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MENSCHENRECHTE : Strafe ohne Tat

Experten blicken mit Sorge auf die Lage religiöser Minderheiten in China

13.05.2019
2023-08-30T12:36:21.7200Z
4 Min

Das Bild, das der Vertreter von Human Rights Watch Deutschland von den Zuständen in der chinesischen Provinz Xinjiang zeichnet, lässt an Franz Kafkas Romanpanoramen denken: Mittels einer App würden Polizeibeamte über "Verdächtige" in ihrer Umgebung informiert, wobei als "verdächtig" bereits gelte, wer sein Smartphone häufig ausschalte, ein fremdes Auto betanke oder sein Haus durch den Hintereingang betrete, so berichtete HRW-Direktor Wenzel Michalski vergangene Woche in einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur Lage religiöser Minderheiten in China. All diese Verhaltensweisen würden bereits ausreichen, um in Xinjiang in einem "Umerziehungslager" zu landen. In einer weiteren absurden Volte verweigere der chinesische Staat den dort Inhaftierten den Rechtsbeistand mit der Begründung, dass sie schließlich gegen kein Gesetz verstoßen hätten.

Nach "Human Rights Watch" sind mehr als eine Million Angehörige der muslimischen uigurischen Bevölkerung in Umerziehungslagern inhaftiert, die dort mit der han-chinesischen Mehrheitskultur indoktriniert werden. Als der Bundestag im November vergangenen Jahres über die Lage in Xinjiang diskutierte, wertete das die chinesische Botschaft in Berlin als "Einmischung in innere Angelegenheiten" und brachte "dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung ernsthafte Demarche entgegen". Unter dem Deckmantel von Menschenrechten und Freiheit trieben interessierte Kräfte in der nordwestlichen Provinz die Spaltung Chinas voran, um eine Unabhängigkeit Xinjiangs zu erreichen. "Manche missbrauchen den Glauben der Uiguren in Xinjiang an Islam zur Verbreitung von religiösem Extremismus und versuchen vergeblich, auch in Xinjiang so etwas wie einen 'Islamischen Staat' zu replizieren", hieß es in dem Brief der Botschaft.

Verwerfungen Der Experte Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte Völker) bezeichnete in der Anhörung der vergangenen Woche hingegen das Vorgehen Chinas gegen Uiguren, Kasachen und Kirgisen in Xinjiang, aber auch die Repressionen gegen Tibeter sowie Christen in anderen Landesteilen, als Politik eines Staates, der "Religion aus dem Alltag verbannen und ihre Anziehungskraft schmälern" wolle. Die Führung der KP Chinas folge hier dem Motto zu zerschlagen, was sie nicht vollends kontrollieren könne. Die Menschen suchten angesichts großer Verwerfungen im Zuge der Modernisierung Chinas nach Spiritualität und einem Kompass in ihrem Leben, und das sei offenbar eine Dimension, die der chinesische Staat mit der KP und ihrer Ideologie an der Spitze nicht bieten könne.

Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren, berichtete über die Zustände in den Umerziehungslagern in Xingjiang. In den vergangenen zwei Jahren seien Millionen Menschen, in der Mehrzahl Uiguren, in solchen Lagern inhaftiert worden oder noch immer inhaftiert. Jeder Uigure kenne eines oder mehrere Familienmitglieder, die in einem solchen Camp gefangen gehalten würden. Die Inhaftierten hätten dort keinerlei Rechtsbeistand, keinen Kontakt zur Außenwelt. Die Absicht sei, sie "total zu assimilieren" und ihr Bekenntnis zur Loyalität zur chinesischen Führung zu erzwingen.

Frank N. Pieke (Mercator Institute for China Studies) betonte, dass die chinesische Führung mit solchen Methoden nicht nur fundamental gegen Menschenrechte verstoße, sondern auch gegen eigene Rechtsgrundsätze. "Umerziehungslager", in denen Menschen ohne Anklage einer Staatsanwaltschaft gefangen gehalten werden, seien nach chinesischem Recht schlicht illegal. Die Führung der KP, die ihr Vorgehen in Xinjiang mit Terrorabwehr und drohenden Separatismus begründe, stelle die von ihr definierten Interessen des Landes über das Recht.

Kelsang Gyaltsen, ehemaliger Sondergesandter des Dalai Lama in Europa, äußerte die große Sorge, dass die junge Generation der Tibeter zur Gewalt greifen könnte, wenn der besänftigende Einfluss ihre geistlichen Oberhaupts eines Tages mit seinem Tode wegfalle. Die Tatsache, dass die Regierung in Peking den Nachfolger entgegen der Tradition der tibetischen Buddhisten selbst aussuchen wolle, zeige, wie sehr China religiöse Grundrechte missachte und verletze. Peking wolle die authentische Kultur und Religion der Tibeter durch eine künstliche und staatlich kontrollierte ersetzen.

David Li (China Organ Harvest Research Center) legte dar, dass nach Recherchen seiner Organisation in China mit dem Zweck des Organraubs staatlich organisiert getötet werde. Opfer seien vor allem Anhänger der Falun-Gong-Bewegung. Die Zahl der Transplantationen in China werde offiziell mit rund 10.000 bis 15.000 pro Jahr angegeben, Spender seien Freiwillige oder zum Tode Verurteilte. Li bezweifelte diese Angaben: Allein mehr als 1.000 Krankenhäuser hätten sich in China auf Transplantationen spezialisiert, die Wartezeiten für ein Spenderorgan würde in Tagen und Wochen gemessen und nicht in Jahren wie andernorts. Es gebe ein "stream without a source", also ein Angebot an Organen, für das China keine glaubwürdige Quelle benennen könnte.

Der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer (China Centrum Tübingen) sprach von einer rigorosen Politik, die die Religionsgemeinschaften bedränge. Er sprach sich jedoch dafür aus, diese Entwicklung in einen historischen Kontext zu stellen. China habe sich in seiner Geschichte mehrfach von außen bedroht gefühlt. Die Sowjetunion etwa habe nach dem Bruch mit China versucht, Uiguren gegen Peking zu instrumentalisieren. Die chinesische Regierung verfolge derzeit eine nationalistische Strategie der "Sinisierung". Es müsse darum gehen, mit jenen Kräften im Land ins Gespräch zu kommen, "die das differenzierter sehen".