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Wer kann urteilen : Unaufgeregt, nicht immer unumstritten

Bundesrat und Bundestag wählen die Verfassungsrichter

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
3 Min

Soll ein Verfassungsrichter politische Erfahrung haben, um sich mit der Materie der Gesetzgebung auszukennen? Oder besteht dann die Gefahr, dass dort, wo die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen kontrolliert wird, Parteipolitik stattfindet? Diese Frage wird immer wieder diskutiert, wenn ein früherer Politiker an das höchste Gericht entsandt werden soll. So war es zuletzt vor der Wahl des CDU-Politikers Stephan Harbarth (siehe Interview auf Seite 2), der seit November 2018 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts ist.

Bisher 109 Richter Der Blick auf Ungarn und Polen etwa zeigt zudem, wie riskant es ist, wenn Regierungen die Instanzen, die sie kontrollieren sollen, nach eigenem Gusto umbauen. So sehr das Gericht viele Mitglieder von Parlament oder Regierung nerven mag, wenn es urteilt, dass Gesetze nachgebessert oder neu geschrieben werden müssen: Die Unabhängigkeit der bisher insgesamt 109 Wächter des Grundgesetzes gilt in Deutschland als absolut schützenswertes Gut. Dennoch gab und gibt es immer wieder Richter, die aus der Politik nach Karlsruhe wechseln: der frühere Innenminister Baden-Württembergs (und spätere Bundesprsäident) Roman Herzog etwa, die SPD-Justizsenatorin Jutta Limbach oder der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU).

Wie kommen diese Wächter auf ihre Posten? Die Kandidaten müssen mindestens 40 Jahre alt sein, die Befähigung zum Richteramt besitzen und dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung oder entsprechenden Organen eines Landes angehören. Um die notwendige Berufserfahrung zu gewährleisten, müssen mindestens drei Mitglieder pro Senat von obersten Bundesgerichten kommen. Die Amtszeit ist auf zwölf Jahre begrenzt, wird ein Richter 68 Jahre alt, greift eine Altersgrenze.

Traditionell schlagen Union und SPD die Kandidaten vor, auch die kleineren Parteien kommen gelegentlich zum Zug, die Grünen spielen dabei zunehmend eine gewichtigere Rolle. Die 16 Richterinnen und Richter der zwei Senate werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Während letzterer die Kandidaten direkt wählt, setzt der Bundestag zunächst einen Wahlausschuss aus zwölf Abgeordneten ein, der einen Kandidaten zur Wahl vorschlägt. Das Plenum des Bundestags wählt dann den Richter oder die Richterin.

Dieses Verfahren ist relativ neu: Bis zu einer Änderung des Wahlverfahrens im Juni 2015 wurden die Verfassungsrichter nicht durch das Plenum, sondern den Wahlausschuss direkt gewählt. Eine Praxis, die das Bundesverfassungsgericht selbst als vollkommen in Ordnung bezeichnet hatte, das wegen seiner mangelnden Transparenz aber von vielen Experten kritisiert worden war. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nannte es damals "erstaunlich", dass das Gericht, das selbst mehrfach geurteilt hatte, Entscheidungen von erheblicher Tragweite müssten grundsätzlich im Plenum des Bundestags und nicht in kleinen Sondergremien getroffen werden, für sich eine solche Ausnahme zulassen wollte - und stieß eine Reform des Verfahrens an. Seither werden die Richter öffentlich gewählt. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit setzt einen relativ großen Konsens zwischen den Parteien über die Kandidaten voraus - extrem polarisierende Anwärter auf die Richterposten haben demnach kaum eine Chance.

Polarisiert Im Vergleich zu den USA läuft die Nominierung von Verfassungsrichtern in Deutschland eher unaufgeregt. Die extreme ideologische Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten schlägt dort seit 1990 auch auf die Besetzung des Supreme Courts durch - und treibt verfahrenstechnische Blüten. Galt für Jahrzehnte, dass ein Kandidat im zuständigen Senat mindestens 60 von 100 Stimmen erhalten musste, setzten in jüngster Vergangenheit die Republikaner durch, dass eine einfach Mehrheit reicht, um Richter - auf Lebenszeit - zu werden. Susanne Kailitz