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amri-ausschuss : »Geheimdienstarbeit ist auch Glückssache«

Zeuge schildert Härten des Einsatzes

22.10.2018
2023-08-30T12:34:36.7200Z
3 Min

Wer, wenn nicht dieser Zeuge? Wer sonst sollte in der Lage sein, die üble Nachrede auszuräumen, die hässlichen Verdächtigungen, die die Rolle des Verfassungsschutzes in der Affäre Anis Amri umwabern, als der Mann, der sich vergangene Woche im Amri-Untersuchungsausschuss mit dem Tarnnamen "Thilo Bork" und den Worten vorstellte: "Ich kann sagen, dass ich schon meine zu wissen, wovon ich spreche, weil ich weiß, wie es draußen zugeht."

"Draußen" ist der Zeuge Bork vier Jahre lang unterwegs gewesen, "auf der Straße" als Quellenführer im Dienst der für "Islamismus und islamistischen Terrorismus" zuständigen Abteilung 6 des Bundesamtes für Verfassungsschutz. In derselben Abteilung ist er später zum Referatsleiter aufgestiegen und führt seit 2015 eine Referatsgruppe für "Beschaffung", mit anderen Worten, Einsatz und Betreuung von V-Leuten im radikalislamischen Milieu. So einer, mag man sich im Bundesamt gedacht haben, ist der richtige Mann, um ahnungslose Abgeordnete und übelwollende Medien über die Härten des Geheimdienstalltags aufzuklären.

Ist nicht seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 die Rede davon, der Verfassungsschutz habe damals womöglich mehr über den Attentäter Amri gewusst oder wissen können, als er heute zugeben möge? Ist nicht mittlerweile der Präsident des Bundesamtes über die Klinge gesprungen, gewiss aus einem anderen Grund, aber doch auch begleitet von dem Vorwurf, Hans-Georg Maaßen habe die Öffentlichkeit über die Rolle seiner Behörde in der Affäre angelogen? Hatte er nicht immer behauptet, Amri sei ein "reiner Polizeifall" gewesen, und es habe im "Umfeld" des Täters keine Quelle gegeben?

Komplexe Umstände So begann der Zeuge Bork mit einem einleitenden Vortrag. Nicht allein aus eigenem Entschluss, wie er auf Nachfrage einräumte. Sein Dienstvorgesetzter habe ihm dazu geraten, und - "wenn Sie's genau wissen wollen" - auch seine Frau. Ihm selber war es indes ebenfalls ein Anliegen, ein interessiertes Publikum mit den komplexen Umständen des Einsatzes von V-Leuten vertraut zu machen und mit dem nachrichtendienstlichen Begriff des "Umfeldes".

Es sei ja nicht so, dass sich "jeden Tag eine geeignete Quelle findet", im Gegenteil: "Es kommt leider nicht allzu häufig vor." Die rechtlichen Hürden seien hoch. Wer nicht voll geschäftsfähig sei, sich in einem Aussteigerprogramm befinde, seinen Lebensunterhalt mit den Einkünften aus der Spitzeltätigkeit bestreiten müsse, "steuernden Einfluss" auf "verfassungsschutzrelevante Bestrebungen" habe, also Gruppen, die der Beobachtung unterlägen, wer schließlich eine nicht wenigstens zur Bewährung ausgesetzte Vorstrafe aufweise, komme als Informant von vornherein nicht in Frage.

Nicht, dass der Zeuge gegen die Einschränkungen seines Wirkens irgendetwas einzuwenden hätte: "Ich bin von den rechtlichen Grundlagen überzeugt, denn ich arbeite für die Erhaltung unseres Rechtsstaates. Die Verfassung, die ich schütze, setzt mir richtigerweise den Rahmen." Soviel zur Rechtstreue des Nachrichtendienstes.

Zum Begriff des "Umfeldes" führte der Zeuge aus, dieser sei "nicht objektbezogen, sondern personenbezogen". Das bedeute: Selbst wenn sich eine Quelle in einem Objekt aufhalte, sei nicht gesagt, dass sie mit allen dort verkehrenden Personen Kontakt habe. Oder mit anderen Worten: Dass der Verfassungsschutz eingestandenermaßen über einen Informanten in der Moabiter Fussilet-Moschee verfügte, die für Amri so etwas wie ein zweites Zuhause war, macht die Behauptung, es habe in dessen "Umfeld" keinen V-Mann gegeben, nicht zu einer Lüge.

Keine Hinweise Und so lautete das Fazit Borks: "Im Fall Amri war es uns leider nicht möglich, den Anschlag zu verhindern, denn es gab keine Quelle im Umfeld des Täters. In anderen Fällen gelingt uns das sehr wohl." Geheimdienstarbeit sei zu einem Gutteil auch Glückssache, und das Glück habe hier gefehlt: "Wenn wir jetzt so tun, dass wir zum damaligen Zeitpunkt alles hätten wissen können, was wir jetzt wissen, setzen wir aufs falsche Pferd." Das war das entscheidende Argument, das der Zeuge mehrfach wiederholte. Amri sei, bevor er seinen Anschlag verübte, für den Verfassungsschutz nur "eine Person unter sehr vielen" islamistischen Gefährdern gewesen, absolut "kein Ausnahmefall".

Seine Referatsgruppe, sagte Bork, habe im Jahr "mit einer mittleren dreistelligen Zahl von Gefährdungssachverhalten" zu tun. Der Gefährder Amri habe nichts erkennen lassen, "was über das normale Maß hinausging". Ja, hätte man geahnt, dass er ein Attentat im Sinn hatte: "Aber wir wussten es nicht, und ich komme zum entscheidenden Punkt: Wir konnten es auch nicht wissen."