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New Space : »Modell T« im Orbit

Die Satelliten-Bauer von »Berlin Space Technologies« sehen die Raumfahrt vor einem »Henry-Ford-Moment«

29.07.2019
2023-08-30T12:36:25.7200Z
6 Min

Sich von Tom Segert durch die Räume der Berlin Space Technologies GmbH (BST) im Berliner Stadtteil Adlershof führen zu lassen, führt schnell zu einem leichten Überforderungsgefühl. Die Firma baut unter anderem Satelliten in der Größe einer Waschmaschine, die ihre Kunden für Kommunikation oder Erdbeobachtung einsetzen können. Was kompliziert klingt, ist es auch, und dem Ingenieur für Raumfahrttechnik macht es sichtlich Spaß, in die Details zu gehen. So erklärt der 39-Jährige beispielsweise wie im Physikunterricht, wie ein Satellit in 600 Kilometer Höhe eigentlich seine Lage ändert, um statt Berlin Hamburg zu fotografieren. Dann geht es im nächsten Raum gleich weiter mit der Automatisierung von Löt-Arbeiten, die die Herstellung der im Satelliten verbauten Platinen erleichtern. Zwei Satelliten der Raumfahrt-Vorreiter aus eigener Fertigung sind bereits im Orbit, ein weiterer soll in diesem Jahr starten.

Segert ist aber nicht nur Ingenieur, er ist auch Unternehmer. Und so hat eigentlich jedes Objekt und jede Maschinen in den Räumen einen Preis. Und davon quasi gleich zwei, nämlich einen "New Space"-Preis und einen "Old Space"-Preis. So benutzt BST etwa für die Optiken klassische Foto-Objektive. Die kosten nur einen Bruchteil eines für den Weltraumeinsatz entwickelten Objektivs von einem Spezialhersteller. "Zwar muss das Objektiv erst noch weltraumtauglich gemacht werden, aber es liefert dann dieselbe Leistung", sagt Segert. Gleiches gilt für die Chiptechnik. In BST-Satelliten werden beispielsweise Mobilfunkchips verbaut. Da Chips in den vergangenen Jahren immer kleiner wurden, mussten die Hersteller sie strahlenfest machen - und genügen damit auch den Anforderungen für einen Weltraumeinsatz. Statt hohe Kosten für die Entwicklung einzelner Teile in Kauf zu nehmen, die nur in geringer Stückzahl produziert werden würden, greife man auf Produkte zurück, in die etwa Handy-Hersteller schon Milliarden investiert haben. Die Chips, Objektive und Co. seien ohnehin drei bis vier Generationen weiter als vergleichbare Weltraumtechnik, sagt Segert. Nicht mehr "Spin-Off", also Alltags-Anwendungen von Weltraumtechnologie, stehe im Zentrum, sondern "Spin-In", nämlich irdische Industrieelektronik für Weltraumanwendungen zu nutzen.

Markt im Weltraum BST gehört zu den sogenannten New-Space-Unternehmen. Diese Unternehmen und Start-ups wollen, grob gesagt, den Weltraum kommerzialisieren. Manche träumen davon, Touristen ins All zu schießen, andere planen, im Weltraum Rohstoffe abzubauen oder eben vergleichsweise günstige Satelliten zu bauen. Dem gegenüber steht, wenn auch nicht ganz trennscharf, der "Old Space". In diesem geben Regierungen und ihre großen Raumfahrtbehörden den Ton an. In den USA ist das die NASA, in Europa die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und in Deutschland das Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Fokus des "Old Space" stehen die klassischen, großen Missionen - von der ISS bis zur All-Erkundung. Die "New Space"-Branche wird von Milliardären wie Richard Branson mit "Virgin Galatic", Amazon-Gründer Jeff Bezos mit seiner Firma "Blue Origin" (siehe Seite 3) und Elon Musk personifiziert. Musk gründete 2002 die Firma "SpaceX", etablierte sie als einen gewichtigen Player am Markt und kann inzwischen mit einer eigenen Schwerlast-Rakete aufwarten. Die Firma übernimmt seit 2012 Versorgungsflüge zur Internationalen Raumstation (ISS) und bringt auch Satelliten ins All.

Die deutsche "New Space"-Szene ist deutlich kleiner - aber durchaus ambitioniert. Gleich den Mond hat das Berliner Start-up PTScientists mit einer unbemannten Raummission ins Visier genommen. Die Firma will mit einer Mondlandefähre und einem Mond-Rover die Hardware für eine europäische Mission zum Erdtrabanten entwickeln. Anfang Juli meldete das junge Unternehmen allerdings Insolvenz an. Bei der Einwerbung von weiteren Investoren- und Fördergeldern sei es zu ungeplanten Verzögerungen gekommen. Der Geschäftsbetrieb und die Forschungsprojekte des Wissenschaftsunternehmens würden auch im Rahmen der Insolvenz ohne Einschränkungen weiterlaufen, teilte das Unternehmen mit. Im Satellitenbau tummelt sich neben dem Bremer Platzhirsch OHB, der unter anderem Galileo-Satelliten produziert und 2018 einen Umsatzerlös von 976 Millionen Euro vermeldete, das Berliner Start-up German Orbital Systems. Das 2014 gegründete Unternehmen hat etwa CubeSat-Satelliten, die in ihrer Grundkonfiguration eine Kantenlänge von nur rund zehn Zentimetern haben, im Angebot.

Hidden Champion Bei BST sieht man sich selbstbewusst als das führende New-Space-Unternehmen Deutschlands. Man sei mit rund zwei Millionen Euro Jahresumsatz "Hidden Champion" der Satelliten-Produktion, sagt BST-Gründer Segert. Das Auftragsbuch sei gut gefüllt, viele Aufträge noch abzuarbeiten. Der Fokus des Geschäfts liegt dem Unternehmer zufolge auf Schwellenländern, Deutschland spielt keine Rolle. Die Berliner Satellitenbauer haben große Pläne: Sie wollen als Pioniere in die Serienfertigung von Mini-Satelliten gehen. "In der Raumfahrt gibt es gerade den Henry-Ford-Moment - und wir wollen Modell T bauen", sagt Segert. Damit verspricht sich die Firma, die Produktionskosten weiter zu senken, denn Satelliten sind heute Einzelstücke, das macht sie teuer. Mit einem Partner vor Ort zieht BST in Indien in einem Joint Venture dafür gerade eine Fabrik hoch.

Dort scheint es auch die entsprechende Nachfrage zu geben: Die indische Regierung hat laut Segert angekündigt, jährlich einen Bedarf an bis zu 100 Satelliten zu haben. Und natürlich hofft der Unternehmer, dass dabei auch auf die indisch-berlinerische Koproduktion zurückgegriffen wird. Ende des Jahres soll die Produktion beginnen, der erste Satellit Mitte 2020 produziert sein. Perspektivisch könne die Fabrik dann bis zu 250 Satelliten im Jahr herstellen, sagt Segert. Aktuell werden dem Ingenieur zufolge pro Jahr nur etwa 50 bis 100 Satelliten dieses Typs gefertigt - von allen Firmen weltweit zusammen.

Dabei ist BST mit seinem indischen Partner nicht allein auf dem Markt unterwegs. SpaceX besitzt eine Satellitenfabrik. Airbus und der amerikanische Partner Oneweb eröffneten vergangene Woche in Florida eine neue Fabrik für Mini-Satelliten. Dort sollen bis zu zwei Satelliten am Tag produziert werden können, um zunächst eine Konstellation von 650 Satelliten für einen globalen Internetdienst aufzubauen.

Segert erinnert in diesem Zusammenhang an die Zeit nach der Ford-Revolution in den USA: Mehrere Hundert Hersteller tummelten sich auf dem Markt - übrig blieben drei. Ähnliches erwartet der Ingenieur auch für den eigenen Markt und BST soll am Ende übrig bleiben.

Dass Segert das Unternehmen überhaupt in diesem Wettbewerb sieht, war vor einigen Jahren so nicht absehbar: "Es hat viele Zufälle gegeben, dass wir es geschafft haben." Die drei späteren Gründer arbeiteten schon seit Anfang der 2000er neben dem Studium in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. 2010 wurde dann BST aus der Taufe gehoben. Die Firma setzte dabei zunächst auf einzelne Komponenten. "Wir haben unseren Kunden aber immer gesagt, dass wir auch ganze Satelliten bauen können", berichtet Segert. Und dann ging es los: Die junge Firma bekam 2012 einen Auftrag, für die ISS Komponenten für ein Beobachtungssystem zu liefern, mit der Universität Singapur vereinbarte man den Bau eines ganzen Satelliten. Es folgten Aufträge aus Ägypten, der Türkei und Indien. Die Firma wuchs. Inzwischen arbeiten 30 Menschen in Adlershof. Mit der neuen Fabrik in Indien im Rücken könnten es später mal 50 Mitarbeiter in Berlin werden, so Segert.

Finanzielle Unterstützung hatte die Firma in den Anfangsjahren nicht: "Wir mussten auf Bootstrapping setzen", sagt Segert. Der Begriff bezeichnet in der Gründerszene einen Unternehmensaufbau, der ohne externe Finanzierung gemacht wird. Bankkredite habe es kurz nach der weltweiten Finanzkrise nicht gegeben, erinnert sich Segert. Und Wagniskapital (siehe Interview unten) sei nicht zu bekommen gewesen. Auch der High-Tech-Gründerfonds ließ die Satelliten-Bauer abblitzen. Zudem hatten sich die Unternehmer laut Segert vorgenommen, keine Anträge auf Forschungs- und Entwicklungsmittel aus den staatlichen beziehungsweise europäischen Raumfahrt-Töpfen zu stellen - und haben es bis heute auch nicht getan.

Ideenwettbewerb Überhaupt ist Segert auf das ESA/DLR-gestützte Ökosystem in Deutschland und Europa nicht allzu gut zu sprechen. "Raumfahrt ist der letzte Hort des Kommunismus in Europa", frotzelt der Ingenieur. So ließen sich manche Geschäftsmodelle hier gar nicht umsetzen, weil die ESA etwa kostenfrei Satellitendaten aus dem Copernicus-Programm zur Verfügung stellt. Das sei zwar gut für den Downstream-Markt, also für Firmen, die mit den Daten dann arbeiten, aber schlecht für jene, die etwa kommerzielle Erdbeobachtung in Europa anbieten wollen würden. Es fehle nicht nur Wettbewerb im wirtschaftliche Sinne, sondern auch ein "Wettbewerb der Ideen", kritisiert Segert. So könne man durchaus darüber nachdenken, ob sich etwa die Erdbeobachtung auch anders organisieren lasse - und möglicherweise günstiger. Denn die Satellitenentwicklung im Rahmen von ESA-Programmen - durchgeführt durch die Großindustrie nach Vorgaben der Raumfahrtagentur - kostete Hunderte Millionen Euro Steuergelder.

Dafür muss der Staat aber seine Rolle ändern, fordert der Ingenieur. SpaceX funktioniere in den Vereinigten Staaten deswegen, weil sich der Staat aus dem Weltraumtransport zugunsten privater Akteure zurückgezogen habe, gleichzeitig aber erfolgreichen Unternehmen eine Nachfragegarantie biete. Das passiere in Deutschland aber nicht, sagt Segert und zeigt sich wenig optimistisch: "Ein deutsches SpaceX wird es so schnell nicht geben."

Sören Christian Reimer