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EUROPA : Komplexe Beziehungen

Nach zehn Jahren hat die Östliche Partnerschaft nicht immer zu der erhofften Annäherung geführt

13.05.2019
2023-08-30T12:36:21.7200Z
6 Min

Vor zehn Jahren, am 7. Mai 2009, rief die Europäische Union in Prag die sogenannte Östliche Partnerschaft (ÖP) ins Leben und intensivierte damit ihre Beziehungen zu sechs ihrer Nachbarn, den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldau und Ukraine. Für den Armenier Boris Navasardian fällt die Bilanz positiv aus: "Vorher gab es kein nationales Programm für Reformen. Das Assoziierungsabkommen mit der EU und das Erweiterte Partnerschaftsabkommen CEPA haben uns geholfen, eine Vision für die künftige Entwicklung Armeniens zu finden."

Navasardian leitet den Yerevan Press Club, eine Nichtregierungsorganisation, die sich um Pressefreiheit und Demokratisierung kümmert. "Dank der Östlichen Partnerschaft konnten wir unsere Kontakte mit EU-Institutionen und führenden Politikern intensivieren." Zwar habe die Begegnung mit der Brüsseler Bürokratie auch einige Enttäuschung hervorgerufen, "aber insgesamt hat die Zusammenarbeit mit der EU enorm genützt. Zumal die in den bilatera-len Abkommen vereinbarten Reformen finanziell von ihr unterstützt werden."

Die Östliche Partnerschaft geht zurück auf eine Initiative Polens, damals Neumitglied in der EU, und war zunächst abgelehnt worden, vordringlich vom Chef des Bundeskanzleramts und späteren Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er sah Russland in dem Konzept zu wenig berücksichtigt. Erst als im August 2008 russische Truppen kurz vor der georgischen Hauptstadt Tiflis standen und der Kaukasuskrieg ausbrach, erhielt die Idee den nötigen Nachdruck. Die Regierung Tschechiens, die 2009 den Ratsvorsitz innehatte, machte die weitere Anbindung Osteuropas zu einem der Hauptziele ihres Vorsitzes. Auf dem EU-Gipfel in Prag wurde die Östliche Partnerschaft offizieller Teil der Nachbarschaftspolitik.

Ziel der Kooperation ist es, die Partnerländer enger an die EU zu binden und so Armut zu bekämpfen, Migration zu stoppen und politische und wirtschaftliche Reformen anzustoßen.

Große Differenzen Das Konzept stieß auch innerhalb der Partnerländer auf Kritik. Oksana Zabuschko zum Beispiel, eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Ukraine, schimpfte, es gäbe keine "ehemalige Sowjetunion" mehr. "Davon konnte man vielleicht noch in den 1990er Jahren sprechen, weil es damals noch viele Ähnlichkeiten zwischen den Ländern gab."

Tatsächlich verlief die Annäherung an die EU in den sechs Partnerschaftsländern sehr unterschiedlich. Die Republik Moldau galt lange als Musterknabe der Östlichen Partnerschaft und wurde bereits 2014 mit der Visaliberalisierung belohnt. Das Assoziierungsabkommen mit der vertieften und umfassenden Freihandelszone trat hier bereits 2016 in Kraft, ebenso in Georgien. Mittlerweile aber ist der Reformprozess in der Republik Moldau ins Stocken gekommen, das Land wird von einem handfesten Korruptionsskandal erschüttert. Der Rat der EU sah sich jüngst zu mahnenden Worten gezwungen.

Und so hat mittlerweile Georgien Moldau den Rang abgelaufen. Die EU bescheinigte dem Kaukasusstaat zuletzt "erhebliche Fortschritte" bei den Reformen. Auch die Georgier dürfen mittlerweile ohne Visa in die EU reisen.

Mit Weissrussland ist die Zusammenarbeit wegen der Missachtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit hingegen schwierig. Bei der Präsidentenwahl 2010, ein Jahr nach der Aufnahme in die Östliche Partnerschaft, ließen die Behörden sieben Kandidaten der Opposition verhaften. Einige von ihnen wurden misshandelt, Proteste dagegen brutal niedergeschlagen. Mittlerweile ist die EU der Ansicht, dass Weißrussland einige Schritte unternommen habe, um das beidseitige Verhältnis zu verbessern, und geht vorsichtig wieder auf das Land zu. Einige gegen Einzelpersonen verhängte Sanktionen wurden aufgehoben. Andere Strafmaßnahmen wie zum Beispiel ein Waffenembargo wurden im Februar 2019 hingegen erneut um ein Jahr verlängert.

Im Fall Aserbaidschans hat es die EU aufgegeben, ein Assoziierungsabkommen zu vereinbaren. Stattdessen verhandeln beide Seiten über ein neues Abkommen. Darin soll es vorrangig um Energie und Wirtschaft, gute Regierungsführung, Umwelt und Bildung gehen. Demokratie und Grundrechte bleiben Reizthemen.

Stefanie Schiffer vom Europäischen Austausch in Berlin zieht angesichts dieser so heterogenen Entwicklungen eine kritische Bilanz der Östlichen Partnerschaft: "Im Bereich der Demokratieförderung leidet das ganze Projekt darunter, dass die Instrumente der EU nicht effizient genug sind, um den komplexen Herausforderungen in den postsowjetischen Staaten zu begegnen." Dennoch hält sie die Partnerschaft für eine "politisch richtige und wichtige Entscheidung". Die EU habe damit ihre Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Nachbarstaaten anerkannt.

Das Ziel der EU, die Länder der Östlichen Partnerschaft auch untereinander zu einer stärkeren Kooperation zu bewegen, ist frühzeitig gescheitert. Zwei Wochen vor dem Gipfel 2011 trafen sich Parlamentarier aller EU-Mitgliedstaaten mit Abgeordneten der Partnerländer zu einem Vorbereitungstreffen. Es endete mit einem Eklat. Aserbaidschaner, Armenier und Georgier stritten sich wegen der regionalen Konflikte im Südkaukasus. Moldauer, Ukrainer und Aserbaidschaner weigerten sich, eine Resolution zu unterzeichnen, in der das Vorgehen von Weißrussland gegen die Opposition verurteilt werden sollte. Sie wollten das Nachbarland nicht kritisieren.

Druck aus Moskau Die EU agiert mit der Östlichen Partnerschaft in einer Region, die Russland als ihr Einflussgebiet definiert. Russische Politiker haben die Kooperation denn auch immer wieder scharf als gegen Russland gerichtet kritisiert. Außenminister Sergej Lawrow sagte vor anderthalb Jahren: "Wir sehen den Wunsch einiger Staaten in der EU, die 'Östliche Partnerschaft' in antirussischer Absicht zu benutzen. Sie sind nicht in der Mehrheit, aber sie agieren ziemlich aggressiv."

Die russische Führung hat Angebote, bei der Europäischen Nachbarschaftspolitik mitzumachen, immer ausgeschlagen. Sie drang stattdessen auf individuelle Beziehungen zur EU.

Besonders deutlich wurde der Druck aus Russland im Fall der Ukraine. Dort ging die Bevölkerung im Winter 2013/2014 bereits zum zweiten Mal binnen weniger Jahre auf die Straße, um gegen ihre korrupten und Moskau zugewandten Eliten zu protestieren. Am 21. November 2013 hatte der damalige Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, auf Druck aus Moskau angekündigt, das in mehrjähriger Arbeit ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU doch nicht zu unterzeichnen. Die Ukrainer demonstrierten weiter, forderten die Unterschrift unter das Abkommen und den Rücktritt von Janukowitsch - der Rest ist so tragisch wie bekannt. Im Februar starben in Kiew mehr als hundert Menschen durch Schüsse überwiegend von Spezialeinheiten. Janukowitsch setzte sich nach Russland ab, Russland besetzte die Krim und zettelte einen Krieg in der Ostukraine an. Spätestens jetzt wurde klar, welche Mittel die Regierung Russlands einzusetzen bereit ist, um seinen Machtbereich zurück zu erobern. Die Übergangsregierung der Ukraine indes unterzeichnete am 21. März 2014 einen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU, das drei Jahre später vollständig in Kraft trat Seit zwei Jahren können die Ukrainer visafrei in die EU reisen.

Wandel in Armenien Eine ähnliche Eskalation wie in der Ukraine drohte in Armenien. Das Land ist seit dem Ende der Sowjetunion stark von Russland abhängig, russische Soldaten sichern die Grenzen des Landes. 2013 verkündete der damalige Präsident Armeniens, Sersch Sargsjan, sein Land werde der Zollunion mit Russland, Kasachstan und Weißrussland beitreten. Der Wandel kam mit der Wahl des Demokraten Nikol Paschinjan. Er kam im Mai 2018 dank friedlicher Massenproteste an die Macht und sucht seither die Nähe zur EU. Der Gefahr, Russland zu verärgern, ist sich Paschinjan bewusst. Schon während der Proteste stand er in Dauerkontakt mit der russischen Regierung, seit er Premierminister ist, war er mehrfach in Moskau. Die neue armenische Regierung habe sich vorgenommen, "mit allen Partnern Beziehungen zu haben, die niemandem schaden", erläutert Boris Navasardian vom Yerevan Press Club.

Die russische Regierung scheint im Fall Armeniens gar kein Interesse an einer Eskalation zu haben. "Russland will Ruhe im Südkaukasus", erläutert Andrej Kolesnikow vom Carnegie Zentrum Moskau. "Es will seine Investitionen dort nicht verlieren."

Das Land kann sich offensichtlich nicht noch einen Konflikt leisten. Das könnte Armeniens Glück sein. Die EU verhandelt mit dem Staat wieder über ein Assoziierungsabkommen, gegenseitige Visaerleichterungen gibt es bereits.

Georgien, die Ukraine und die Republik Moldau streben über die EU-Assoziierung hinaus eine Mitgliedschaft in der Union an. Im Konzept der Östlichen Partnerschaft ist ein Beitritt allerdings explizit nicht vorgesehen, was von den Ländern von Anfang an kritisiert wurde. Pavlo Klimkin, 2011 stellvertretender Außenminister der Ukraine, später Außenminister, wurde nicht müde zu betonen: "Wir haben uns darauf festgelegt, dass wir eine EU-Mitgliedschaft anstreben. Es geht uns um die politische und die wirtschaftliche Integration in die EU, nicht an die EU." Eine vergebliche Mahnung. An ihren Grundsätzen will die EU (bisher) nicht rütteln.

Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent mit Schwerpunkt Russland und ehemalige Sowjetrepubliken.