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Fall Amri : Eklatante Defizite

Untersuchungsausschuss hört Asylrechtsexperten

23.04.2018
2023-08-30T12:34:27.7200Z
3 Min

Ein Vierteljahrhundert, sein halbes Berufsleben nach eigenen Worten, hat Dieter Amann als Mitarbeiter baden-württembergischer Ausländerbehörden verbracht. Sein Fazit: "Das Asylsystem ist ein Lügensystem, das keinen Bestand haben sollte." Schuld sei die Europäische Union, unter deren Einfluss die deutsche Rechtspraxis in einen undurchschaubaren Wirrwarr, eine "monströse EU-Bürokratie", ausgeartet sei.

Amann lieferte damit gleich zu Beginn der Anhörung des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum "Fall Amri" vergangene Woche die Prise Zündstoff. Unter den acht geladenen Experten saßen drei engagierte Asylanwälte, die die Analyse des von der AfD benannten Sachverständigen so nicht stehen lassen mochten. Gewiss sei das Asylrecht hochkomplex, sagte der Frankfurter Stephan Hocks, doch damit habe die EU nichts zu tun. Es liege an der "enormen Grundrechtsbezogenheit" der Materie. Vereinfachung durch Abbau von Rechten, wie von Amann gewünscht, sei daher kein gangbarer Weg.

Was den Praktikern in den Ausländerbehörden in Wahrheit das Leben schwer mache, sei vielmehr der in jüngster Zeit immer rasantere Wandel der Rechtslage. Der Ulmer Anwalt Thomas Oberhäuser wies darauf hin, dass es seit 2011 nicht weniger als 30 zum Teil sehr wesentliche Änderungen im Aufenthaltsgesetz gegeben habe. Der Berliner Rolf Stahmann bietet ausländerrechtliche Fortbildungen für Juristen an: "Was ich den letzten Kursteilnehmern erklärt habe, ist bei der nächsten Veranstaltung schon nicht mehr gültig."

Es war die erste von drei Anhörungen, mit denen der Untersuchungsausschuss seine öffentliche Tätigkeit aufnimmt. Das Gremium geht der Frage nach, wie es im Dezember 2016 zu dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz kommen konnte, dessen Urheber, der Tunesier Anis Amri, 2015 als Asylbewerber eingereist war und sich auch nach Ablehnung seines Antrages unbehelligt durchs Land bewegte.

Mit der damaligen Rechtslage allein, darüber waren sich die zum Thema "Aufenthalts- und Asylrecht" geladenen Experten weitgehend einig, lässt sich das nicht erklären. Sie hätte den Behörden durchaus Handhaben geboten, Amri frühzeitig zu stoppen. Was der Fall allerdings offenbart habe, seien eklatante "Umsetzungs-" und "Vollzugs"- Defizite. Dass der spätere Attentäter unter 14 Identitäten in verschiedenen Bundesländern unterwegs war, vor allem zwischen Nordrhein-Westfalen, wo er gemeldet war, und Berlin, hatte nach Einschätzung der Expertenrunde damit nicht wenig zu tun.

Warum etwa hat das Bundesinnenministerium die zuständigen Länder nicht angewiesen, gegen Amri als extrem gefährlichen Ausländer eine "Abschiebungsanordnung" zu erlassen? Nach den Worten des Völkerrechtlers Marcel Kau hätte Paragraph 58a des Aufenthaltsgesetzes dazu eine Handhabe geboten. Die zuständigen Landesbehörden hätten jede für sich womöglich nicht über die erforderlichen Informationen verfügt. Aber das Bundesministerium hätte die Erkenntnisse aus NRW und Berlin zusammenfassen und eingreifen können, argumentierte er.

Warum, so wunderte sich Hans-Eckhard Sommer aus dem bayerischen Innenministerium, wurden gegen den Mehrfachstraftäter Amri alle Ermittlungsverfahren eingestellt, und warum kam der Mann nie in Untersuchungshaft? Zuständig waren jeweils unterschiedliche Staatsanwaltschaften, von denen jede einzelne nur ein Bagatelldelikt sah. In der Zusammenschau hätte sich ein anderes Bild ergeben könnten.

Mehr Koordination und Kooperation, nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch der Länder untereinander seien geboten, mahnten die Experten. Er wolle nicht dem Zentralismus das Wort reden, indes: "Der Föderalismus hat im Sicherheitsbereich zumindest die eine oder andere offene Flanke", formulierte Marcel Kau.