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Europa : Erster Schritt zur Einigung

Bundestag diskutiert kontrovers über die Pläne der Kanzlerin zur Reform der Euro-Zone

11.06.2018
2023-08-30T12:34:29.7200Z
4 Min

Sie hat sich viel Zeit gelassen. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) skizzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am vorvergangenen Sonntag ihre Vorstellungen für eine Reform von EU und Eurozone - neun Monate, nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine weitreichenden Ideen in Paris präsentiert hatte. Die lang erwartete Antwort enttäuschte viele. Einen "Balanceakt ohne eigene Visionen" nannte sie die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, hielt der Regierungschefin bei ihrer Befragung vergangene Woche im Bundestag (siehe auch Seite 5) entgegen: "Das ist ein kleiner Schritt für die Union, aber lange kein großer Schritt für Europa." Dass die Kanzlerin ihre Vorhaben zuerst in den Medien präsentierte, kam bei einigen Abgeordneten ebenfalls nicht gut an: "Sie haben eine Antwort auf den französischen Präsidenten gegeben, nicht hier im Bundestag, aber immerhin hinter der Bezahlschranke einer Sonntagszeitung", bemerkte FDP-Chef Christian Lindner bissig.

Auch in Paris war man nicht nur erfreut. Zwar geht Merkel in Sachen Eurozonen-Reform einige Schritte auf Macron zu. Doch im Detail gibt es noch viele Differenzen. So begrüßt Merkel zwar ausdrücklich die Schaffung eines eigenen Budgets für die Eurozone, um wirtschaftliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten auszugleichen und Strukturreformen zu unterstützen. Dieser Investivhaushalt soll ihrem Willen nach aber nur "im unteren zweistelligen Milliardenbereich" liegen und nicht, wie Macron es vorschwebt, mehrere hundert Milliarden Euro umfassen.

Auch im Krisenfall hat Merkel andere Vorstellungen: Wie die EU-Kommission will die Kanzlerin den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWS) umbauen, der weiter langfristige, aber künftig auch kurzlaufende Kredite an Länder in Not vergeben soll. Er soll außerdem mehr Kompetenzen, etwa bei der Haushaltsüberwachung, bekommen, um Notlagen aktiv vorzubeugen. Es bleibe dabei, versicherte sie den Abgeordneten: "Das Prinzip 'Konditionalität gegen Hilfsleistung bei bestimmten Umständen' wird in keiner Weise infrage gestellt." Auch sollen die nationalen Parlamente ihre im ESM verankerten Beteiligungsrechte behalten. Im Bundestag ist die Sorge quer durch alle Fraktionen groß, ein neu zu schaffender EWF könnte das nationale Budgetrecht untergraben.

Doch auch so ist die Kritik an Merkels Plänen groß: "Man kann den Eindruck gewinnen: Hier wird ein Dispokredit in der Eurozone eingerichtet", mutmaßte Christian Lindner mit Blick auf den EWF. Ein Sonderbudget für die Eurozone lehnen die Liberalen ebenfalls ab. Nötige Strukturreformen könnten umgangen und durch "politisch gewollte Konsumausgaben oder zweifelhafte Konjunkturprogramme" ersetzt werden, warnen sie in einem Antrag (19/2535), über den der Bundestag am vergangenen Donnerstag erstmals beriet.

Nach Ansicht der Linksfraktion, die ebenfalls einen Antrag vorgelegt hat (19/2517), würde ein Eurozonen-Budget die wirtschaftliche Desintegration in der EU vorantreiben. Sie fordern eine Abkehr von der "schädlichen Austeritätspolitik" der vergangenen Jahre. Die AfD verlangt in einem Antrag (19/2534) gar "konkrete Pläne zur Abwicklung der Eurozone" und ein Ende der Haftung für die Schulden anderer Euroländer.

Rückendeckung bekam Merkel vor allem von den Grünen sowie von zahlreichen Experten in einer öffentlichen Anhörung des Europaauschusses: Ob EWF oder Stabilisierungsbudget für die EU - in ihrem Antrag (19/2534) ermutigen die Grünen die Bundesregierung, aktiv zu werden und zusammen mit Frankreich eine "starke Reformallianz zu bilden".

Johannes Beermann, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bundesbank betonte im Ausschuss, die EU-Kommission solle dem ESM die Überwachung der nationalen Haushalte und im Krisenfall auch die Verantwortung für die Koordinierung übertragen. Der stellvertretende Forschungsleiter am Jacques Delors Institut, Lucas Guttenberg, zeigte sich überzeugt, dass der ESM, würde er in einen EWF umgewandelt und in Unionsrecht überführt, eine stärkere parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rechnungshof sowie mehr Stabilität ermögliche. Um die Eurozone insgesamt widerstandsfähiger zu machen, müssten jedoch weitere Schritte zur Vollendung der Bankenunion erfolgen, mahnte er. So brauche es eine europäische Einlagensicherung oder mindestens ein Rückversicherungssystem, um klarzustellen, "dass ein Euro in einem europäischen Bankkonto am Ende überall gleich sicher ist."

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, appellierte - auch mit Blick auf die Lage in Italien - grundsätzlich an die Politik, die ab 2010 geschaffene Krisenarchitektur noch nachhaltiger zu gestalten. Eine EU-Einlagensicherung hielt auch er für sinnvoll. Außerdem sollte ein "Schlechtwetterfonds" notleidenden Staaten in Zukunft schnell und kurzfristig helfen.

Erste Weichenstellungen Dass es weitere Reformen braucht, um die EU besser vor Krisen zu wappnen, ist den Hauptakteuren in Europa klar. Auf dem EU-Gipfel Ende Juni in Brüssel steht die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion daher ganz oben auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs. Deutschland und Frankreich wollen bis dahin eine gemeinsame Position erarbeiten - viel Zeit bleibt nicht, zumal im kommenden Frühjahr Europawahlen sind. Die EU-Kommission zeigte sich nach Merkels Aufschlag aber optimistisch, bald zu Entscheidungen zu kommen. Über seinen Sprecher ließ Präsident Jean-Claude Juncker mitteilen, die Ideen der Kanzlerin seien aus Kommissionssicht "ein Parameter für eine Einigung in den wichtigen Fragen".