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AUSSENPOLITIK : »Null Probleme mit den Nachbarn«

Westbindung und Regionalmachtanspruch

27.02.2017
2023-08-30T12:32:16.7200Z
4 Min

Ein "Albtraum von 360 Grad" sei die türkische Außenpolitik, was der Türkei fehle, sei eigentlich nur noch eine Grenze zu Tschetschenien. Als der langjährigen Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach, in den 1990er Jahren diese Worte wählte, hatte er eine Vielzahl von Krisenherden im Umfeld der Türkei im Blick: Die Nähe zu schwierigen Nachbarn wie dem Iran und dem Irak, Armenien und Aserbaidschan zum Beispiel, daneben aber auch die unterschwelligen historischen Rivalitäten mit Russland, Griechenland und im arabischen Raum sowie historische gewachsene Bindungen zu Turkvölkern bis nach Zentralasien. Für den Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, stand fest, dass es eine imperial ausgreifenden Außenpolitik war, die das Osmanische Reich letztlich überfordert und zu seinem Zusammenbruch geführt habe: "Frieden daheim, Frieden in der Welt", hieß deshalb die Parole - nach außen legte man sich Neutralität auf, um zu Hause den Umbau vom Reich zur Republik voranzutreiben.

"Neo-Osmanismus" Für Ahmet Davutoglu, seit 2009 Außenminister und von 2014 bis 2016 Premierminister der Türkei, ist dieses komplizierte historische und räumliche Beziehungsgeflecht dagegen ganz und gar kein Albtraum. Sein Konzept der "strategischen Tiefe" kehrte die eigentlich brisante geographische Lage der Türkei zu einem Vorteil um. Davutoglu sah sein Land nicht mehr allein an der Seite des "Westens", er stellte es vielmehr selbstbewusst in den Mittelpunkt einer geographischen, politischen, religiös und kulturell durch die Geschichte des Osmanischen Reiches geprägten Großregion zwischen Zentralasien und Nordafrika. Das ließ manche Beobachter bereits von "Neo-Osmanismus" sprechen, zumindest aber einen Bruch mit der kemalistischen Tradition erkennen. Für Davutoglu ging es nach seinen Worten darum, sich stärker dem Nahen Osten, dem Kaukasus und dem Balkan zu widmen und für Sicherheit und Stabilität nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei den Nachbarn zu sorgen. Unter der Maxime "null Probleme mit den Nachbarstaaten" sorgte diese Neuaufstellung der Außenpolitik unter der AKP-Ägide für manche Lockerung: Die Türkei suchte das Gespräch mit den Armeniern, begann Verhandlungen um die Zypern-Frage (siehe Beitrag unten), verbesserte die Beziehungen mit Syrien, dem Libanon, dem Irak - und streckte sogar die Fühler zur kurdischen Regionalregierung im Nordirak aus. Das Gespann aus Staatspräsident Abdullah Gül, Ministerpräsident Erdogan und Davutoglu vermittelte im Libanon, zwischen Israel und Syrien, zwischen Israel und Palästinensern. Auf internationalem Parkett gewann die Türkei an Statur - was sich etwa mit einem Sitz als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat 2009/2010 ausdrückte, aber auch in der Rolle innerhalb der G20 und beim türkischen Engagement etwa in Somalia.

Allerdings stieß diese neue Außenpolitik auch an Grenzen: Mit Israel, mit dessen Armee das türkische Militär traditionelle enge Beziehungen pflegte, kam es zum Zerwürfnis, nachdem Erdogan Israel wegen seiner Rolle im Nahen Osten harsch kritisierte. Zum Eklat kam es um das Schiff Mavi Marmara, das im Mai 2010 die israelische Seeblockade durchbrechen wollte, um Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter in den Gaza-Streifen zu bringen. Die israelische Armee brachte die Schiffe auf, türkische Aktivisten starben.

Im Sommer 2011 reiste Erdogan durch Ägypten, Libyen und Tunesien - nicht nur dort, sondern auch in westlichen Hauptstädten galt die Türkei als muslimisch geprägtes modernes Land mit beeindruckenden Wohlstandsgewinnen als Modell für die Länder des "Arabischen Frühlings". Doch es kam anders: In Ägypten regieren heute nicht mehr die von Erdogan mit Sympathien bedachten Muslimbrüder, sondern Ex-General Abd al-Fattah as-Sisi. In Syrien setzte die Türkei auf sunnitische Kräfte, Kritiker sagen: islamistische Terroristen, die das alevitisch geprägte und vom schiitischen Iran unterstützte Regimes Baschar bekämpfen und trug damit dazu bei, Syrien weiter in die Katastrophe zu treiben. Im Jahre 2016 sagte manch ein Beobachter, dass von Davaitoglus Politik der "null Probleme" jede Menge Probleme, dafür aber "null Freunde" übrig geblieben seien: Die Beziehungen mit Israel waren unterkühlt, die Gespräche mit der EU in der blockierten Beitrittsfrage frustrierend, mit Deutschland lag Ankara im Streit wegen der Armenien-Resolution des Bundestages, mit der USA gestalteten sich die Beziehungen kompliziert in der Frage der Unterstützung der syrischen Kurden. Und schließlich drohte nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets über Syrien durch die türkische Luftwaffe auch noch der Bruch mit Russland (siehe Beitrag links).

Der gescheiterte Putsch vom Sommer 2016 verstellt gelegentlich den Blick darauf, welche Kehrtwendung die regierenden AKP bereits zuvor vollzogen hat - eine Wandel, die sich mit den Rückzug Davutoglus als Premier im Mai bereits angedeutet hatte. Ankara leitete die Normalisierung der Beziehungen zu Israel ein, sendete Signale der Entspannung nach Kairo, Erdogan überbrachte Putin die Entschuldigung für den Abschuss des russischen Kampfjets. Als mancher Beobachter jüngst noch spekulierte, ob mit dem neuen Präsidenten im Weißen Haus die Türkei sich vom Westen und der Nato ab- und Russland und China zuwenden könnte, tauschten der türkische Präsident und Donald Trump Anfang Februar 2017 Freundlichkeiten am Telefon aus. Derzeit sind die beiden Nato-Partner zudem im Gespräch über die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien. Zumindest auf dem Feld der Außenpolitik scheint das Pendel derzeit eher zum alten Prinzip der Westbindung zurückzuschlagen.