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SCHIFFFAHRT : Handel unter fremden Flaggen

90 Prozent des gesamten Frachtaufkommens werden heute über die Ozeane verschickt. Das ist gut für das Klima, belastet die Meereswelt aber erheblich

06.08.2018
2023-08-30T12:34:33.7200Z
6 Min

Ob Rohöl, Getreide, Kaffee oder Bananen: Etwa 90 Prozent des globalen Frachtaufkommens werden heute über die Weltmeere verschickt. Der Transport zu Wasser ist im Vergleich zu anderen Verkehrswegen unschlagbar günstig. Rund 52.000 Handelsschiffe sind auf den Ozeanen unterwegs und transportieren rund neun Milliarden Tonnen Güter im Jahr. Laut "Jahresbericht zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland" hat die Welthandelsflotte im Jahr 2017 zusammengenommen eine Tragfähigkeit von rund 1,8 Millionen Tonnen ("Deadwight Tonnage").

Trotz des Siegeszugs der Containerschifffahrt zeigt ein Blick auf die Schiffstypen, dass es nicht fertige Produkte sind, die den Großteil des Welthandels zur See ausmachen, sondern vor allem Rohstoffe und Halberzeugnisse: Bei Rund 54 Prozent aller Handelsschiffe handelte es sich um klassische Stückgut- oder Massengutschiffe, die zum Beispiel Eisenerz, Kohle, Getreide, Phosphat und Bauxit sowie Futter- und Düngemittel transportieren oder Güter in Kisten, Säcken, Ballen, Kartons und Fässern über die Meere bringen. Fast jedes dritte Schiff der Welthandelsflotte ist zudem ein Tanker, nur jedes zehnte ein Containerschiff. Das weltweit bedeutendste einzelne Transportgut ist Rohöl, das nach Angaben des "World Ocean Review"-Berichtes allein etwa ein Viertel der Ladungen aller Seetransporte ausmacht.

Griechenland, Japan und China sind nach wie vor die Länder mit den größten Schiffskapazitäten, Schiffseigner aus diesen drei Ländern kommen zusammen auf rund 45 Prozent der weltweiten Tonnage. Den Reedereien steht es nach dem Internationalen Seerechtsübereinkommen frei, den Flaggenstaat, also das Land, in dessen Schiffsregister das Schiff eingetragen ist und dessen Flagge es führt, zu wählen. Die Schiffseigner nutzen dieses Recht häufiger, um zu sogenannten "Gefälligkeitsflaggen" zu wechseln, also Staaten, in denen Lohnkosten und Steuern deutlich niedriger liegen als in den Industrienationen. Und so kommt es, dass unter der Flagge Panamas mit seinen vier Millionen Einwohnern mehr als zwölf Prozent der Welthandelsflotte fährt, gefolgt von Liberia, China, Indonesien und den Marshallinseln mit jeweils rund sechs Prozent. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCDAT) wurden 2016 drei Viertel der Welthandelsflotte in offenen Registern von Entwicklungsländern geführt.

Ausflaggung Manchen dieser Länder wird vorgeworfen, internationales See- und Schifffahrtsrecht nicht konsequent umzusetzen oder Verstöße gegen Umwelt- und Sicherheitsauflagen weniger streng zu verfolgen. Hinzu kommt der Umstand, dass die Ausflaggung durch Reedereien genutzt wird, um die Lohnkosten zu drücken: Die Internationale Arbeitsorganisation ILO warnt bereits vor Formen der Zwangsarbeit bei den häufig aus China, Indonesien und von den Philippinen stammenden Seeleuten.

Schiffen kann das Recht auf die friedliche Durchfahrt durch das Küstenmeer anderer Staaten nicht verwehrt werden. Grundsätzlich sind Kontrollen und Sanktionen, ob nun arbeitsrechtlich oder umweltrechtlich, gegen ein Schiff erst dann möglich, wenn es einen Hafen anläuft. Es bringt also wenig, wenn ein Land alleine die Messlatte für Sicherheit, Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen in seinem Einflussbereich höher legt. Das geht letztlich nur in der Zusammenarbeit aller 173 Schifffahrt betreibenden Länder innerhalb der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO), die ihr Ziel als "sichere, geschützte und effiziente Schifffahrt auf sauberen Meeren" beschreibt.

Im Laufe ihrer Geschichte konnten im Rahmen der IMO eine ganze Reihe an Übereinkommen und Konventionen etabliert werden, die diesem Ziel gerecht werden und die auf dem "Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe" (MARPOL) aus dem Jahr 1973 fußen.

Die Weltmeere werden durch Schifffahrt teils erheblich belastet, im schlimmsten Fall durch Havarien wie im Falle der Öltanker "Exxon Valdez" vor der Küste Alaskas im Jahre 1989 oder "Prestige" im Jahre 2006 vor der Nordwestküste Spaniens. Problematisch sind zudem Schadstoffe aus Schiffsabgasen, Schiffsabwässer und -abfälle sowie Biozide in Schiffsanstrichen, mit denen die Ansiedlung etwa von Muscheln und Seepocken am Schiffsrumpf verhindert werden soll.

Seit 2003 gelten für alle IMO-Staaten verschärfte Altersgrenzen für Einhüllen-Tanker sowie das Verbot, Rohöl in Tankern mit mehr als 5.000 Tonnen Tragfähigkeit zu transportieren, die keine schützende Zweithülle haben. Eine der größten Herausforderungen bleibt indes der Schadstoffausstoß im Schiffsverkehr: Vor allem Schwefel- und Stickoxide, Rußpartikel sowie das Treibhausgas Kohlendioxid belasten Umwelt, Gesundheit beziehungsweise Klima.

Seeschiffe haben im Vergleich zu allen anderen technischen Transportmitteln zwar die beste CO2-Bilanz. Der Wassertransport benötigt bemessen am Gewicht des Transportgutes wenig Kraftstoff. Allerdings lag der Anteil des Seeverkehrs am CO2-Ausstoß im Jahre 2012 bei immerhin 2,6 Prozent (knapp 940 Millionen Tonnen), und dieser Anteil könnte sich laut IMO-Szenarien mit einer zu erwartenden Zunahme des Seehandels bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr 2012 nahezu verdreifachen.

Ein weiteres Problem stellen Schwefelverbindungen im Schiffskraftstoff dar. Im IMO-Rahmen wurde beschlossen, den heute erlaubten Schwefelanteil von 3,5 Prozent auf 0,5 Prozent zu senken, möglich ist das durch Umrüstung mit Filteranlagen oder durch den Verzicht auf stark schwefelhaltiges Schweröl.

Die Europäische Union hat bereits 2015 den Grenzwert für Nord- und Ostsee und den Ärmelkanal auf 0,1 Prozent gesenkt. Das war möglich, weil das MARPOL-Übereinkommen ausdrücklich die Ausweisung von Emissionssondergebieten erlaubt.

Einen Fortschritt konnte die IMO im vergangenen Jahr vermelden: Mit der Ratifizierung durch Finnland gibt es nunmehr ausreichend Mitgliedsländer für das Inkrafttreten des sogenannten Ballastwasser-Abkommens. Zur Stabilisierung von Schiffen, die keine Ladung führen, wird Hafenwasser in dafür vorgesehene Tanks ein- und am Ankunftshafen ausgeleitet.

Auf diesem Wege gelangen Fische, Muscheln, Algen und Bakterien in fremde Ökosysteme, die sie durch eine mögliche Verdrängung der bisher dort lebenden Arten verändern können. In den kommenden Jahren müssen Schiffe nunmehr mit technischen Vorrichtungen zur Ballastwasserbehandlung umgerüstet werden, möglich ist das zum Beispiel durch mechanische Filter oder durch Biozide.

Fortschritte wie diese sind nicht selbstverständlich, weil sie teils beträchtliche Investitionen für die Schiffe, aber auch zusätzlich in den Frachthäfen weltweit nach sich ziehen können. Denn auch dies gehört zum ganzen Bild: Bis 2017 hat sich die Weltschifffahrt immer noch nicht von Folgen der nach der Finanzkrise 2008 eingetretenen Rezession erholt, noch immer gibt es Überkapazitäten und noch immer liegen die Margen für die Reedereien niedriger als in den Wachstumsjahren nach der Öffnung Chinas seit dem WTO-Beitritt 2001. Die Krise hat auch Auswirkungen auf die Durchsetzung schärferer Umweltauflagen, die häufig für den Neubau von Schiffen gelten. 2016 erhielten nur 118 Schiffswerften Aufträge, die weltweit bestellte Neutonnage war die niedrigste seit 30 Jahren.

Preiskampf Sinkende Frachtraten und Konkurrenzdruck bewirken einen harten Preiskampf in der Schifffahrtsbranche und führen dazu, dass traditional mittelständische Reedereien vom Markt verdrängt werden. "Innovationen wie selbstfahrende Schiffe und die lückenlose Echtzeitüberwachung werden kommen, aber auch der Zwang für die Linienreedereien, deutlich größere Teile der Transportkette als heute selbst abzudecken, auf See und an Land", heißt es in einem Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung. Selbst Unternehmen wie Google und Amazon könnten demnach in Zukunft den Traditionsunternehmen Konkurrenz machen.

Eine weltweit wachsende dezentrale Industrieproduktion mit 3-D-Maschinen dürfte außerdem bewirken, dass künftig weniger Fertigprodukte und mehr Rohstoffe wie Eisenerze zu transportieren sind. Dank großer Datenbestände, die im Logistikgeschäft anfallen, gibt es durch Datenverknüpfung und Datenanalyse andererseits Perspektiven auf neue Geschäftsfelder für Reedereien.

Während sich der Blick der Branche schon auf Technologien des 21. Jahrhunderts richtet, bleiben andere Probleme ungelöst, die eher an die Zustände der Industrialisierung im 19. Jahrhundert denken lassen: Mehr als 1.000 ausgediente Seeschiffe werden pro Jahr verschrottet, meistens in Südasien und häufig auf eine sehr robuste Art: Die Schiffe werden mit hoher Fahrt auf den Strand gefahren und dort von Arbeitern per Hand zerlegt, meistens geschieht das ohne Sicherheits- und Umweltschutzvorkehrungen.

Abhilfe gegen das gefährliche Abwracken soll die Hongkong-Konvention schaffen, die von der IMO 2009 beschlossen worden ist. Unterzeichnet haben bisher nur sechs IMO-Mitglieder, die es zusammen auf gut 20 Prozent der Welthandelstonnage bringen. Mitte Juli hat Bundesregierung ihrerseits den Weg für die Ratifizierung freigemacht. "Der Beitritt Deutschlands soll Signalwirkung für andere Staaten haben, das Übereinkommen ebenfalls zu ratifizieren."