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ArbeitSMARKT : »Menschen brauchen Sicherheit für die Zeit nach der Bundeswehr«

Nur mit Perspektiven für das anschließende Berufsleben kann die Bundeswehr punkten, sagt Jürgen Görlich, Vize-Vorsitzender des BundeswehrVerbands

20.08.2018
2023-08-30T12:34:34.7200Z
4 Min

Herr Görlich, warum sollte ich mich als junger Mensch oder als Fachkraft bei der Bundeswehr bewerben wollen?

Aus meiner Sicht ist die Bundeswehr durchaus ein attraktiver Arbeitgeber. Allerdings wäre der Deutsche BundeswehrVerband ein schlechter Interessensverband, wenn wir nicht auf Verbesserungspotenziale eingingen. Die Bundeswehr bietet einer großen Anzahl von Menschen einen sicheren und interessanten Arbeitsplatz. Die ständigen Veränderungsmöglichkeiten, die finanzielle Vergütung und nicht zuletzt das Miteinander sind aus meiner Sicht - bei aller berechtigten Kritik - einzigartig.

Trotzdem stottert die Bundeswehr beim Ziel, die Zahl der Soldaten von derzeit 179.000 auf 198.000 anzuheben. Warum?

Neben dem demographischen Faktor vor allem deshalb, weil es an Sicherheiten für die Zeit nach der Bundeswehr fehlt. Die Bundeswehr muss sich mit anderen Sicherheitsberufen messen. Beim Zoll oder bei der Polizei haben die Menschen den Vorteil, dass sie einen Arbeitsplatz auf Lebenszeit und mit entsprechender Sicherheit erhalten. Bei der Bundeswehr verpflichtet man sich in der Regel für eine Spanne zwischen vier und 25 Jahren. Man muss deshalb die Menschen so absichern, dass sie bei Verlassen der Bundeswehr Rücklagen gebildet und eine berufliche Perspektive haben. Die jungen Menschen fragen: Wie lange darf ich bleiben? Was für Möglichkeiten habe ich? Und da ist die Bundeswehr nicht so gut aufgestellt wie etwa die Polizei.

Wäre es eine Option, aus der Bundeswehr eine Berufsarmee zu machen?

Wir beim Deutschen BundeswehrVerband verfolgen ein anderes Konzept. Zum Berufsbild des Soldaten gehört es, auch in den Einsatz zu gehen. Das heißt, Sie brauchen Menschen, die körperlich fit und einsatzfähig sind. Die Bundeswehr braucht eine junge Struktur, deswegen ist diese Mischung aus Zeit- und Berufssoldaten überhaupt erst eingeführt worden. Was deshalb gar nicht geht, ist eine pauschale Anhebung der Altersgrenzen, wie sie derzeit im Ministerium diskutiert wird. Wir haben deshalb das Versorgungsmodell "BS-Vario" in die Diskussion gebracht. Es sieht im Prinzip vor, dass man Zeitsoldaten schon früher quasi den Status von Berufssoldaten verleiht und vor allem eine vergleichbare Versorgung im Alter und nach einer schweren Verwundung mitgibt. Die entscheidende Frage ist: Wie sichert man den Soldaten so ab, dass er nach der Zeit bei uns keine Nachteile hat? Um einen flexiblen Personalkörper zu ermöglichen, soll es auch hierbei flexible Verpflichtungszeiten geben, aber im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Soldat und Personalführung.

Welche Resonanz erhalten Sie auf diese Forderungen?

Wir stehen im engen Austausch mit dem Verteidigungsministerium und mit Parlamentariern. Allerdings sind dicke Bretter zu bohren, weil es sich um einen kompletten Paradigmenwechsel handelt. Wir leben ja im Moment von den Zeitsoldaten. Das passiert alles nicht von heute auf morgen, da muss im Ministerium auch erst einmal die Einsicht wachsen.

Wenn ein junger Mensch zur Bundeswehr geht, denkt er nicht unbedingt an die Rente, sondern vielleicht eher an Rahmenbedingungen wie die ständige Bereitschaft zu pendeln.

Ich glaube, das ist nicht mehr nur in der Bundeswehr so, das gehört zum modernen Berufsalltag. Eher ist es die Planungssicherheit, die entscheidend ist: Wer dem Wechsel an einen neuen Standort zustimmt, möchte die Perspektive haben, sich dort etwas aufbauen zu können. Deshalb fordern wir, dass ein Karriereaufbau auch innerhalb einer Region, ohne ständigen Wechsel möglich ist. Dazu gehört die finanzielle Unterstützung, um stabile Strukturen in Familien aufrecht erhalten zu können. Die Zeiten, in denen man Menschen alle drei Jahre versetzen konnte, sind vorbei, weil auch die Lebenspartner Berufe ausüben.

Die Gesellschaft ist auch individueller geworden, mehr auf Selbstverwirklichung ausgerichtet. Wie wirkt sich das auf den Alltag in der Bundeswehr aus?

Ein Wandel der Gesellschaft ist natürlich auch ein Wandel der Bundeswehr. Das war schon immer so. Ich glaube nur, dass sich die Bundeswehr nun ganz anders um die Menschen kümmern muss, die zu uns kommen sollen. Früher gab es die Wehrpflicht, der Nachwuchs war automatisch da. Die jungen Menschen bekamen einen Einblick und konnten sich überlegen, ob sie bleiben wollen. Die Wehrpflicht war unsere beste Werbung. Heute braucht die Bundeswehr eine andere Außendarstellung, sie muss aktiv auf Menschen zugehen.

Haben Sie es da schwerer als andere Berufe?

Ja, das kann man so sagen. Weil der Beruf als Soldat fordernd ist. Man muss bereit sein, sein Leben zu riskieren. Das müssen Polizisten zwar auch, und davor habe ich auch hohen Respekt. Aber ein Einsatz in einem Land wie Mali zum Beispiel unterscheidet sich von der Gefährdungslage, aber auch schon klimatisch und von der Distanz zur Heimat deutlich. Hinzu kommen die Strapazen der langen Trennungen von der Familie. Alleine schon deshalb fordern wir auch einen Ausnahmetatbestandszuschlag, der immer dann gezahlt wird, wenn sich der Soldat außerhalb des Grundbetriebs befindet.

Wie hat sich die Situation für Frauen entwickelt?

Auf dem Papier stehen ihnen alle Türen offen. Eigentlich funktioniert das auch, nur in manchen Bereichen braucht es noch Zeit, um Frauen auf allen Ebenen zu integrieren. Es braucht Zeit, Fördermöglichkeiten zu entwickeln. Dass es in Einzelfällen zu Schwierigkeiten kommt, hört und liest man immer wieder. Das ist allerdings bei anderen Arbeitgebern ähnlich.

Wie ist es um die Qualifizierung von Bewerbern bestellt?

Das Heer möchte jetzt aktiver in die Sportausbildung investieren. Das ist ein Zeichen dafür, dass die körperliche Belastbarkeit beim Nachwuchs geringer ist als früher,. Bei den anderen Anforderungen stellen wir weniger Veränderungen fest. Klar ist aber auch: Im Moment gibt es auf eine Stelle statistisch betrachtet etwa zweieinhalb Bewerber. Früher waren es etwa fünf. Die Auswahlmöglichkeiten sind damit geringer. Die Bundeswehr muss deshalb dringend die Defizite bei Personal, Ausrüstung und Infrastruktur aufarbeiten, um attraktiver zu werden.

Jürgen Görlich ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbands. Der Oberstabsfeldwebel a.D. arbeitet seit 1983 bei der Bundeswehr.