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Freiheit versus Sicherheit : Die Tränen der heiligen Johanna des Rechts

Die Debatte um den Großen Lauschangriff und die Anti-Terror-Gesetze

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
3 Min

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist eine Ausnahmeerscheinung auf der politischen Bühne: Als eine der ganz wenigen Bundesminister in der Geschichte der Bundesrepublik legte sie im Januar 1996 nicht wegen eines politischen Versagens, einer privaten Fehlleistung oder eines Skandals ihr Amt nieder, sondern aus tiefer politischer Überzeugung.

Auslöser für den Rücktritt der FDP-Politikerin als Justizministerin im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) war die Diskussion über den sogenannten Großen Lauschangriff, der es Polizei und Staatsanwaltschaft mit richterlicher Genehmigung ermöglichen sollte, private Wohnungen akustisch zu überwachen. Begründet wurde dies von den Befürwortern mit den Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität.

Kritiker des Lauschangriffs wie Leutheusser-Schnarrenberger sahen darin jedoch einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes und warnten vor dem Einstieg in einen Überwachungsstaat.

Beschränkungen der Unverletzlichkeit der Wohnung sah das Grundgesetz bislang nur in Form von Durchsuchungen bei "Gefahr im Verzuge" oder zur "Verhütung dringender Gefahren" wie Seuchen oder der Gefährdung von Jugendlichen.

Nachdem sich die "die heilige Johanna des Rechts", wie der CDU-Abgeordnete Horst Eylmann Leutheusser-Schnarrenberger halb spöttisch, halb anerkennend titulierte, lange erfolgreich gegen den Lauschangriff gestemmt hatte, war es schließlich ihre eigene Partei, die ihr an diesem Punkt nicht mehr folgen wollte. In einem Mitgliederentscheid sprechen sich die Liberalen im September 1995 mit annähernd Zwei-Drittel-Mehrheit für die akustische Wohnraumüberwachung aus. Wie vorher angekündigt, zog die Justizministerin die Konsequenzen und erklärte sichtlich angegriffen und unter Tränen ihren Rücktritt.

Verfassungsklage Es sollten acht Jahren vergehen, bis das Bundesverfassungsgericht die Bedenken der streitbare Liberalen gegen die akustische Wohnraumüberwachung zumindest teilweise bestätigte. Am 2. März 2004 erklärten die Karlsruher Richter das 1998 von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Teilen für verfassungswidrig. Geklagt hatten neben Leutheusser-Schnarrenberger auch ihre Parteikollegen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch.

Die Richter monierten jedoch nicht die Erweiterungen des Artikels 13 Grundgesetz, mit denen die akustische Wohnraumüberwachung in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich ermöglicht wurde, sondern die Änderungen in der Strafprozessordnung. Diese seien nicht mit dem Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 Grundgesetz vereinbar. Insbesondere dürfe die Überwachung nur bei dem Verdacht auf besonders schwere Straftaten angeordnet werden, die vom Gesetzgeber mit einer Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bewehrt sind.

Mit seinem Urteil machte Karlsruhe zugleich deutlich, dass der Große Lauschangriff als äußerstes Mittel der Strafverfolgung verfassungskonform ist. Das Gericht räumte dem Gesetzgeber deshalb eine Frist bis zum 30. Juni 2005 ein, die Auflagen des Urteils in einem neuen Gesetz umzusetzen. Bis dahin aber galt: "Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Jede Erhebung von Informationen aus diesem Bereich muss abgebrochen werden. Jede Verwertung ist ausgeschlossen." Am 24. Juni 2005 verabschiedete der Bundestag schließlich ein Gesetz zur Umsetzung des Karlsruher Urteils.

In den kommenden Jahren musste das Bundesverfassungsgericht immer wieder über Gesetze entscheiden, die der Bundestag zur Bekämpfung von Kriminalität und nach dem 11. September 2001 gegen den islamistischen Terror auf den Weg brachte.

Vorratsdatenspeicherung Während der Debatte um die umstrittene Vorratsdatenspeicherung spielte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine Doppelrolle. Als Abgeordnete hatte sie 2007 gegen das Gesetz der Großen Koalition geklagt, 2010 konnte sie dann erneut als Justizministerin im Kabinett von Angela Merkel (CDU) erleben, wie Karlsruhe das Gesetz für verfassungswidrig erklärte.

Im Zentrum der politischen und juristischen Auseinandersetzung um die Anti-Terror-Gesetze stand stets die Frage, wie stark der Staat in die Freiheitsrechte seiner Bürger eingreifen darf, um das Bedürfnis nach Sicherheit zu gewährleisten. Bislang gilt dieser Spagat als geglückt.