende, zwei horizontale Stufen in der Mitte. In der Addition der Stufen zwei und drei war NRW Geber, nicht aber beim Länderfinanzausgleich im engeren Sinne - daher Krafts Wunsch nach Einstufigkeit des horizontalen Ausgleichs.

Seehofer verlangte allerdings aus "optischen" Gründen, den Ausgleich über die Umsatzsatzsteuerverteilung abzuwickeln und nicht über die Länderetats (siehe Seite 1). Die Kollegen willigten ein, der Weg war geebnet zur Einigung der Ministerpräsidenten. Sie sah eine Beteiligung des Bundes in Höhe von etwa 9,5 Milliarden Euro vor. Schäuble wollte eigentlich nur 8,5 Milliarden beisteuern.

Der Ländervorschlag, den der Bundesfinanzminister nicht mehr torpedieren konnte, ist ein politischer Kompromiss, der die von Finanzwissenschaftlern oder Staatsrechtslehrern gewünschte systematische Reinheit nicht ganz erreicht. Aber so schlecht, wie er in manchen Kommentaren dargestellt wurde, ist er nicht. Den Schöpfern kam es vor allem darauf an, 16 Interessen zu vereinen. Zwar gibt es einige willkürliche Elemente wie die neue Bundeszuweisung Forschungsförderung, die vor allem dazu dient, das Pro-Kopf-Ergebnis einiger westdeutscher Länder zu erhöhen. Doch durch die Dreistufigkeit ist er auch ein wenig transparenter. Ein Ende der Ländersolidarität untereinander bedeutet die Reform keineswegs. Der Unterschied zum Status quo besteht darin, dass die Abflüsse aus den Landesetats der "Zahler", letztlich nichts anderes als Durchlaufposten, ersetzt werden durch einen Einnahmeverzicht der stärkeren Länder. Die Verteilungswirkung über die Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung lässt sich auch künftig leicht darstellen.

Kein Solidarpakt III Im Bundestag herrschte während der gesamten Verhandlungen angespanntes Grummeln, denn die Parlamentarier waren in diese reinen Regierungsgespräche nicht eingebunden. Haushaltspolitiker der Koalition wie Eckhardt Rehberg (CDU) oder Carsten Schneider (SPD) forderten stets, die Einigung dürfe nicht zu sehr zu Lasten des Bundeshaushalts gehen. Im Ergebnis ist der Anteil des Bundes am Ausgleichsvolumen zwar gewachsen - von einem Fünftel auf ein Drittel. Allerdings ist praktisch ein Teil der bisherigen Solidarpaktleistungen des Bundes ins allgemeine System integriert wurden. Einen dritten Solidarpakt wollte keine Seite, die Finanzschwäche des Ostens aber bleibt. Dass die Ost-Länder den Kompromiss mittrugen, liegt daran, dass sie vor allem von der an die kommunale Steuerkraft der Kommunen gebundenen Bundeszuweisung profitieren. Diese aber ist strikt regelgebunden - der Osten ist damit nicht am Zügel des Bundesfinanzministers, und darauf kam es den Ost-Ministerpräsidenten an.

Zudem wird der Bund keineswegs mit 9,7 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Die Pressemitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 14. Dezember 2016 selbst macht das deutlich. Dort ist nachzulesen, dass der Betrag auch "die Fortsetzung von bereits heute geltenden bzw. ähnlich geltenden Regelungen" enthalte. So wurden die Entflechtungsmittel in einen Umsatzsteuerfestbetrag umgewandelt, dazu kam eine Fortführung von Bundeszahlungen für den Nahverkehr und die Seehäfen. Die Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland (je 400 Millionen Euro) ersetzen bisherige Konsolidierungshilfen. Viel draufzahlen wird der Bund also nicht.

Mehr Kompetenzen Dafür gestanden die Ministerpräsidenten der Berliner Zentrale einen Kompetenzgewinn zu, dessen Ausmaß überraschte und schon jetzt von einigen Ministerpräsidenten als möglicherweise zu hoch eingeschätzt wird. Zu nennen ist vor allem der Verzicht auf die Zuständigkeit für das Planen und Bauen der Autobahnen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung durch die Verkehrsministerien der Länder und ihre Behörden. Es handelt sich dabei um eines der massivsten Zentralisierungsprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik. Während die Fachminister in den Ländern hartnäckig versuchten, diesen Wunsch des Bundes abzuwenden, gingen die Ministerpräsidenten darauf ein, weil sowohl Schäuble als auch Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) das ganze Paket daran banden. Dazu kamen Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes für Investitionen finanzschwacher Kommunen, was vor allem auf Schulgebäude zielt, Koordinierungsrechte bei der Digitalisierung der Verwaltung und mehr Aufsichtsrechte für den Stabilitätsrat und den Bundesfinanzminister in der Steuerverwaltung. Insgesamt ein Bündel, das der Bund durchaus als großen Gewinn sehen kann.

Der Autor ist Korrespondent in der Hauptstadtredaktion des Tagesspiegels.