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FREIE PRESSE : Erdogan als oberster Zensor

Kritische Medien stehen unter massivem Druck. Der Staatspräsident gilt als »Feind der Pressefreiheit«

27.02.2017
2023-08-30T12:32:17.7200Z
6 Min

Auf der Suche nach der besten Geschichte und dem lustigsten Motiv muss Hakan Bilginer nur den Fernseher einschalten. Denn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist nahezu allgegenwärtig auf den ihm hörigen Kanälen. Die regierungskritischen Sender wurden ohnehin schon meist abgeschaltet. "Erdogan bietet uns sehr viel zum Lachen", schmunzelt Bilginer, Chefredakteur der Online-Satirezeitung "Zaytung". "Er ist ein Weltprovokateur." Als Satirejournalist freue er sich eigentlich über schlechte Nachrichten. Die seien einfacher zu karikieren als gute.

So gesehen könnten die Zeiten kaum erfreulicher sein: Ein Präsident, der als "Journalistenfresser" verspottet wird, ein Referendum zur Ausweitung seiner Macht, der Terror durch Dschihadisten des "Islamischen Staates", die Flüchtlingskrise, die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten des Landes und jeden Tag Dutzende Festnahmen von Erdogan-Kritikern. Mit ihrem eigenen Stil - scharf, schnell, zynisch - nehmen sie sich all dieser Themen an.

Rund 600.000 Facebook-Fans und 100.000 Webseitenaufrufe täglich kann das Satiremedium mittlerweile für sich verbuchen. Fristeten es einst eine mediale Nischenexistenz, ist es heute landesweit bekannt. Es gibt Zaytung-Souvenirs und ein Café in Ankara, das den Namen des Online-Mediums trägt. Durch Werbung wird die mittlerweile vierköpfige Redaktion finanziert, Hunderte Freie liefern Ideen, Texte und Karikaturen.

Bilginer arbeitete noch im IT-Bereich, als er vor sieben Jahren die Idee zu dem Online-Medium hatte. Die heutige Reichweite hatte er sich nie vorstellen können. Denn angefangen hat alles in einer Kneipe, man lebte von Mund-zu-Mund Propaganda, Spaß und dem Ehrgeiz, einem pressefeindlichen System den Spiegel vorzuhalten. "Es gab eine Lücke, und die haben wir erfolgreich geschlossen", sagt der 38-Jährige. Tatsächlich gibt es in der Türkei eine lange Tradition klassischer Satiremagazine. Online war Zaytung aber das erste Medium, das vor allem Erdogan und die AKP-Regierung thematisiert. Bisher habe Ankara noch nicht an die Türen geklopft, aber es kann jeden Moment soweit sein. "Wenn wir ständig an die Folgen unserer Arbeit denken würden, dann könnten wir nicht arbeiten", sagt Bilginer

Eingeschränkte Freiheit Um die Presse- und Meinungsfreiheit war es in der Türkei nie besonders gut bestellt. Als Erdogan 2003 die Macht übernahm, befand sich die Türkei auf Platz 116 der Rangliste für Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG). 2016 ist das Land mittlerweile auf Platz 151 von 180 Staaten abgerutscht. Noch nie war die Situation für kritische Medienschaffende so dramatisch wie im Moment. Wer sich nicht im Sinne des Präsidenten äußert, riskiert seinen Job und seine Freiheit. Es kommt auch zu körperlichen Übergriffen auf Journalisten und Angriffen auf Redaktionen. So werden die Kritiker immer weniger, die Liste der Hofberichterstatter immer länger. Der Kreis unabhängiger, regierungskritischer Medien ist auf die Zeitungen "Cumhuriyet", "Evrensel" oder die Internetzeitungen "T24" und "Diken" geschrumpft.

Für ROG zählt der Staatspräsident deswegen zu den "Feinden der Pressefreiheit". Doch dieser sieht das ganz anders. Die Türkei habe "die freieste Presse der Welt", wiederholt er gebetsmühlenartig. "Das glaubt er tatsächlich", meint Bilginer. Jeder Journalist, der regierungstreu berichte, sei aus Erdogans Sicht ein glücklicher Mensch. "Alle anderen sind für ihn keine Journalisten." Mehr noch: "Erdogan gibt uns Journalisten die Schuld, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verläuft."

Vorauseilender Gehorsam Theoretisch garantiert die türkische Verfassung die Meinungs- und Pressefreiheit. Doch um diese Freiheit einzuschränken, baute Erdogan die Medienaufsichtsbehörde RTÜK (Radyo ve Televizyon Üst Kurulu) von einem Kontrollorgan zur Zensurbehörde um. So ist Erdogan mittlerweile oberster Zensor und Chefredakteur des Landes. Die Zensur hat einen neuen Professionalisierungsgrad erreicht. Sie setzt gezielt auf vorauseilenden Gehorsam durch Einschüchterung. Rund 150 Themen stehen auf einem Index, den die RTÜK regelmäßig an Journalisten verschickt. Wer dennoch über diese Themen berichtet, muss mit Geldstrafen rechnen. Die Begründung lautet meist, entsprechende Nachrichten behinderten Ermittlungen. Unerwünscht ist jegliche direkte oder indirekte Kritik am Staatspräsidenten, seiner Familie oder der AKP sowie politischen Entscheidungen und staatlichen Interaktionen und Institutionen. Von der Regierung eingesetzte Internettrolle sorgen dafür, dass oppositionelle Meinungsäußerer mit Rufmordkampagnen überzogen werden. Doch persönliche Angriffe auf die Urheber von Kritik genügen Erdogan in der Regel nicht. Er geht zielstrebig und systematisch auch gegen Medienunternehmer vor.

Das liegt auch in der Struktur der Medienunternehmen begründet. Viele gehören zu Mischkonzernen, die etwa zusätzlich im Handel mit Versicherungen oder im Baugewerbe aktiv sind. Wer also Geld verdienen will, darf es sich mit Erdogan nicht verscherzen. Eine AKP-freundliche Berichterstattung kann den Weg zu begehrten Staatsaufträgen ebnen.

Prominentes Beispiel hierfür ist die Demirören Holding, die 2011 die einst liberalen Tageszeitungen "Milliyet" und "Vatan" erwarb. Demirören handelt unter anderem mit staatlichem Gas, ist also auf Erdogans Wohlwollen angewiesen. Das zeigt sich deutlich in der Berichterstattung der beiden Blätter. Kritische Journalisten wie der prominente Kolumnist Hasan Cemal mussten gehen. Enge Verbindungen gibt es auch zum Immobilien-Multi, der Albayrak-Gruppe. Sie gibt die stramm islamische Tageszeitung "Yeni Safak" heraus, die Erdogan-Gegnern gelegentlich Gewalt androht. Berat Albayrak ist mit Erdogans Tochter Esra verheiratet, seit November 2015 ist er nicht nur Schwiegersohn, sondern zudem Energieminister.

Die Repressionen gegen Medienschaffende wurden seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli vergangenen Jahres erheblich verschärft. Nach Angaben der unabhängigen Journalistenplattform P24 sind nach dem gescheiterten Putsch 168 Medien und Verlage durch Notstandsdekrete geschlossen worden. Auch ein kurdischsprachiger Kindersender war betroffen. Tausende Journalisten verloren ihren Job, Tausende werden wahlweise wegen Beleidigung des Staatspräsidenten oder angeblicher Unterstützung von Terrororganisationen vor Richter, die von der AKP befördert wurden, gezerrt. Wer es etwa wie Bilginer und sein Team wagt, den Präsidenten zu karikieren, muss mit einer Anklage rechnen. Die linke Tageszeitung Birgün widmet Erdogan deswegen zeitweise eine eigene Rubrik: "Heute in der Präsidentenbeleidigung". Der Präsident ist bekannt für seine Humorlosigkeit. Da wundert es schon nicht mehr, dass im Dezember sogar der Kantinen-Chef der "Cumhuriyet" verhaftet wurde. Senol Buran hatte gesagt, er werde Erdogan keinen Tee servieren, sollte dieser jemals in der Istanbuler Kantine der Zeitung auftauchen. Nun wird wegen Präsidentenbeleidigung gegen ihn ermittelt. Zurzeit sitzen zehn "Cumhuriyet"-Mitarbeiter in Untersuchungshaft, sie wurden wegen Terrorvorwürfen festgenommen. Die "Cumhuriyet" kritisierte Anfang Februar, dass die Verhafteten noch immer auf die Anklageschrift warteten. Sie seien "regelrecht vergessen" worden.

Hunderte von der Regierung ausgestellte Presseausweise wurden annulliert. Außerdem wurden die Reisepässe einer unbestimmten Anzahl Journalisten für ungültig erklärt, die somit das Land nicht verlassen dürfen. Auch Auslandskorrespondenten fürchten um ihre Presseausweise und damit um ihre Arbeitserlaubnis. Nicht wenigen ausländischen Berichterstattern wird die Einreise gleich ganz verweigert.

Journalisten in Haft Mehr als 200 Journalisten sind zumindest vorübergehend festgenommen worden, derzeit sitzen mehr als 100 Journalisten und Medienschaffende laut P24 im Gefängnis. Damit führt die Türkei die Liste der Länder an, in denen die meisten Reporter im Gefängnis sitzen. Aktuell ist unter ihnen auch "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel. Dem deutsch-türkischen Journalisten wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Verneinung vorgeworfen. Er saß zu Redaktionsschluss noch immer in Polizeigewahrsam. Der türkische Justizminister Bekir Bozdag widersprach Anfang Februar der Kritik von Menschenrechtsgruppen. Es seien lediglich 30 Journalisten in Haft, sagte Bozdag.

Auch gegen türkische Journalisten im Exil geht die AKP-Regierung vor. So wurde Ende Januar umgehend das neue regierungskritische Online-Magazin "Özgürüz" gesperrt. Das in Berlin produzierte deutsch-türkische Portal des regierungskritischen Journalisten Can Dündar und des deutschen Recherche-Netzwerks "Correctiv" wurde laut einem Sprecher der Gruppe Turkey Blocks, die Internetzensur in der Türkei überwacht, "zum Schutz der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung" gesperrt. Denn Dündar, der frühere Chefredakteur von "Cumhuriyet", ist in der Türkei wegen der Enthüllung geheimer Waffenlieferungen an islamistische Rebellen in Syrien angeklagt.

Erdogan hatte es sich nicht nehmen lassen, den Journalisten persönlich anzuzeigen. Nach einer ersten Verurteilung im Mai 2016 hatte er in Deutschland Zuflucht gesucht, wo er seitdem arbeitet. Nachdem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) den früheren Chefredakteur eingeladen hatte, beim Neujahrsempfang seines Ministeriums die Festrede zu halten, übermittelte das türkische Außenministerium Deutschland sein "Unbehagen". Der türkische Justizminister zürnte: "Was hat denn Can Dündar Gutes für die Türkei oder die Menschheit getan, dass die Kanzlerin sich dazu entscheidet, ihn in Deutschland unter dem Schutz ihres Justizministers zu empfangen? Im Gegenteil, er wurde gerade hier in der Türkei vor Gericht gestellt und verurteilt." Dündars Antwort darauf auf Twitter: "Ich habe euch enttarnt."

Auch Satirejournalist Bilginer ist beunruhigt. Angesichts der politischen Situation sei ihm gelegentlich doch mehr zum Weinen zumute, "aber der Humor ist hilfreicher dabei, um mit diesem Chaos umzugehen." Täglich werden er und sein Team von Nationalisten beschimpft und bedroht "Wir Journalisten in der Türkei haben keinen Schutz. Wir können jederzeit von AKP-Anhängern oder der Regierung angegriffen werden." Doch aufgeben gilt für ihn nicht: "Zynismus und Humor sind unsere Waffen gegen Angst und Unterdrückung." Cigdem Akyol

Die Autorin arbeitet als Korrespondentin in Istanbul für die österreichische Nachrichtenagentur APA.