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gesundheit : Scharfe Wende

Verpflichtende Masern-Impfung geplant

21.10.2019
2023-08-30T12:36:28.7200Z
5 Min

Wenn Eltern zu Masernparties einladen, um ihre kleinen Kinder gezielt anzustecken, steigt bei Ärzten regelmäßig der Adrenalinpegel. Unverantwortlich sei das, beklagen Mediziner, andere gehen weiter und sprechen in dem Zusammenhang sogar von vorsätzlicher Körperverletzung. Die Masern gehören zu den Virusinfektionen mit der höchsten Ansteckungsrate und sind weltweit verbreitet. Heute ist eine Masernimpfung eigentlich keine große Sache, es sei denn, Eltern hätten generell Vorbehalte gegen Impfungen und verzichteten lieber auf die Immunisierung via Spritze.

Wer die Masern einmal hatte, ist ein Leben lang immun, meist klingt die Erkrankung ohne weitere Folgen ab. Allerdings kann die Infektion in seltenen Fällen schwere Komplikationen hervorrufen und sogar tödlich verlaufen. Harmlos ist die Kinderkrankheit auf keinen Fall, weshalb Mediziner in der Regel dazu raten, mit zwei Impfdosen im Kleinkindalter eine dauerhafte Immunisierung zu erreichen.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine erste Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung (MMR) bei Kleinkindern im Alter von 11 bis 14 Monaten und eine zweite Impfung im Alter von 14 bis 23 Monaten. Jugendliche und Erwachsene, die als Kinder nicht geimpft wurden, sollten die Immunisierung nachholen. Kinder unter einem Jahr werden üblicherweise nicht geimpft.

Gefürchtete Komplikationen Die Masernviren verbreiten sich sehr leicht über Tröpfcheninfektion, Patienten fühlen sich schwach und zeigen grippeähnliche Symptome, bevor sich dann die typischen rötlichen Pusteln über der Haut verbreiten. Die Krankheit an sich kann nicht behandelt werden, lediglich die Symptome wie Fieber oder Begleiterkrankungen. Die bei Masern möglichen bakteriellen Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen sowie im Extremfall eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) treten aufgrund des geschwächten Immunsystems auf. Noch Jahre nach einer Masernerkrankung kann es zu einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE) kommen, diese gefürchtete Spätkomplikation verläuft immer tödlich.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich zum Ziel gesetzt, die Masern bis 2020 global zu eliminieren, ist von diesem Ziel allerdings noch weit entfernt. Zuletzt kam es 2017 in Europa zu einem neuerlichen Anstieg der Erkrankungen, wobei viele Fälle aus Rumänien und Italien gemeldet wurden. In Deutschland schwankt die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen und ist insgesamt zu hoch, um die WHO-Vorgaben zu erfüllen.

Laut WHO-Definition ist eine Durchimpfungsrate von mindestens 95 Prozent nötig, um die Weiterverbreitung der Viren effektiv einzudämmen. Es dürften demnach in Deutschland jährlich nicht mehr als 82 Masernfälle auftreten. Tatsächlich waren es 2018 nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) 543 gemeldete Fälle, 2017 sogar 929 Fälle.

Die Bundesregierung will nun mit einer Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen die Wende erzwingen. Der Gesetzentwurf (19/13452) beinhaltet einen verpflichtenden Impfschutz gegen Masern in Kitas, Schulen und in der Kindertagespflege. Vor der Aufnahme in solche Einrichtungen müssen Kinder künftig geimpft sein. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch einer Kindertagesstätte ausgeschlossen werden. Eltern droht bei einer Impfverweigerung ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.500 Euro. Auch Mitarbeiter von Gemeinschaftseinrichtungen sowie medizinisches Personal müssen einen vollständigen Impfschutz nachweisen. Das Gesetz soll 2020 in Kraft treten.

In der ersten Beratung über den Gesetzentwurf sowie über einen Antrag der Grünen (19/9960) und der FDP (19/14061) zur Verbesserung des Impfschutzes am vergangenen Freitag zeigte sich fraktionsübergreifend große Einigkeit in dem Ziel, die Masern entschlossen zu bekämpfen.

Gesundheits-Staatssekretär Thomas Gebhart (CDU) mahnte, in diesem Jahr seien schon wieder mehr als 400 Masernfälle gemeldet worden. Die Masern müssten ausgerottet werden. Die gesetzliche Änderung ziele darauf ab, den Gesundheitsschutz zu verbessern und die Prävention zu stärken. Gebhart räumte ein, dass die Impfpflicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berühre. Es gehe jedoch darum, die Gesundheit der Schwächsten zu schützen, Menschen etwa mit schwachem Immunsystem oder Babys, die noch nicht geimpft werden könnten.

Auch Sabine Dittmar (SPD) plädierte nachdrücklich für die geplanten Impfregelungen. Die meisten Bürger wüssten, dass Impfungen ein Segen seien zum Schutz der eigenen Gesundheit und des Umfeldes. Die Ärztin warnte davor, die Krankheit zu unterschätzen. Masern seien nicht nur hochvirulent, sondern auch hochgefährlich und könnten dramatische Spätfolgen bewirken. Es sei vertretbar, notwendig und verhältnismäßig, einen Impfschutz für Kinder zu verlangen. Dabei handele es sich um einen vergleichsweise leichten Eingriff in die persönliche Freiheit. Kordula Schulz-Asche (Grüne) wertete die Impfungen nicht nur als Selbstschutz, sondern auch als einen Akt gesellschaftlicher Solidarität. Allerdings lasse der Gesetzentwurf keine umfassende Impfstrategie erkennen, hier gebe es ein "Loch" in der Vorlage. So werde die Gruppe der jungen Erwachsenen, die eine Impfquote von unter 50 Prozent aufwiesen, gar nicht erwähnt. Nötig seien mehr Aufklärung, leicht zugängliche Impfangebote und ein digitaler Impfpass mit Erinnerungsfunktion. Moderne Techniken sollten eingesetzt werden, um den Impfschutz zu verbessern.

Einig im Ziel Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann setzt auf mehr Eigenverantwortung der Bürger. Die zu niedrige Impfquote sei eher ein Problem des Vergessens und Nichtwissens, argumentierte er. Digitale Systeme zur Erinnerung wären daher sinnvoll. Darüber hinaus stelle sich die Frage, wie mit anderen Infektionskrankheiten umgegangen werden solle und mit nicht geimpften Erwachsenen. Ullmann betonte, wer heute noch Masernparties feiere, begehe aus seiner Sicht Körperverletzung. "Das muss aufhören." Impfungen seien effektiv, sicher und könnten Todesfälle verhindern. Wer das leugne, gehöre zu den Verschwörungstheoretikern. Die FDP stehe für ein gutes Impfgesetz bereit.

Nach Ansicht von Susanne Ferschl (Linke) sollte niemand Schaden nehmen durch vermeidbare Krankheiten. Sie kritisierte, dass es heute kaum noch staatliche Impfaktionen gebe, der Staat habe sich aus dem Bereich immer weiter zurückgezogen. Auch sie sprach sich für ein digitales Impfregister aus. In dem Ziel, höhere Impfquoten zu erreichen, seien sich ja alle einig, allerdings könne ein Impfzwang auch polarisieren. Zudem bestehe das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Ulrich Oehme (AfD) erklärte, seine Fraktion könne dem Gesetzentwurf nicht zustimmen und sprach von einem wiederholten Angriff auf Freiheitsrechte der Bürger. Die Vorlage verstoße an mehreren Stellen gegen das Grundgesetz. Im Übrigen gebe es in Deutschland vergleichsweise wenige Masernfälle, dafür jedoch sehr viele Tote durch multiresistente Keime. Wichtig sei die freiwillige, informierte und selbstbestimmte Entscheidung der Bürger über die eigene Gesundheit.