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Offshore : Vor der Küste in kräftiger Brise

Gigantische Windenergieanlagen auf dem offenen Meer haben deutliche Vorteile und viel Entwicklungspotenzial. Doch gibt es auch Hürden für eine positive Entwicklung

06.08.2018
2023-08-30T12:34:33.7200Z
5 Min

Wellen, Wind und Meer - für viele klingt das nach Urlaub: Energie tanken für den Alltag. Manch ein Ingenieur hat dabei indes eine andere Energie im Sinn: die der Naturgewalten. Nutzbar gemacht wird sie etwa von Butendiek, Riffgat oder Nordergründe. Hinter den Namen verbergen sich Energiewandler der besonders imposanten Art: Windkraftanlagen auf See. Bis zu 100 Kilometer vor der Küste liegend sind von Land aus nur wenige zu sehen. Bis zu 160 Meter hoch ragen die Naben über den Meeresspiegel, bis zu 50 Meter darunter sind die Anlagen im Meeresboden verankert. 80 Meter lange Flügel drehen sich kontinuierlich im kräftigen Wind - 2017 lieferten sie an 363 von 365 Tagen Strom.

Grundlastfähig "Genau das macht Offshore-Windkraft so attraktiv", sagt Andreas Wellbrock, Geschäftsführer des Branchenverbandes WAB. "Der Wind weht kräftiger und beständiger als an Land, es können größere Anlagen gebaut werden. Damit wird die Windkraft grundlastfähig und trägt erheblich zur Versorgungssicherheit bei." Die sonst bei Windkraft üblichen Unsicherheiten - weht der Wind, wenn man Strom braucht - sind hier vernachlässigbar.

Diese Einschätzung bestätigen Forscher vom Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in ihrer Studie "Energiewirtschaftliche Bedeutung der Offshore-Windenergie für die Energiewende" (Update 2017 der Studie von 2013). Darin kommen sie zu dem Schluss, dass die Energiewende einen starken Zubau der Offshore-Windenergie erfordert, gegebenenfalls über die bisher anvisierten Grenzen hinweg: "Vorausgesetzt, dass alle aus heutiger Sicht nutzbaren Flächen in Nord- und Ostsee bebaut werden, können insgesamt rund 57.000 MW Offshore-Windleistung installiert werden, die rund 263 Terawattstunden Jahresenergieeintrag liefern." Das entspräche etwa 40 Prozent des privaten Stromkonsums in Deutschland 2016.

Seit 2013 ist der Ausbau fortgeschritten. Weltweit waren Ende 2017 rund 18.200 Megawatt (MW) in Betrieb, überwiegend in Europa mit etwa 15.600 MW. Ende Juni 2018 speisten in Deutschland 1.169 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von 5.387 MW Strom ins Netz. Damit ließe sich rund ein Achtel aller deutschen Privathaushalte versorgen. Fünf Projekte mit einer Leistung von weiteren 1.944 MW befinden sich im Bau. Mit knapp 17,5 Terawattstunden kamen 2017 17,3 Prozent des in Deutschland generierten Windstromes vom Meer und damit 2,8 Prozent der gesamten Stromversorgung. Davon kamen rund 92 Prozent von der Nordsee. Aber auch in der Ostsee stehen Windparks.

Allesamt sind sie technische Meisterleistungen. Denn die Bedingungen, unter denen die Anlagen installiert und betrieben werden, fordern erheblich mehr Aufwand als an Land: die hohen Windgeschwindigkeiten, der starke Wellengang, die Verankerung der Fundamente in erheblichen Tiefen unter der Meeresoberfläche und die salzhaltige Umgebung, die besonders korrosionsresistente Materialien erfordert. "Hier hat es seit Inbetriebnahme der ersten Windparks Alpha Ventus, der 2010 45 Kilometer vor der Insel Borkum ans Netz ging, eine steile Lernkurve gegeben", betont Wellbrock. Und die Forschung geht weiter.

Da ist zum einen der Aufbau, für den es mittlerweile Spezialschiffe der dritten Generation gibt, mit denen die riesigen Teile transportiert und montiert werden. Die Stahlfundamente werden zunehmend als ein 1.000-Tonnen-Pfeiler ausgeführt und nicht mehr aus dreien zusammengesetzt. Das spart auch Platz am Meeresgrund. Für Anlagen auf hoher See oder vor steilen Küsten werden zurzeit zum Beispiel von Norwegen und Japan schwimmende Verankerungen aus Beton erprobt. Das würde auch die Kosten erheblich senken, denn die Anlagen könnten schon an Land in weiten Teilen zusammengebaut werden.

Leitwarte an Land Auch die Standortplanung hat sich verbessert: Mit Simulations-Software können die Wind- und Meeresbodenverhältnisse genauer vorhergesagt werden, ebenso der Einfluss, den die Windräder hinsichtlich Strömung aufeinander haben. Die Digitalisierung hilft auch, Betrieb und Wartung der Anlagen zu verbessern - ein wesentlicher Kostenfaktor. Mittlerweile lassen sich von einer Leitwarte an Land viele Betriebsparameter überwachen und der kostspielige Einsatz von Technikern vor Ort minimieren und optimieren.

Die Anlagen selbst sind viel größer geworden, eine wichtige Entwicklung, damit sich die hohen Investitionskosten überhaupt rechnen können. Waren die Generatoren von Alpha Ventus mit seetauglichen fünf Megawatt hinsichtlich Materialien und Größe schon eine Pionierleistung, liefert ein Offshore-Windrad mittlerweile eine elektrische Leistung von acht Megawatt. Zehn Megawatt sind in der Entwicklung und innerhalb der nächsten zehn Jahre erwarten die Hersteller 15-Megawatt-Anlagen. Noch weiter in die Zukunft reicht das EU-Projekt EcoSwing, in dem zurzeit ein 3,6 MW-Generator mit supraleitenden Spulen entwickelt wird. Der Vorteil wäre eine Gewichtseinsparung von 40 Prozent gegenüber heutigen Generatoren, die mehr als 200 Tonnen wiegen.

Mit den Generatoren wachsen auch die Flügel, wodurch auch dort die Materialien belastbarer und zugleich leichter werden müssen. Künftig wird vermehrt auf Verbundwerkstoffe aus Kohlefaser statt aus Glasfaser gesetzt. Auf dem Festland stehen hallengroße Teststände, in denen etwa die mechanischen und aerodynamischen Eigenschaften der riesigen Rotorblätter vermessen werden. Deren Form wird mit Simulationen optimiert, um den Wind möglichst gut auszunutzen und möglichst wenig Lärm zu erzeugen.

Lärm, der insbesondere beim Bau der Anlagen durch das Einrammen der Verankerung in den Meeresboden entsteht, war ein wichtiger Kritikpunkt von Umweltschützern, ebenso wie der Eingriff an sich in diesen sensiblen Lebensraum. Studien am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung zeigten indes, dass letzterer auch positive Auswirkungen haben kann. So erholten sich in den Gebieten Fischbestände, weil kein Fang stattfindet, und unter Wasser entstehen künstliche Riffstrukturen, die einen neuen Lebensraum bieten.

Noch sehen die Experten die Offshore-Entwicklung in Deutschland positiv. Das zeige sich auch in den Ergebnissen der letzten Ausschreibung für neue Anlagen, so Wellbrock: Zwei Gebote verzichteten ganz auf die EEG-Umlage, wollen ihren See-Strom also zu Börsenpreisen verkaufen. "Das ist ein Zeichen für Vertrauen in die Technologie und ihre Fortentwicklung."

Zwei Hürden Doch die Stimmung in der Branche ist nicht ungetrübt. Im Gegenteil. Die Experten sehen zwei wesentliche Hürden: Zum einen den Stromtransport. Hier zeigen sich die Versäumnisse der vergangenen Jahre beim Netzausbau. Und zum anderen die in den vergangenen Jahren von der Bundesregierung abgesenkten Offshore-Ausbauziele des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Demnach ist bis 2020 eine Kapazität von 7,7 Gigawatt (GW) möglich, bis 2030 von 15 GW. Dagegen fordert die Branche mindestens 20 GW bis 2030 und 30 GW bis 2035. "Ohne das Schaufenster Heimatmarkt müssen wir in Deutschland um unsere Technologieführerschaft fürchten", sagt Wellbrock. Zunehmend wanderten Firmen nach Taiwan und Japan ab. Auch in den USA sei man an der Technologie interessiert - nicht aus Klimaschutzgründen, sondern weil man darin eine Zukunftstechnologie sehe.