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Gastkommentare - Pro : Ein Irrglaube

Grundrechte auch für Verfassungsfeinde?

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
1 Min

P eter Tauber, ehemaliger Generalsekretär der CDU, hat im Grundgesetz eine Vorschrift entdeckt, die in Vergessenheit geraten war. Nach Artikel 18 darf das Bundesverfassungsgericht, an sich für die Verteidigung von Grundrechten zuständig, Verfassungsfeinden die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und andere Grundrechte entziehen. Diese Vorschrift bringt den Schrecken der Väter und Mütter des Grundgesetzes über die Machtergreifung der Nationalsozialisten zum Ausdruck. Die freiheitlich demokratische Grundordnung soll geschützt werden, indem man ihren Feinden das Wort verbietet. Das ist 70 Jahre her, aber das Thema ist kein gestriges. Angesichts von 24.000 Rechtsextremisten, einem - mutmaßlich - politischen Mord an einem Kommunalpolitiker, zahllosen Drohungen gegen Repräsentanten des Staates ist es zwingend, die Selbstverteidigungskräften des Systems zu aktivieren.

Der Rückgriff auf Artikel 18 ist aber weder wirksam noch praktikabel. Aus gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht die wenigen Versuche, die es gab - zuletzt Anfang der 1990er Jahre - abgewehrt. Es ist ein Irrglaube, dass sich Verfassungsfeinde domestizieren ließen, indem man ihnen die Grundrechte entzieht. Zu befürchten wäre eine stärkere Radikalisierung, der Opfer-Mythos bekäme reichlich Nahrung. Hinzu kommt: Mag es in den 1950er Jahren noch denkbar gewesen sein, verfassungsfeindliche Äußerungen einer Person im Blick zu haben, ist das heute ausgeschlossen. Letztlich lenkt die Debatte über Artikel 18 nur davon ab, dass andere Maßnahmen überfällig sind. Hass und Hetze breiten sich in den sozialen Medien aus, Internetkonzerne verdienen daran. Hier sind Sicherheitsbehörden und Justiz gefordert.