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FALL AMRI : Ein unerschütterlicher Zeuge

Verfassungsschützer bestreitet vor dem Untersuchungsausschuss Überwachung des späteren Attentäters

01.10.2018
2023-08-30T12:34:35.7200Z
3 Min

Es war fast aufs Datum genau einen Monat nach dem islamistischen Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, als der Innenausschuss des Bundestages Klarheit darüber suchte, was über den Attentäter Anis Amri womöglich schon beim Verfassungsschutz bekannt gewesen war. Vor den Abgeordneten saß ein Referatsleiter aus der für die Erforschung radikalislamischer Bestrebungen zuständigen Abteilung 6 des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und gab eine ernüchternde Auskunft: Amri sei ein "Polizeisachverhalt" gewesen, mit dem sich seine Behörde "nur am Rande" befasst habe. Immerhin wusste der Mann noch zu berichten, dass es in der Moabiter Fussilet-Moschee, wo Amri 2016 ein und aus gegangen war, einen Informanten des Verfassungsschutzes gegeben hatte.

Feiner Unterschied Vergangene Woche saß Gilbert Siebertz, mittlerweile Referatsgruppenleiter, aber noch immer für die Bekämpfung radikalislamischer Umtriebe zuständig, erneut einem parlamentarischen Gremium gegenüber. Diesmal dem Untersuchungsausschuss, der die Hintergründe des Attentats im Dezember 2016 und insbesondere mögliche Fehlleistungen von Bundesbehörden ausleuchten soll. Von der Rolle des Verfassungsschutzes ist seither immer wieder die Rede gewesen.

Zunächst hatten die Grünen in einer Kleinen Anfrage wissen wollen, ob die Behörde im "Umfeld" Amris einen V-Mann geführt habe, und zur Antwort erhalten, dies sei nicht der Fall gewesen. Als ein Jahr später die FDP dieselbe Frage erneut stellte, lautete die Auskunft, im "engeren Umfeld" habe es keinen Informanten gegeben. Der feine Unterschied zwischen einem "Umfeld" und einem "engeren Umfeld" und ob in Amris Fall die Fussilet-Moschee nicht doch der letzteren Kategorie zuzurechnen war, liefert bis heute Debattenstoff und beschäftigte in seiner jüngsten Sitzung auch wieder den Untersuchungsausschuss.

Mitte September hatten die Abgeordneten von einer Untergebenen des Zeugen Siebertz noch weitere Neuigkeiten erfahren. Bereits seit Januar 2016 habe der Verfassungsschutz eine Personenakte über Amri geführt und diesen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht. Also doch kein reiner "Polizeisachverhalt"?

Ein Mann wie Siebertz, das wurde bei seinem Auftritt deutlich, ist von all dem nicht zu erschüttern: "Ich bleibe dabei." Was er Anfang 2017 dem Innenausschuss berichtet habe, treffe nach wie vor in allen Punkten zu: "Wir hatten keine eigenen Erkenntnisse zu der Person." Für Amri seien 2016 die Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen und Berlin "federführend" zuständig gewesen. Man habe annehmen können, dass der Mann "von der Polizei so umfassend bearbeitet wurde, dass nicht noch von unserer Seite zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren". Ohnehin habe der Verfassungsschutz "zu keinem Zeitpunkt" Erkenntnisse gewonnen, die über den Informationsstand der Polizei hinausgegangen wären.

Nicht minder entschieden bestritt der Zeuge, dass seine Behörde Amri mit nachrichtendienstlichen Mitteln "überwacht" habe, wie die Abgeordneten der Aussage seiner Mitarbeiterin entnommen zu haben glaubten. Richtig sei, dass im Februar und März 2016 mehreren "geigneten Quellen", also V-Leuten im radikalislamischen Milieu, Fotografien vorgelegt worden seien, auf denen Amri zu sehen war. Allerdings habe ihn keiner der Befragten erkannt.

Richtig sei auch, dass der Verfassungsschutz, freilich bis zuletzt ohne Erfolg, V-Leute im Milieu beautragt habe, Amris Aufenthaltsort zu ermitteln und "näher an ihn heranzurücken". Mit weiteren nachrichtendienstlichen Mitteln habe seine Behörde den Tunesier nicht traktiert, schon gar nicht ihn mit solchen Mitteln "überwacht", jedenfalls nicht nach seiner Definition, betonte der Zeuge und holte zum besseren Verständnis der Abgeordneten zu einem terminologischen Exkurs aus. Werde eine Person aufgrund einer ersten Information in der Datenbank des Verfassungsschutzes registriert, wie es Amri im Januar 2016 geschah, so heiße das in der Fachsprache "nachrichtendienstliche Beobachtung". Von "Überwachung" mit nachrichtendienstlichen Mitteln hätte nur dann die Rede sein können, wenn der Verfassungsschutz Amri offensiv ausgespäht hätte. Doch das sei ja - siehe oben - Sache der Polizei gewesen.

Unerschütterlich Nimmt es da wunder, dass Siebertz auch an der Einschätzung festhielt, es habe in Amris Nähe keinen Informanten des Verfassungsschutzes gegeben? Ungeachtet des Einwandes, den der Grüne Konstantin von Notz vortrug, die Fusssilet-Moschee, wo Amri als Vorbeter auftrat, religiöse Unterweisungen erteilte, öfters übernachtete, und der Verfassungsschutz eingestandendermaßen eine Quelle führte, sei doch wohl nahe genug gewesen. "Nach meinem Verständnis wurden im Umfeld von Amri keine V-Leute eingesetzt", lautete einmal mehr die unerschütterliche Auskunft.