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Familien : Allein und arm

Bundestag beschließt die Erhöhung des Kindergeldes. Bezieher von staatlichen Leistungen gehen leer aus

12.11.2018
2023-08-30T12:34:37.7200Z
4 Min

Drei Millionen Kinder leben in Deutschland in Armut." An diese Zahl erinnerte die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus am vergangenen Donnerstag im Deutschen Bundestag, als es um das Familienentlastungsgesetz (19/4723, 17/5583) der Koalition mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro ging. Kindergeld, Kinderfreibeträge und steuerliches Existenzminimum werden angehoben, die kalte Progression wird ausgeglichen. Doch die Familien dieser drei Millionen Kinder "werden nicht einen einzigen Euro von diesen zehn Milliarden Euro bekommen, beklagte Paus. Gerade die Hälfte der Summe werde bestenfalls bei Familien ankommen, nur 20 Prozent der Gesamtsumme seien überhaupt für Kinder vorgesehen. Familien mit Sozialleistungen hätten nichts davon, da diese Leistungen angerechnet würden. Und Alleinerziehende würden nicht einmal den Inflationsausgleich bekommen, kritisierte Paus: "Das kann ich nur noch schäbig nennen."

Zu den beschlossenen Maßnahmen gehört eine Erhöhung des Kindergeldes um zehn Euro monatlich ab 1. Juli 2019. Außerdem werden die steuerlichen Kinderfreibeträge ab 1. Januar 2019 von derzeit 7.428 um 192 auf 7.620 Euro angehoben. Zum 1. Januar 2020 steigt der Kinderfreibetrag weiter um 192 Euro auf dann 7.812 Euro. Zur Sicherstellung der Freistellung des steuerlichen Existenzminimums wird der Grundfreibetrag (derzeit 9.000 Euro) erhöht. 2019 erfolgt eine Erhöhung um 168 Euro, 2020 um 240 Euro. Diese beiden Erhöhungen führen zu Steuermindereinnahmen von über drei Milliarden Euro (volle Jahreswirkung). Um den Effekt der "kalten Progression" auszugleichen, werden außerdem die Eckwerte des Einkommenstarifs verschoben, wodurch es zu einer Entlastung der Steuerzahler kommt, was 2019 zu Mindereinnahmen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro und 2020 in Höhe von 2,1 Milliarden Euro führen soll (jeweils volle Jahreswirkung). Neben den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD stimmten auch die Fraktionen von AfD und FDP für das Gesetz. Die Grünen lehnten das Gesetz ab, die Linke enthielt sich.

Minimale Entlastung Markus Herbrand (FDP) sprach von einem "Familienminimalentlastungsgesetz". Die Mehrheit der alleinerziehenden Mütter oder Väter, die auf Sozialhilfe angewiesen sei, habe nichts von alledem. Denn wie sich aus dem Gesetzentwurf ergibt, führt die Erhöhung des Kindergeldes zu einer Anrechnung bei den Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende, so dass der Staat dort 2019 rund 130 Millionen Euro und ab 2020 rund 260 Millionen Euro spart. Auch die Linksfraktion bewertete das Paket kritisch: "Eine Entlastung der ärmsten Familien in unserer Gesellschaft wird damit nicht gelingen", sagte Jörg Cezanne. Spitzenverdiener würden hingegen stärker entlastet.

Kay Gottschalk (AfD) erklärte, das Familienentlastungsgesetz verdiene seinen Namen nicht. Heute sei man bei der Steuer mit dem 1,3-fachen des Durchschnittsgehalts steuerlich Spitzenverdiener. Daher könne er es verstehen, dass Normalverdiener das Steuersystem nicht mehr als gerecht empfinden würden.

Dagegen gab es Lob von der Koalition: "Das ist ein starkes familienpolitisches Zeichen, und deshalb auch ein guter Tag für die Familien in Deutschland", erklärte Michael Schrodi (SPD). Er wies darauf hin, dass das Kindergeld nach dem Existenzminimumbericht nur um drei Euro hätte erhöht werden müssen. Die Koalition erhöhe jedoch um spürbare zehn Euro. Vorwürfe der Opposition, es werde nur das getan, was man müsse, wies Schrodi zurück: Knapp sechs Milliarden Euro des Pakets seien verfassungsrechtlich nicht notwendig. Auch Johannes Steiniger (CDU) erklärte: "Heute ist ein guter Tag für die Kinder, für die Eltern und für die Familien in Deutschland." Die Koalition setze eines ihrer zentralen Entlastungsprojekte in dieser Legislaturperiode um: "Wir sind verlässlich und halten, was wir versprochen haben." Zusammengerechnet mache die Entlastung bis zum Jahr 2022 35 Milliarden Euro aus. Wie Schrodi wies auch Steiniger den Vorwurf zurück, die Koalition tue nur das verfassungsrechtlich Notwendige: "Das ist schlichtweg falsch."

Mehrere Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen wurden abgelehnt. So hatten sich die Grünen vergeblich bemüht, den Freibetrag für Alleinerziehende zu erhöhen. Verlangt worden war eine Anhebung dieses zuletzt 2015 erhöhten Freibetrages von derzeit 1.908 Euro auf 1.980 Euro (19/5608). Die Grünen scheiterten auch mit dem Vorstoß (19/5609), den Ausgleich der kalten Progression zu unterlassen und stattdessen den Grundfreibetrag stärker zu erhöhen. Das hätte den Vorteil, dass die Steuersenkung nicht mit dem Einkommen steige, sondern für alle Einkommensgruppen gleich hoch sei, hatte die Fraktion argumentiert.

Dagegen hatten AfD und FDP ganz andere Vorstellungen zum Thema kalte Progression. Beide Fraktionen sprachen sich in - allerdings abgelehnten - Änderungsanträgen (AfD 19/5606, FDP 19/5607) für die Einführung eines Einkommensteuertarifs "auf Rädern" aus. Das würde bedeuten, dass über den Ausgleich der Folgen der kalten Progression nicht mehr jeweils der Steuertarif vom Bundestag geändert werden muss, sondern dieser Effekt automatisch ausgeglichen wird. Die Notwendigkeit der Änderung begründete der FDP-Abgeordnete Herbrand mit dem Hinweis, dass zwischen 2011 und 2015 28,2 Milliarden Euro durch die kalte Progression in die Staatskasse geflossen seien und bis heute nicht ausgeglichen wurden: "Man könnte von leistungsloser Bereicherung durch den Staat sprechen."