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Entwicklung : Begehrte Ware

Der Boom von Smartphones und E-Autos lässt die Nachfrage nach Rohstoffen wie Lithium und Kobalt explodieren. Weil mit deren Abbau oft Umweltschäden und…

11.11.2019
2023-08-30T12:36:30.7200Z
4 Min

Lithium", da ist sich Boliviens Präsident Evo Morales sicher, "ist das neue Erdgas." Schon die reichhaltigen Gasvorkommen haben seinem Land über Jahre hohe Wachstumsraten beschert, nun soll Lithium die Erfolgsgeschichte fortsetzen. Das Leichtmetall, auch "weißes Gold" genannt, ist ein Schlüsselrohstoff für die Herstellung der Batterien von Smartphones, Tablets und Elektro-Autos. Und zu Morales' Glück schlummern davon im Südwesten Boliviens, im größten Salzsee der Welt, riesige Reserven. Entsprechend erwartungsvoll sahen Präsident und Bundesregierung einem Projekt mit deutscher Unternehmensbeteiligung entgegen, das diesen Schatz gemeinsam heben sollte. Erstmals wieder direkten Zugriff auf einen nicht-heimischen Rohstoff bekommen - das ist auch für die Bundesregierung wichtig - erst recht nach ihrer Einigung mit der Automobilindustrie vergangene Woche (siehe Stichwort). Danach wollen beide der E-Mobilität hierzulande bis 2030 durch höhere Kaufprämien und neue Ladestationen zum Durchbruch zu verhelfen (siehe Stichwort).

Doch die Euphorie ist etwas gebremst, seit die bolivianische Regierung das Gemeinschaftsprojekt vor einigen Tagen plötzlich stoppte. Gründe nannte sie nicht, doch vieles deutet darauf hin, dass der Linke Morales, der erste indigene Präsident Boliviens, angesichts der massiven Bürgerproteste gegen das Projekt eingeknickt ist: Ein lokales Komitee warnt vor gravierenden Umweltschäden und fordert eine gerechtere Beteiligung an den erwarteten Einnahmen für die Region. Zwei Aktivisten traten im Oktober in Hungerstreik.

Schwere Nebenwirkungen Das Bolivien-Beispiel illustriert die Herausforderungen, die mit dem Boom der Zukunftstechnologien und der damit verbundenen Nachfrage nach Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit sowie nach Seltenen Erden und Kupfer verbunden sind. Vertreter von Umwelt- und Menschenrechtsverbänden verdeutlichten dies vergangene Woche in einer öffentlichen Anhörung des Entwicklungsausschusses zum Thema "Rohstoffe unter besonderer Berücksichtigung von E-Mobilität". Professor Alexander Michaelis vom Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme in Dresden verwies darin etwa auf den hohen Verbrauch an Süßwasser und den Einsatz von Chemikalien bei der Lithium-Gewinnung. Der Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Volker Steinbach, sprach mit Blick auf den beispielsweise im Kongo weit verbreiteten Kleinbergbau von "schlimmsten Formen der Kinder- und Zwangsarbeit". Johanna Sydow von German Watch berichtete über starken Druck, den die Regierungen in den Abbauregionen nicht selten ausübten, um Widerstände in der Bevölkerung zu brechen. Allein 2018 seien 43 Menschen in Konflikten um Bergbaugebiete getötet worden, sagte sie, die meisten von ihnen Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten. Sie warnte: Ohne verbindliche Regeln für verantwortungsvolle, globale Lieferketten und ohne klare menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards bestünden in den Ländern "fundamentale Risiken für die Sicherheit und Stabilität".

Die Experten nahmen auch die deutschen Unternehmen in die Pflicht. So stellte Gesine Ames vom Verein Ökumenisches Netz Zentralafrika klar, dass diese bei der Produktion von Ladestationen und Batterien vor Ort für bessere Umwelt- und Lebensbedingungen sorgen und gebenenfalls Druck auf die Regierungen ausüben müssten.

Wie schwierig das allerdings aus Sicht der Konzerne ist, versuchte Matthias Wachter, Rohstoffexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie, zu erklären. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen sei es problematisch, für alle Stufen der Lieferkette Sorgfaltsnachweise zu erbringen. Da der Rohstoffhandel angesichts der steigenden Attraktivität zudem von einem Nachfrage- zu einem Anbietermarkt geworden sei, gelinge es selbst deutschen Konzernen oft nicht, vor Ort Standards durchzusetzen - die Marktmacht der Anbieter sei so groß, dass diese sich ihre Kunden aussuchen könnten. "Die Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung bewusst", versicherte er gleichwohl. Nur könne die Durchsetzung von Menschenrechten auch nicht ausschließlich an die Konzerne delegiert und somit privatisiert werden.

Politik gefordert Die Blicke richten sich daher auch in Richtung Politik. Die Experten forderten ein deutsches Lieferkettengesetz sowie die Ausweitung der EU-Konfliktmineralienverordnung mindestens auf die Rohstoffe der E-Mobilität. Außerdem wollen sie, dass die Bundesregierung bei der aktuell laufenden Überarbeitung der Rohstoffstrategie von 2010 Umweltschutz- und Menschenrechts stärker berücksichtigt.

BGR-Vize Steinbach, Professor Michaelis und Michael Reckordt vom Verein Powershift machten sich darüber hinaus für höhere Recyclingquoten stark, um die Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern. Michaelis warnte die Politik überdies davor, bei den Antrieben allein auf Elektro zu setzen. Das allein sei kein Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, weil der Strom nach wie vor hauptsächlich aus fossilen Energieträgern gewonnen werde. Er empfahl der Regierung, technologieoffen zu bleiben und auch E-Fuels, Wasserstoff und Energiespeicher aus regenerativen Quellen weiterzuentwickeln.

Derzeit stellt die Bundesregierung jedoch alle Weichen in Richtung E-Mobilität. Auch das Bolivien-Projekt will die Koalition daher nicht so schnell verloren geben. Laut Wirtschaftsministerium steht sie bereits mit der deutschen Botschaft in Bolivien und der betroffenen deutschen Firma in Kontakt, um das weitere Vorgehen zu erörtern.