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Enteignung : Kampf um Boden

Für das Allgemeinwohl darf der Staat seinen Bürgern Eigentum nehmen. Immer wieder regt sich dagegen Widerstand - vor allem in Tagebauregionen

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
5 Min

Rund 200 Kilometer trennen das brandenburgische Dörfchen Taubendorf und das sächsische Pödelwitz bei Leipzig. Doch die beiden Orte teilen ein Schicksal: die Braunkohle. Pödelwitz und Taubendorf liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Tagebau-Gebieten. Und in beiden Orten leben Männer, die sich dagegen wehren, ihr Eigentum im angeblichen Interesse des Allgemeinwohls zu verlieren - und die nicht davon überzeugt sind, dass die Anliegen von Energieversorgern so viel bedeutender sein sollen als die ihren.

Jens Gebke sagt, es sei "absurd", dass er enteignet werden solle, "damit zwei tschechische Multimilliardäre noch mehr Geld verdienen". Das könne wohl kaum im Allgemeinwohlinteresse sein. In seinem Fall geht es um drei Hektar Wald. Der bildet jetzt den einzigen Puffer zwischen Taubendorf und dem Tagebau Jänschwalde. Dessen Betreiber, die Leag Holding, will hier noch bis 2023 Braunkohle für das Kraftwerk Jänschwalde fördern - und dabei ganz nah an das Dorf heranrücken. 120 Meter soll die Baggerkante dann von Taubendorf entfernt sein, Gebkes Waldstück soll dafür fallen.

Der 37-Jähriger aber will seinen Grund nicht hergeben. Taubendorf ist sein früheres Zuhause, seine Eltern leben bis heute in dem Vierseithof. Noch gibt es keinen Enteignungsantrag - aber sobald er ihn in den Händen hat, will Gebke mit allen Mitteln dagegen angehen. Zur Not werde er bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, sagt er. Ihm geht es um mehr als um drei Hektar Land. "Der Tagebau macht die ganze Gegend kaputt." Sein Kiefernwäldchen sei heute der einzige verbliebene Schutz des Dorfs vor Lärm und Schmutz, werde es gerodet, würde Taubendorf direkt neben dem Bagger liegen.

Er habe im Nachbarort gesehen, dass es unmöglich sei, in Tagebaunähe zu leben, sagt Gebke: "Der Staub, der entsteht, wenn die Kohle abgebaut wird, kommt durch jede Ritze." Mehr noch: Damit die Bagger sich so tief in die Erde fressen können, müsse das Grundwasser in großem Radius um den Tagebau abgesenkt werden. "Dadurch entstehen Risse in den Straßen und Gebäuden, Bäume sterben ab, Seen und Schutzgebiete werden beschädigt." Die Lebensqualität der Menschen in der Lausitz sinke, nur damit ein volkswirtschaftlich unbedeutendes Unternehmen mehr Profit machen könne - das könne nicht angehen.

Gemeinwohl: Das ist der einzige Grund, aus dem Menschen in Deutschland enteignet werden können. So hitzig die Debatte derzeit geführt wird: Enteignungen sind nichts, das es in der Geschichte der Bundesrepublik nicht immer wieder gegeben hätte. Das Grundgesetz macht es möglich: Während der Artikel 15 bisher keine praktische Relevanz entfalten hat (siehe Text unten), dient vor allem Artikel 14 als verfassungsrechtliche Grundlage für Enteignungen. Der Artikel stellt zwar das Eigentum unter Schutz, besagt aber auch, sein Gebrauch solle "zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen". Zu diesem Wohle sei auch eine Enteignung zulässig. Die aber dürfe nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, "das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt".

Der Staat kann seinen Bürgern und Unternehmen unter bestimmten Umständen also ihr Eigentum abnehmen - wenn er nachweisen kann, dass diese Maßnahme dem größeren Wohl dient und wenn er dafür einen Ausgleich zahlt. In den vergangenen Jahrzehnten ist das immer wieder geschehen. So wurden für Berg- und Straßenbauprojekte Grundstücke enteignet und ganze Orte umgesiedelt. Bürger und Initiativen haben wiederholt dagegen geklagt.

Rechte gestärkt Im Jahr 2013 hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte von Bürgern gestärkt, die wegen großer Bergbauprojekte von Enteignung und Umsiedlung bedroht sind. Private Belange Betroffener müssen nun stärker schon im Zulassungsverfahren berücksichtigt werden.

Das Recht ist das eine. Dass nicht jeder die Nerven und die Ausdauer hat, sein Recht in langwierigen Gerichtsverfahren zu erkämpfen, das sieht etwa Jens Hausner jeden Tag vor der eigenen Haustür. Der Landwirt lebt in Pödelwitz - als einer der letzten. Die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag) betreibt am Ortsrand von Pödelwitz den Tagebau Vereinigtes Schleenhain und will ihn so ausweiten, dass der Ort von der Landkarte verschwinden würde. Schon vor Jahren entschied sich daher eine Mehrzahl der Bewohner für eine Umsiedlung; viele haben das Angebot des Unternehmens angenommen, ihnen dafür eine Pauschale von mehreren zehntausend Euro zu zahlen, plus den Wert von Häusern und Grundstücken und die Umzugskosten. Für Hausner kommt das nicht in Frage. Er will verhindern, dass der 700 Jahre alte Ort Opfer der Braunkohlebagger wird.

Die Mibrag lasse derzeit Gutachten für eine Umweltverträglichkeitsprüfung anfertigen, dann solle die bergrechtliche Genehmigung für die Erweiterung des Tagebaus beantragt werden. Erst wenn die erteilt wird, könnte Hausner dagegen klagen. Er ist fest entschlossen, das auch zu tun. Denn auch ihn überzeugt das Argument vom vermeintlichen Gemeinwohl nicht. Im Gegenteil: Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission sei gerade erst zu dem Schluss gekommen, der Kohleausstieg in Deutschland müsse bis 2038 abgeschlossen sein. Für den Tagebau bei Pödelwitz sei eine Laufzeit bis 2040 genehmigt - eine Erweiterung sei absolut nicht nötig. Hausner vermutet ein ganz anderes Kalkül hinter den Erweiterungsplänen: Genau wie die Atomindustrie die Bundesrepublik nach dem Atomausstieg auf Entschädigungszahlungen verklagt habe, wolle wohl die Kohleindustrie jetzt so viel Geld wie möglich mitnehmen. Hausner hat deshalb eine Petition gestartet, in der er fordert, dass "die Enteignungsparagraphen §77 bis §83 im Bundesberggesetz explizit für die Braunkohleförderung in Deutschland, zur Absicherung der Sozialverträglichkeit aller Menschen in den Revieren, komplett außer Kraft gesetzt werden".

Kohlekompromiss In den Überlegungen der Kohlekommission sei es vor allem um die Belange der Unternehmen gegangen. Zu den Menschen in den Braunkohleregionen gehörten aber auch jene, die von erzwungenen Umsiedlungen zum Zwecke des Braunkohleabbaus mit direkten Auswirkungen auf ihr Eigentum betroffen sind. "Wenn man durch die Arbeit der Kommission die Sozialverträglichkeit der Beschäftigten in der Kohleindustrie absichern muss, dann ist es absolut notwendig, diese Sozialverträglichkeit auch für alle anderen Menschen in den Braunkohlerevieren zu gewährleisten." Mehr als 110.000 Menschen haben die Petition bisher unterschrieben. Hausner, der inzwischen die Bürgerinitiative "Pro Pödelwitz" gegründet hat, will in jedem Fall weiterkämpfen.

Damit ist er nicht allein. Er sehe einen "Bewusstseinswandel", sagt der Rechtsanwalt Dirk Teßmer. Er vertritt seit vielen Jahren Bürger und Umweltschutzinitiativen, die sich gegen Enteignungen wehren.

Gerade hat er im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ein Gutachten vorgelegt, nach dem es verfassungswidrig wäre, Grundstücke zu enteignen, um die Tagebaue Garzweiler II und Hambach im Umfang der Planungen des RWE-Konzerns weiterzuführen. Es gebe "kein juristisches Argument mehr für Zwangsenteignungen", denn das Allgemeinwohl, das als Argument für die Braunkohlenutzung herbeigezogen würde, weil sonst die Energieversorgung nicht mehr gesichert sei, gelte nicht mehr.

Die festgelegten Klimaschutzziele und die Ergebnisse der Kohlekommission würden zu einer Halbierung der erforderlichen Fördermenge im Rheinischen Braunkohlerevier führen. "Diese Kohle kann gewonnen werden, ohne dass ein einziges Haus in den Dörfern abgerissen oder der Hambacher Forst gerodet werden muss", erklärt Teßmer. Im Zuge der Diskussionen um Klimaschutz und Kohleausstieg seien Bürger noch entschlossener, sich zu wehren. Das würden wohl auch Jens Gebke und Jens Hausner so unterschreiben. Sie jedenfalls wollen ihr Eigentum nicht kampflos hergeben.