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Gleichberechtigung : Die Kriegerinnen

Soldatinnen machen inzwischen Karriere, doch Vorbehalte in der Truppe bleiben bestehen

20.08.2018
2023-08-30T12:34:33.7200Z
6 Min

Auf den ersten Blick ist unklar, was den blauen Bordparka der Marine, der hier in Dresden in einer Vitrine im Militärhistorischen Museum gezeigt wird, museal bedeutsam macht. Schließlich tragen viele Soldatinnen und Soldaten genauso einen, ohne dass das Kleidungsstück in einem Glaskasten landet und mit einer Hinweistafel versehen wird. Doch der in der Elbstadt ausgestellte Parka ist Teil einer besonderen Geschichte, die von einem tiefgreifenden Wandel der Bundeswehr erzählt: der Öffnung der deutschen Armee für Frauen.

Getragen hat den Parka Ende März 2016 Korvettenkapitän Inka von Puttkamer. Die Soldatin übergab damals in Kiel das Kommando über den Minenjäger "Homburg" an Kapitänleutnant Anna Prehn. Während Prehn bei der Kommandoübergabe im klassischen Dienstanzug antrat, trug von Puttkamer den bequemeren Parka. Denn die scheidende Kommandantin war schwanger. Die Kommandoübergabe von Frau zu Frau war eine Premiere für die Marine. Für von Puttkamer nicht die erste: Im Juni 2013 hatten sie und Kapitänleutnant Helena Linder-Jeß als erste Frauen überhaupt das Kommando über Boote der Marine übernommen. Von Puttkamers eigentlich unscheinbarer Parka fügt sich so in ein sehr modernes Bild einer Armee, in der Frauen ganz selbstverständlich nicht nur führen, sondern - Stichwort: Vereinbarkeit - auch Familien gründen können. Für die Bundeswehr sind die Laufbahnen von Frauen wie von Puttkamer, Linder-Jeß oder Prehn Meilensteine auf dem Weg zur Gleichberechtigung und Ausdruck einer neuen Normalität. Dahinter stehen enorme Integrationsanstrengungen in den vergangenen Jahren - und auch künftig wird wohl noch viel Einsatz erforderlich sein.

Warum die Integration von Frauen in die Männerbastion Armee schwierig ist, das lässt sich in der sehenswerten Dresdener Ausstellung "Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg - Weiblicher Frieden?" erkunden, die weit über das Soldatentum hinausgeht und historisch-kulturelle Zusammenhänge zwischen Macht, Geschlecht und Gewalt auslotet. Frauen galten etwa lange schlicht als Gegenstück zum männlichen Krieger und weder körperlich noch vom Naturell her als für das Handwerk des Tötens geschaffen. Die Vorstellung einer mit Waffe dienenden Frau löste Abwehrreaktionen aus: Noch 1975 führte der CSU-Abgeordnete und spätere Wehrbeauftragte Alfred Biehle im Bundestag das sexistische und von der Wehrmachts-Propaganda geprägte Feindbild des "'Flintenweibes' östlicher Prägung" argumentativ ins Feld, um vor einer Öffnung der Truppe zu warnen.

Die stand damals allerdings gar nicht zur Debatte. Durften Frauen seit Mitte der 1970er Jahre im Sanitätsoffiziersdienst dienen und seit 1991 in allen Laufbahnen des Sanitäts- und Militärmusikdienstes Karriere machen, stehen ihnen erst seit 2001 alle Laufbahnen und der Dienst an der Waffe offen. Deutschland war damit Nato-weit ein Nachzügler - und freiwillig geschah es auch nicht. Tanja Kreil, deren Bewerbung 1996 als Soldatin abgelehnt worden war, erkämpfte sich den Zugang zur Truppe gerichtlich. Der Europäische Gerichtshof entschied vier Jahre später, dass der im Artikel 12a Grundgesetz normierte Ausschluss von Frauen vom Dienst an der Waffe - und damit aus fast allen Teilen der Bundeswehr - gegen das gemeinschaftsrechtliche Gebot der beruflichen Gleichstellung verstoße. Die deutsche Politik fügte sich: Im Januar 2001 zogen die ersten 244 Frauen zum freiwilligen Dienst in die Kasernen ein, Kreil selbst hatte da schon ihre Bewerbung zurückgezogen.

Inzwischen dienen 21.310 Frauen in der Bundeswehr, das entspricht einem Anteil von rund 11,9 Prozent. Damit verfehlt die Truppe bisher die selbstgesteckten Ziele: Weder im Sanitätsdienst (rund 40,2 statt 50 Prozent) noch in den übrigen Truppenteilen (8 statt 15 Prozent) sind die Quoten erreicht, wie auch der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) in seinem jüngsten Bericht (19/700) festhielt. In Frankreich, Kanada und die USA liegt der Frauenanteil bei mehr als 15 Prozent.

Integrationsprobleme Die Bundeswehr war eine zutiefst männliche Organisation, Institutionen, Normen und Vorstellungwelten entsprechend geprägt. Dass die Integration von Frauen nicht ohne Probleme ablaufen konnte, ist aus der Perspektive der Geschlechter- und Organisationsforschung zu erwarten gewesen und wenig verwunderlich. Die Soziologin Orna Sasson-Levy hatte 2003 in einer Arbeit über Frauen in der israelischen Armee beispielsweise festgestellt, dass Soldatinnen dort vor allem versuchten, sich dem männlichen Habitus anzupassen, wenn sie in vormals männlich-konnotierte Positionen rückten. Zwar gilt in Israel seit 1949 eine allgemeine Wehrpflicht, die Einsatzmöglichkeiten für Frauen waren aber über Jahrzehnte eingeschränkt. Mit der Anpassung, so beobachtete es Sasson-Levy, ginge zudem einher, dass sich die Soldatinnen von klassischen Vorstellungen von Weiblichkeit abgrenzten und erlebte sexuelle Belästigung trivialisierten.

Bezogen auf die Bundeswehr stellte eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), die zuletzt 2014 erschien und auf Daten einer Befragung von 2011 basierte, ebenfalls fest, dass Soldatinnen mehrheitlich auf "eine Strategie der Anpassung an die dominante (männliche) Organisationskultur" setzten, Sicht- und Verhaltensweisen der dominanten Gruppe übernähmen und sich von der eigenen Gruppe abgrenzten. Die Ergebnisse der Befragung zeigten zudem ein "Bemühen um Normalisierung" auf Seiten der Soldatinnen. So sank im Vergleich zu einer Befragung von 2005 der Anteil der Frauen, der angab, dass sie selbst beziehungsweise Frauen im Allgemein wegen ihres Frau-Seins aufgezogen wurden. Auch dass Frauen mehr Unterstützung erhielten oder in der Einheit von Männern besser behandelt werden, gaben Soldatinnen 2011 weniger an als 2005. "Integrationsbereitschaft und der Leistungswille" der Soldatinnen seien weiterhin hoch, stellte die Studie fest.

Kritischer sah es bei den Soldaten aus: Ihnen attestierte die Studie ein "überaus sensibles Gerechtigkeitsempfinden" sowie eine "Eintrübung" des Integrationsklimas gegenüber 2005. So befanden beispielsweise rund sechs von zehn Männern, dass Frauen bessere Karrierechancen hätten. Knapp die Hälfte der Soldaten nahm zudem an, dass von Frauen weniger erwartet wird und sie zu positiv beurteilt werden. Ganz allgemein glaubten 57 Prozent, dass die Integration der Frauen die Bundeswehr zum Schlechteren verändert hat. Dem stimmten nur sechs Prozent der Soldatinnen zu.

Die Sorge der befragten Männer, Frauen würden ihnen gegenüber bevorzugt, scheint der Wehrbeauftragte allerdings nicht zu teilen. Bartels mahnt in seinem jüngsten Bericht vielmehr an, Frauen in Führungspositionen unter den Offizieren und Unteroffizieren zu stärken und festgestellte Ungerechtigkeiten zuungunsten der Soldatinnen bei den beförderungsrelevanten Entwicklungsprognosen abzubauen. Auch an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine Herausforderung sowohl für Soldatinnen und Soldaten, müsse gearbeitet werden. Denn Mängel in diesem Bereich - wie auch "antiquierte Verhaltensweisen" - hielten Soldatinnen davon ab, Berufssoldatin zu werden, schreibt Bartels.

Belästigung Auch sexuelle Belästigung ist in der Bundeswehr für Frauen ein erhebliches Problem. In der ZMSBw-Studie gaben 55 Prozent der befragten Soldatinnen und zwölf Prozent der Männer an, eine Form sexueller Belästigung erfahren zu haben. Fast jede zweite Frau hatte mindestens einmal Belästigung in Form von Witzen oder Sprüchen sexuellen Inhalts erlebt. Fast jede vierte befragte Soldatin gab an, mindestens einmal unerwünscht und sexuell bestimmt körperlich berührt worden zu sein, bei den Männern waren es drei Prozent. Als Betroffene einer sexuellen Nötigung beziehungsweise einer Vergewaltigung gaben sich drei Prozent der Frauen zu erkennen. Übergriffe dieser Art gaben auch Männer an, allerdings in geringerem Umfang. Die Belästigungen und Übergriffe gingen laut Studie überwiegend, aber nicht nur von Soldaten aus.

Im jüngsten Wehrbericht wird neben 70 Hinweisen in Eingaben ein sprunghafter Anstieg der "Meldepflichtigen Ereignisse" in diesem Bereich verzeichnet: 167 Soldaten sowie fünf Soldatinnen wurden sexuelle Belästigungen innerhalb der Truppe vorgeworfen, in 19 Fällen handelte es sich um Vergewaltigungen und entsprechende Versuche. Ob es sich dabei tatsächlich um eine starke Zunahme der Ereignisse oder eine "erhöhte Sensibilisierung" handelt, lasse sich nur schwer sagen. Und es könnte auch nur die Spitze vom Eisberg sein: "Betroffene tun sich aus Sorge, berufliche oder persönliche Nachteile zu erleiden, nach wie vor schwer damit, Belästigungen anzuzeigen", schreibt der Wehrbeauftragte.

Um Frauen innerhalb der Truppe zu stärken, fordert Bartels unter anderem in seinem Wehrbericht, Soldatinnen und ihre Werdegänge stärker sichtbar zu machen. In eine ähnliche, wenngleich symbolträchtigere Richtung ging jüngst auch ein Vorschlag von Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU) in der Wochenzeitung "Die Zeit". Er schlug vor, eine Kaserne nach der Soldatin Friederike Krüger (1789-1848) zu benennen. Es wäre eine Premiere. Krüger kämpfte zwischen 1813 und 1815 in den sogenannten Freiheitskriegen gegen das napoleonische Frankreich, wurde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse dekoriert und zum Unteroffizier befördert. Ihre Militärkarriere begann sie allerdings zunächst als Mann unter dem Namen August Lübeck verkleidet. Ihre Tarnung flog auf, Kameraden und Vorgesetzte deckten sie, bis es ihr König Friedrich Wilhelm III. offiziell erlaubte, weiterzukämpfen. Nach der Niederlage Frankreichs schied Krüger aus dem Dienst aus - und stellte die traditionelle Geschlechterordnung wieder her: Sie heiratete einen preußischen Unteroffizier und gebar mehrere Kinder - quasi auf Befehl, hatte ihr der König anlässlich der Vermählung geschrieben, sie solle sich "als Ehefrau ebenso rühmlich wie im Militärdienst verhalten". Sören Christian Reimer

Die Ausstellung "Gewalt und Geschlecht" im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (https://www.mhmbw.de) in Dresden läuft noch bis 30. Oktober 2018.