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Rente : Stabile Aussichten

Das Gesetzespaket der Bundesregierung sorgt für erhitzte Gemüter. Die Regierung rechtfertigt die Kosten mit der Sicherung des sozialen Zusammenhalts

12.11.2018
2023-08-30T12:34:37.7200Z
3 Min

Dass sich die Grünen so nach dem Wirtschaftsflügel der Union sehnen? Wer hätte das gedacht? Aber Markus Kurth, Rentenexperte der Grünen im Bundestag, sah sich angesichts der neuerlichen Rentenreformen der Bundesregierung offenbar dazu gezwungen, eine Vermisstenanzeige aufzugeben: "Die Mütterrente II ist viel teurer als die Rente mit 63. Aber man hört nichts dazu vom Wirtschaftsflügel der Union. Gar nichts", empörte sich Kurth. Wie er, so kritisierte vor allem auch die FDP-Fraktion, dass die Leistungsausweitungen in den kommenden Jahren viele Milliarden Euro verursachen werden, die aus Sicht beider Fraktionen nicht gedeckt sind. Doch deren Widerstand konnte es nicht verhindern: Nach einem heftigen Schlagabtausch über das Wesen des Sozialstaates votierten in einer namentlichen Abstimmung 362 Abgeordnete in der vergangenen Woche für den Gesetzentwurf (19/4668; 19/5412), 222 stimmten dagegen und 60 enthielten sich. Keine Mehrheit fanden dagegen ein Entschließungsantrag der Grünen (19/5601) und Anträge von AfD-Fraktion (19/4843) und der Linken (19/29; 19/31; 19/5526).

Damit ist der Weg frei für eine Reihe von Neuerungen, die 2019 in Kraft treten: Erstens eine doppelte Haltelinie für das Rentenniveau (Verhältnis der Standardrente nach 45 Beitragsjahren zum Durchschnittslohn) und den Beitragssatz. Bis 2025 soll das Rentenniveau nicht unter seinen aktuellen Wert von 48 Prozent sinken und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent (aktuell: 18,6 Prozent) steigen. Dafür verpflichtet sich der Bund, zusätzlich zu den ohnehin steigenden Bundesmitteln, in den Jahren 2022 bis 2025 zu Sonderzahlungen in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich.

Weiterer Bestandteil des Gesetzes ist eine bessere Absicherung für Erwerbsminderungsrentner durch eine verlängerte Zurechnungszeit. Das bedeutet, für die Berechnung der Rente gilt künftig das jeweils gültige Renteneintrittsalter. Dies gilt jedoch nur für Neu-Rentner ab 1. Januar 2019, ein Umstand, den viele Sachverständige in einer Anhörung des Ausschuss für Arbeit und Soziales heftig kritisiert hatten, da dies zu einer erheblichen Ungleichbehandlung jener führt, die bis Ende Dezember in die Erwerbsminderungsrente gehen oder diese Rente schon beziehen.

Eltern erhalten außerdem für vor 1992 geborene Kinder ein weiteres halbes Jahr Erziehungszeit für die Rente anerkannt. Geringverdiener werden bis zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.300 Euro bei den Sozialabgaben entlastet.

Das Gemeinwesen im Blick All das brachte die FDP ganz schön auf die Palme - und dies wiederum später den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), was eher selten vorkommt. Johannes Vogel (FDP) kritisierte nämlich, dass 90 Prozent der geplanten Ausgaben nicht gegen Altersarmut helfen würden und außerdem die Rentenformel zulasten der jüngeren Generation manipuliert werde. Er bezeichnete das Gesetz schlicht als unverantwortlich. Hubertus Heil warf ihm daraufhin vor, gegen die gesetzliche Rente zu hetzen, und zwar aus eigennützigen Motiven: "Sie sind verbunden mit der privaten Versicherungswirtschaft, sagen Sie das doch mal ganz offen." All jene, die als bezahlte Lobbyisten gerade gegen die Rentenpolitik Stimmung machten, hätten das Gemeinwohl nicht im Blick, so der Minister.

In seiner Verteidigung der gesetzlichen Rente erhielt Heil dann doch noch Schützenhilfe von den Grünen, auch wenn diese die Finanzierung kritisierten: "Die gesetzliche Rente muss mehr sein als eine bessere Sozialhilfe. Sie ist eine Einkommensversicherung und als solche muss sie auch für die Mittelschicht attraktiv bleiben", stellte Markus Kurth fest und forderte erneut eine Bürgerversicherung. Ähnlich argumentierte die Fraktionschefin der SPD, Andrea Nahles: "Entweder wir sichern das Rentenniveau auf heutigem Niveau oder wir lassen zu, dass die Renten immer weiter sinken und entwertet werden", warnte sie.

Blick in die Glaskugel Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) konnte das nicht überzeugen. Sie kritisierte, dass Milliarden Euro Beitragsgelder für Dinge ausgegeben würden, für die vorher keine Beiträge gezahlt worden seien. "Es sind versicherungsfremde Leistungen und die müssen aus Steuermitteln finanziert werden", forderte sie.

Hermann Gröhe (CDU) beklagte beim Thema Finanzierung einen Alarmismus und wurde darin von den Linken unterstützt. "Die Unkenrufe, das sei alles nicht finanzierbar, gibt es seit Bestehen der Rentenversicherung, sie sind Unsinn", sagte Gröhe. Und die Klage, es handele sich um versicherungsfremde Leistungen sei eine "alte Schlacht". "Klar ist doch, dass der Steuerzuschuss längst eine Funktion der Beitragsstabilisierung hat, sozialen Ausgleich befördert und heute schon über den sogenannten versicherungsfremden Leistungen liegt", betonte er.

Matthias Birkwald (Die Linke) kritisierte: "In eine Glaskugel bis 2060 zu schauen und dann Horrorzahlen zu beschwören, ist schlicht unseriös." Es sei sogar ein Rentenniveau von 53 Prozent nötig, um im Alter ein Leben in Würde und nicht in Armut führen zu können und "wenn alle ihren fairen Anteil zahlen, ist das auch finanzierbar", sagte Birkwald.