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Prävention : Gefahr aus dem Netz

Der Schutz von Kindern gegen sexuelle Gewalt kommt an den Schulen viel zu kurz

07.01.2019
2023-08-30T12:36:14.7200Z
3 Min

Auf dem Papier sieht alles gut aus: Schule könne eine "Schlüsselrolle für gelebten Kinderschutz spielen", sagte Marlis Tepe, Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, als im vergangenen Jahr die bundesweite Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" vorgestellt wurde. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, der sie verantwortet, sprach darüber, dass statistisch in jeder Klasse "mindestens ein bis zwei Mädchen und Jungen" säßen, die von sexueller Gewalt betroffen seien. Sie müssten auf "kompetente Ansprechpersonen" treffen.

Die Realität sieht anders aus. Viele Lehrer sind nicht im Mindesten geschult, wenn es etwa um die Herausforderungen der Online-Welt für ihre Schülerinnen und Schüler geht. Frank Feldmann (Name geändert) zum Beispiel unterrichtet Englisch an einem beruflichen Schulzentrum in Dresden. Die Begriffe Cyber-Grooming oder Sexting - das Verschicken von eigenen Nacktbildern oder erotischen Bilder und Filme über das Handy - hat er, gibt er zu, "noch nie gehört". Er nehme zwar regelmäßig an Fortbildungen teil, "aber Themen wie der Umgang mit dem Internet tauchen da einfach nicht auf". Ähnliches erzählt seine Kollegin Maren Schumann (Name geändert): Sie ist Klassenlehrerin einer vierten Klasse an einer Grundschule in Chemnitz und hat früher an einem Gymnasium unterrichtet. Als Mutter einer fünfjährigen Tochter habe sie sich privat zwar mit diesen Themen befasst, "aber im beruflichen Umfeld sind die mir noch nie begegnet" - und das, obwohl "gut die Hälfte" ihrer Viertklässler in Smartphone besitzen würden. Von der Initiative des Missbrauchsbeauftragten hat sie in der Zeitung gelesen, im Lehrerzimmer aber "noch kein Wort davon gehört" - obwohl Sachsen erst im Sommer den landesweiten Ableger der Kampagne gestartet hat.

Die Schule sei für den Kinderschutz "ein bedeutender Ort", sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) bei dieser Gelegenheit. Mädchen und Jungen, die sexuelle Gewalt erlebten, benötigten dringend Pädagogen, "die ihre Signale erkennen und wissen, was sie im Verdachtsfall zu tun haben".

Verdachtsfälle dürfte es viele geben: Nach Zahlen des "Bündnisses gegen Cybermobbing" wurden 13 Prozent der befragten Schüler zwischen 10 und 20 Jahren schon einmal Opfer von Diffamierung im Internet. Laut der Mikado-Studie zum Missbrauch von Kindern und Jugendlichen haben außerdem zehn Prozent der erwachsenen befragten Internetnutzer Online-Kontakte zu ihnen unbekannten Kindern und Jugendlichen; die Hälfte von ihnen berichtete von mindestens einem sexuellen Onlinekontakt. Laut der Kinderschutzorganisation "innocence in danger" bedeuten diese Zahle hochgerechnet, dass "728.000 Erwachsene in Deutschland sexuelle Onlinekontakte zu ihnen unbekannten Kindern" unterhalten. Gemeint ist das so genannte Cyber-Grooming - also die Ansprache von Kindern und Jugendlichen über das Internet, um mit ihnen in sexuellen Kontakt zu treten.

Wenn sie darüber Vorträge vor Lehrerkollegien oder auf Elternabenden halte, herrsche in der Regel "Totenstille", erzählt Gesa Stückmann. Die Rechtsanwältin betreibt an Schulen in Mecklenburg-Vorpommern und über Internet-Seminare bundesweit Aufklärungsarbeit und stellt immer wieder fest, "dass Lehrer und Eltern so gut wie keine Ahnung haben, was den Kindern im Internet begegnet". Gerade erst hat sie mit einer fünften Klasse in Rostock gearbeitet: "Von denen hatten schon fast alle in der Grundschule über das Handy oder den Computer Pornografie zu Gesicht bekommen." Schutzkonzept? Fehlanzeige. "Die Eltern geben den Kindern mit den Smartphones die Technik in die Hand und verlassen sich darauf, dass die Lehrer schon erklären werden, wie damit umzugehen ist." Doch es gebe viel zu wenig Experten, die den Pädagogen das nötige Wissen vermitteln könnten.

Ob in den Lehrerzimmern der rund 30.000 Schulen in Deutschland Pädagogen sitzen, die ihren Schülern bei Cyber-Grooming oder -mobbing zur Seite stehen können, hängt also in aller Regel von ihrem persönlichen Einsatz ab. Versuche, ihnen die nötigen Informationen zugänglich zu machen, gibt es immer mehr: So stellen etwa das niedersächsische Landeskriminalamt oder der Weiße Ring mittlerweile Handreichungen und für Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung.