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beschaffung : Mehr als Mängel

Das Rüstungsmanagement soll effizienter und transparenter werden

20.08.2018
2023-08-30T12:34:34.7200Z
6 Min

Das Verteidigungsministerium ist in der Zukunft der Rüstungsbeschaffung angekommen. Zumindest auf seiner Homepage. Dort findet sich ein Comic-Video, stilistisch irgendwo zwischen Kindernachrichtensendung und Energy-Drink-Werbung. Es zeigt, wie aus dem Wunsch des jungen Soldaten Niko nach einem neuen Panzer ein hochmodernes Waffensystem wird, geradlinig und wohlgeordnet, erklärt in drei Minuten. Am Ende erscheint ein Panzer mit einer dicken Schleife neben dem Soldaten. "Niko ist zufrieden", wirbt der Sprecher vollmundig am Ende. Seine Kameradinnen und Kameraden seien für die kommenden Aufgaben "gut gerüstet." Soweit die Theorie. In der Praxis sähe es wohl eher so aus, dass Nikos Sohn den Panzer in Empfang nehmen würde - für den Fall, dass eine ausreichende Zahl in seinem Bataillon verfügbar wäre. Das Gerät, das vielleicht seinen Vater zufrieden gestellt hätte, würde ihm schon wieder veraltet vorkommen. Es wäre viel teurer als geplant geworden und würde unter Kinderkrankheiten leiden.

Mangelhaft Kaum eine Woche vergeht, in der nicht neue Hiobsbotschaften aus der Bundeswehr in die Öffentlichkeit gelangen. Betroffen sind Hauptwaffensysteme aller Teilstreitkräfte, bis hin zur persönlichen Ausrüstung der Soldaten. Fast jede Meldung müsste in einer tadellos funktionierenden Armee die Alarmglocken schrillen lassen: Wenn, wie Ende 2017, kein deutsches U-Boot mehr seetauglich ist. Wenn zwischenzeitlich keiner der 14 neuen A400 M Militärtransporter mehr abheben kann. Wenn nur noch 40 Prozent der Fregatten und Kampfpanzer einsatzfähig sind. Wenn es in rauen Mengen an Winterkleidung und Nachtsichtgeräten für Soldaten fehlt. Wenn neue Rüstungsprojekte sich schon wieder zu verzögern drohen - oder ein Schlag ins Wasser werden. So wie zuletzt beim Eurofighter. Mitte Juli machte Deutschlands modernstes Kampfflugzeug wieder einmal von sich reden: 13 Jahre nach seiner Einführung sollte er 2018 endlich auch als Jagdbomber einsetzbar sein. Doch dann stellte sich heraus, dass die mit viel Geld und Aufwand eigens für ihn entwickelten Bomben und Raketen nicht parallel an dem Flugzeug montiert werden können. Statt für einen Gegner könnten sie für den Piloten selbst gefährlich werden. Das Kampfflugzeug ist ohnehin ein Sorgenkind der Bundeswehr. Ursprünglich in den 1980er Jahren als "Jäger 90" für den Luft-Luftkampf entwickelt, durchlief er Jahrzehnte der Entwicklung, in denen immer neue Anforderungen an ihn gestellt wurden. Mit mehr als 15 Milliarden Euro Gesamtkosten ist er inzwischen viermal teurer als geplant. Und in seiner Einsatzfähigkeit dennoch deutlich eingeschränkt.

Trendwende Die Krise im Beschaffungswesen der Bundeswehr ist chronisch. Das weiß auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt, 2014, beauftragte sie externe Gutachter damit, den Ist-Zustand zu analysieren. Sie zeichneten ein desaströses Bild. Von der Leyen reagierte, wie sie es bei allen Großbaustellen der Bundeswehr bislang tat. Sie rief eine Trendwende aus. Die von ihrem Ministerium ausgearbeitete "Agenda Rüstung" soll den Weg zu einem modernen Beschaffungswesen weisen. So, wie es in dem Comic-Video zu sehen ist. Mit ihr soll die Bundeswehr rüstungspolitisch wieder auf einen klaren Kurs zusteuern. Das Rüstungsmanagement soll effizienter werden. Über den Fortgang bei großen Projekten berichtet das Verteidigungsministerium inzwischen ungefähr alle sechs Monate dem Parlament. So detailliert wie nie zuvor. Fähigkeitslücken sollen verschwinden, Mängel an der Einsatzbereitschaft behoben und zudem Strategien für zukünftige Technologien und Projekte entwickelt werden.

Das Verteidigungsministerium zeigt sich mit den Fortschritten in den drei Jahren der Agenda zufrieden. "Wesentliche Ziele wurden erreicht", heißt es in der Internetpräsenz des Bendlerblocks. Der Dialog zwischen Ministerium und Industrie sei neu strukturiert, die Erwartungen an die Industrie "klar artikuliert" worden. Zudem wurde das Vertragsmanagement modernisiert und ein "einheitliches Risikomanagement" eingeführt. "Wichtige Rüstungs-Großprojekte unterliegen somit in jeder Phase einer kontinuierlichen fachlichen Kontrolle." Dechiffriert man die unternehmerisch-ministerielle Sprache, bliebt dies übrig: Es werden inzwischen wieder vernünftige Gespräche mit den richtigen Leuten geführt. Auftragnehmern sagt die Bundeswehr klar, was sie will. Und die eigenen Fachleute kontrollieren kontinuierlich, ob sie es auch bekommen werden.

Aufgeräumt, wie sie es sich zum Ziel gesetzt hat, hat Ursula von der Leyen mit Hilfe dieser Fortschritte im Beschaffungswesen noch nicht. Offenbar hat ihr Ministerium bislang noch alle Hände voll damit zu tun, dass die Probleme bei den Rüstungsprojekten nicht noch weiterwachsen. Bei der Vorstellung des jüngsten Rüstungsberichts im März diesen Jahres hob das Verteidigungsministerium hervor, dass sich der teils dramatische Zeitverzug bei wichtigen Rüstungsvorhaben im Schnitt "nur" um zwei weitere Monate verschlimmert habe. Zudem seien in der abgelaufenen Legislaturperiode 31 Milliarden Euro für Beschaffungen geplant und beschlossen worden. Das sei ein "substantieller Schritt nach vorn."

Bewährungsprobe Die Einschätzung des Ministeriums wird nicht überall geteilt. "Die Materiallage bleibt dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter geworden", resümierte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD) schon Wochen vorher bei der Vorstellung seines jüngsten Jahresberichts. Die Kritik von Fachpolitikern der Opposition ist noch deutlicher. "Von der Leyen hat sicher für mehr Transparenz gesorgt", sagt Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen. "Aber bislang hat sie noch nicht den Beweis erbracht, dass sie es bei neuen Großprojekten besser macht." Ob die Beschaffungsorganisation inzwischen tatsächlich besser aufgestellt sei, werde sich erst beim Mehrzweckkampfschiff 180 und dem Flugabwehrraketensystem Meads zeigen. Bei den laufenden Projekten jedenfalls sei davon noch nichts zu sehen.

Von der Leyen verweist in ihren Reden inzwischen regelmäßig auf den Spar- und Verkleinerungskurs sowie die etlichen Reformen der letzten 25 Jahre. Die Tatsache soll erklären, warum die Situation auf den Kasernenhöfen noch nicht so rosig ist wie in dem Comicvideo auf der Ministeriums-Homepage. Dabei weiß sie, dass eine erfolgreiche Reform des Beschaffungsvorhabens nicht nur an Transparenz und neuen Organisationsstrukturen hängt. Es geht um Geld, viel Geld. 130 Milliarden Euro, so beziffert ihr Haus, wären bis 2030 nötig, um die Bundeswehr wieder voll einsatzfähig zu bekommen - und zu modernisieren. Eine Summe, die ihr Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bislang nicht zugesteht. Die Widerstände in seiner Partei dagegen sind groß, außer unter ihren Verteidigungspolitikern. Auch ist unsicher, ob das Geld sich überhaupt sinnvoll verwenden ließe. Die rüstungsindustrielle Basis ist europaweit zusammengeschmolzen. Kurzfristige Abhilfe ist kaum in Sicht.

Womit wir zu den Panzern zurückkehren. Spätestens seit Russlands Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine 2014 ist in der Nato die Verteidigung der Nato-Ostflanke wieder in den Fokus gerückt. Das russische Heer verfügt mit dem T-90 und mehr noch künftig mit dem T-14 Armata über Kampfpanzer, denen die Bundeswehr nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Der 40 Jahre alte Leopard 2, einer der besten Kampfpanzer der Welt, ist am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten angelangt. Egal ob automatisches Ladesystem, adäquate Panzerung oder moderne Informationstechnik mit hohem Datenaustausch - es fehlt an allem. Überlegungen zu einem Nachfolgesystem laufen seit sechs Jahren. Öffentlich geworden sind bis heute weder Fähigkeiten noch Profile eines solchen Panzers - oder eines anderen Systems.

Zusammenarbeit Erschwerend kommt hinzu, dass ein neuer Panzer ebenso wie viele andere neue Projekte multinational entwickelt und beschafft werden sollen. Das wird sich auch durch die Agenda Rüstung nicht ändern und führt angesichts von Sonderwünschen und umfangreichen Abstimmungsabläufen zu immensen Zeitverlusten. Nicht ohne Grund deutet der jüngste Rüstungsbericht des Verteidigungsministeriums an, dass sich dieses Phänomen bei neuen internationalen Beschaffungsvorhaben wiederholen könne.

Wie stark sich am Ende der von Verteidigungsministerin von der Leyen ausgerufenen Trendwende das Beschaffungswesen der Bundeswehr tatsächlich verbessert hat, ist heute noch völlig offen. Das wissen offenbar auch die Öffentlichkeitsarbeiter des Verteidigungsministeriums. Unter dem Comic-Video steht ein Hinweis. Der Beitrag richte sich nicht an Insider der Rüstungsbeschaffung, sondern an die allgemeine interessierte Öffentlichkeit. Der hier gezeigte Prozess sei "stark verkürzt" und "nur schematisch dargestellt". Man hätte auch eine andere Zuschreibung wählen können: "Idealtypisch" zum Beispiel. Oder "beschönigend."

Der Autor ist politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.