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MANDATE : Von Pristina bis Bamako

Die Bundeswehr ist an elf bewaffneten Auslandseinsätzen mit derzeit rund 3.500 Soldaten beteiligt

20.08.2018
2023-08-30T12:34:33.7200Z
4 Min

Die Bedenken sind erheblich und machen auch vor den die Regierung tragenden Parteien CDU, CSU und SPD nicht halt: Als der Bundestag im Dezember 2015 erstmals beschloss, die Bundeswehr als Teil einer internationalen Koalition gegen den "Islamischen Staat" in Syrien einzusetzen, gab es Zweifel, ob es für diesen Einsatz völker- und verfassungsrechtlich eine tragfähige Grundlage geben könnte. Vor allem Vertreter von Grünen und Linken monierten damals, dass die Bundeswehr ohne klares UN-Mandat in einer "Koalition der Willigen" agieren solle. Die Kriterien, nach denen deutsche Streitkräfte außerhalb des Nato-Bündnisgebietes eingesetzt werden können, hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 12. Juli 1994 formuliert. Demnach kann sich Deutschland gemäß Artikel 24 des Grundgesetzes Systemen kollektiver Sicherheit anschließen und sich daraus ergebende Pflichten wie militärische Einsätze "out of area", also außerhalb der eigenen Landes- und Bündnisgrenzen übernehmen. Das heißt, dass die Bundeswehreinsätze zwingend in einen multilateralen Handlungsrahmen eingebunden sein müssen, also unter einem Mandat der Vereinten Nationen, der EU oder im Rahmen der Nato.

Das Urteil fiel damals in eine Zeit des Umbruchs: Das gerade wiedervereinigte und viel mit sich selbst beschäftigte Deutschland brauchte einige Zeit, um sich darauf einzustellen, dass sich die globale Sicherheitslage in Europa und der Welt massiv verändert hatten und Partner und Verbündete nun einen größeren Beitrag der Deutschen zu bewaffneten Friedensmissionen einforderten. Das Ende des Kalten Krieges in Europa wurde zu einer Zäsur für die Truppe, die sich fortan in ihrem Auftrag und mehr und mehr auch im Selbstverständnis von einer Verteidigungs- zu einer Einsatzarmee gewandelt hat.

Personaleinsatz Heute befinden sich knapp 3.500 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in insgesamt elf bewaffneten Auslandseinsätzen, für die ein Bundestagsbeschluss vorliegen muss, die meisten von ihnen in Afghanistan, Mali, Syrien/Irak und im Kosovo. Seit Anfang der 1990er Jahre war die Truppe an mehr als 50 Auslandseinsätzen beteiligt. 108 Soldaten und eine Soldatin kamen dabei ums Leben, mehr als die Hälfte von ihnen in Afghanistan. Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums verursachten die Auslandseinsätze bis August 2017 Zusatzausgaben von fast 21 Milliarden Euro. Der höchste Personaleinsatz wurde im Juni 2002 mit mehr als 10.000 ins Ausland entsandten Soldaten erreicht.

Schon der erste einschneidende Einsatz war heftig umstritten: Als die Bundeswehr 1999 an Nato-Operation "Allied Force" gegen Jugoslawien im Rahmen des Kosovokrieges teilnahm, geriet die damals frisch gewählte rot-grüne Bundesregierung rasch in Erklärungsnot. Sie konnte letztlich nur mit dem Rechtfertigungskonstrukt einer "humanitären Intervention" argumentieren, mit der Warnung nämlich, dass ohne dieses militärische Eingreifen ein Völkermord an den Kosovo-Albanern zu befürchten sei. Der damalig Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sprach gar von einem "neuen Auschwitz". Kritiker aber haben die Begründung einer "humanitären Intervention" nicht geteilt und die Nato-Intervention völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bewertet. Im Gegensatz zur KFOR-Mission zur Stabilisierung des Kosovo, an der die Bundeswehr seit 1999 teilnimmt, hat kein UN-Mandat für einen bewaffneten Einsatz vorgelegen.

Neben Kampfeinsätzen wie anfangs im Kosovo und Afghanistan stehen heute Überwachungseinsätze wie die Einsätze im Mittelmeer (Sea Guardian, UNIFIL vor der Küste Libanons, Atalanta am Horn von Afrika) und zunehmend Ausbildungsmissionen wie in Mali und Irak im Mittelpunkt. Unter dem Stichwort "Ertüchtigung" sollen regionale Akteure in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit zu sorgen. Die Institutionen von Staaten sowie Organisationen, die als Stabilitätsanker in unsicheren Weltregionen dienen können, sollen ausgebildet und befähigt werden, ein sichereres Umfeld zu schaffen. Allerdings birgt diese sogenannte Ertüchtigungsinitiative auch Risiken, erst recht, wenn mit ihr Rüstungsexporte in Krisengebiete verbunden sind: So wurde der Bundesregierung im Falle des der EUTM-Somalia-Mission vorgeworfen, dass überhaupt nicht klar sei, wem die durch Bundeswehrfachkräfte ausgebildeten somalischen Soldaten im Anschluss eigentlich dienen, wenn die somalische Armee nicht einmal in der Lage ist, den Sold zu bezahlen. Und im Falle der Ausbildung und Ausrüstung der kurdischen Peschmerga im Irak im Kampf gegen den "Islamistischen Staat" warnten Kritiker, dass man mit dem bewährten Grundsatz breche, keine Waffen in Spannungs- und Krisengebiete zu liefern und damit letztlich womöglich Konfliktparteien ertüchtige, Streitigkeiten militärisch und auf eigene Faust zu lösen.

Für die Bundeswehr bedeutete der Wandel von der Verteidigungs- zur Einatzarmee viel mehr als "nur" die Umstellung von Ausbildung und Ausrüstung. Für die Soldaten sind mit Blick auf Auslandsentsendungen über die Jahre neben dem Parlamentsbetiligungsgesetz (siehe Beitrag Seite 4 unten) eine Reihe von Gesetzen geschaffen oder angepasst worden. Soldaten, die beim Auslandseinsatz verletzt worden sind, im Todesfall auch Hinterbliebenen, stehen nach dem Soldatenversorgungsgesetz und dem Einsatzversorgungsgesetz staatliche Leistungen zu. Nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz haben Soldaten außerdem Anspruch auf eine Schutzzeit, in der sie weder versetzt noch aus der Bundeswehr entlassen werden dürfen. Bei schweren Beeinträchtigungen gibt es außerdem einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bei der Bundeswehr oder im öffentlichen Dienst.

Auch die Einsatzerfahrung der Rückkehrer rückte mit den Jahren immer mehr in den Vordergrund und führte schließlich zu der Frage, welcher Platz und welche Anerkennung ihnen als "Veteranen" zuzuerkennen sei. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) lieferte 2013 eine Beschreibung: Veteran oder Veteranin sei, "wer ehrenhaft aus dem aktiven Dienst in der Bundeswehr ausgeschieden ist und als Angehöriger der Bundeswehr im Ausland an mindestens einem Einsatz oder einer besonderen Verwendung im Rahmen von humanitären, friedenserhaltenden oder friedensschaffenden Maßnahmen teilgenommen hat". Seit Anfang der 1990er Jahre waren mehrere Hunderttausende Soldatinnen und Soldaten an Auslandseinsätzen beteiligt.

Gedenken Um der Gefallenen zu gedenken, bestehen in den Einsatzländern Ehrenmale der Bundeswehr, deren Teilstreitkräfte außerdemin Koblenz, Laboe und Fürstenfeldbrück Ehrenmale pflegen. Beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam gibt es zudem den Wald der Erinnerung vor allem als Ort privater Erinnerung für Angehörige von gefallen Bundeswehrsoldaten. Und in Berlin wurde 2009 ein zentrales Ehrenmal eingeweiht, das der über 3.200 Angehörigen der Bundeswehr gedenkt, die seit Gründung 1955 im Dienst ihr Leben verloren haben.