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EDITORIAL : Seltsame Sehnsucht

15.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
2 Min

Freiheit. Kein anderer Begriff steht so im Zentrum unserer Verfassung. Das Grundgesetz garantiert ein Leben nach eigener Fasson. Im Rahmen von Regeln, die ein funktionierendes Gemeinwesen braucht. Aber eben auch selbstbestimmt und sehr weitgehend gelöst von gesellschaftlichen Zwängen. Ein jeder, eine jede kann das Leben so planen und umsetzen, wie es gefällt. Das ist das größte Verdienst des Grundgesetzes, das eine entschieden demokratisch geprägte Antwort auf die Jahre der nationalsozialistischen Knechtschaft war.

Das Grundgesetz begleitet die Bundesrepublik Deutschland seit nunmehr 70 Jahren. Über die Jahrzehnte ist jedoch die Faszination für das klug ausgearbeitete Werk verblasst. Daran ändert auch eine regelmäßige Auseinandersetzung mit den Inhalten nichts, etwa wenn das Bundesverfassungsgericht überprüft, ob Gesetzesinitiativen verfassungskonform sind.

Die Privilegien, die aus dem Grundgesetz resultieren, werden oft als selbstverständlich wahrgenommen. Das sind sie aber nicht. Eine Gesellschaft, die es versäumt, sich die Qualität ihres Regelwerkes immer wieder bewusst zu machen und die darin definierten Werte offensiv zu verteidigen, läuft Gefahr, demokratische Substanz zu verlieren.

Das gilt besonders für die Freiheit. Seit Jahren ist eine seltsame Sehnsucht nach Unfreiheit zu verzeichnen. Daraus resultiert auch hierzulande der Wunsch nach einer politischen Führung, die einfache und radikale Antworten auf aktuelle Fragen parat hält: Flüchtlinge? Grenzen schließen! Klimawandel? Ist nicht bewiesen! Europäische Union? Weg damit!

Wer ein buntes Weltbild in Schwarz-Weiß zu zeichnen versucht, nimmt politische Radikalität bewusst in Kauf. Und zur politischen Radikalität gehört es notwendigerweise, auf den freiheitlichen Anspruch und die Selbstbestimmung derer, die anderer Meinung sind, keine Rücksicht zu nehmen.

Die Welt, in der wir leben, ist kompliziert und wird vermutlich immer komplizierter werden. Das hat zu tun mit atemberaubenden technischen Entwicklungen und immer neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, die zunehmend nicht nationalstaatlich, sondern international zu lösen sind.

Dafür brauchen wir Weltoffenheit, Toleranz und vor allem eines: Freiheit.