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Landtagswahl : Tabus, Ängste, Blockaden

Gerade in den schrumpfenden Regionen Thüringens gibt es eine große Angst vor Veränderungen und Statusverlust, sagt die Politikwissenschaftlerin Marion Reiser

11.11.2019
2023-08-30T12:36:30.7200Z
6 Min

Frau Reiser, nach den Landtagswahlen sieht es so aus, als würde in Thüringen erneut politisches Neuland betreten - mit einer wie auch immer gearteten Minderheitsregierung. Wie offen sind die Thüringer für solche Experimente?

Das rot-rot-grüne Experiment hat in der letzten Wahlperiode sehr gut funktioniert und so war der Rückhalt für die Arbeit der Regierung und des Ministerpräsidenten sehr hoch. Von einer grundsätzlichen Abneigung gegenüber neuen Modellen kann man also nicht sprechen. Vielmehr gibt es das Bewusstsein, dass es aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen neue kreative Lösungen geben muss. Aber natürlich vertreten die Thüringer keine einheitliche Position, welche Regierungskonstellation die beste wäre.

Ministerpräsident Bodo Ramelow genießt über Parteigrenzen hinweg große Popularität als sozusagen sozialdemokratischer Linken-Politiker. Ist sein Pragmatismus sein Erfolgsrezept?

Es ist nicht nur sein Pragmatismus. Er bedient sowohl auf parlamentarischer Ebene als auch als klassischer Landesvater das Image des Kümmerers. Denn ihm ist es einerseits gelungen, dass seine Regierung trotz einer sehr kleinen Mehrheit von nur einer Stimme im Landtag relativ geräuschlos gearbeitet hat. Andererseits wird es von den Bürgern als authentisch wahrgenommen und anerkannt, dass er sich um sozialen Ausgleich bemüht und ein Gespür für die Belange der Menschen hat. Drittens hat er natürlich auch von der guten wirtschaftlichen Lage in Thüringen profitiert.

In der CDU ist nach der Wahl eine heftige Debatte über eine Zusammenarbeit mit den Linken ausgebrochen.

Die CDU steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite gehört der Antikommunismus zur politischen DNA der Partei. Wenn man sich der Linken öffnen würde, dann wäre damit auch das Risiko verbunden, dass ein zentraler Kitt innerhalb der CDU verschwindet. Auch die Abgrenzung nach rechts, also gegenüber der AfD, wird aktuell in Thüringen in Frage gestellt. Auf der anderen Seite hat gerade unter Ramelow die Linkspartei ein eher sozialdemokratisches Profil entwickelt. Aus rein thüringischer Perspektive gäbe es also durchaus Argumente, für eine Öffnung zu plädieren. Ich denke, dass es jetzt keine kurzfristigen und einfachen Lösungen geben wird.

Kann man nach dem schlechten Abschneiden von CDU und SPD von einem Ende der Volksparteien in den Bundesländern reden?

Der größere Kontext, nämlich die vorangegangenen Wahlen in Sachsen und Brandenburg, zeigt vor allem, wie unterschiedlich die Lage der Parteien in den Bundesländern ist. In allen drei Bundesländern konnten die Parteien des amtierenden Ministerpräsidenten profitieren, in Brandenburg die SPD, in Sachsen die CDU und in Thüringen die Linke. Es gibt regional sehr unterschiedliche Hochburgen und dominante Stellungen der Parteien. Insofern kann man nicht allgemein von einem Ende der Volksparteien reden, sondern von einer stärkeren Ausdifferenzierung und dem Trend, dass der Ministerpräsident von seinem Amtsbonus profitieren kann.

Auf der anderen Seite haben SPD und Grüne nicht von ihrer Regierungsbeteiligung profitiert. Warum konnten sie mit ihren Themen nicht punkten?

Durch die Zuspitzung des Wahlkampfes auf den Dreikampf zwischen Linken, AfD und CDU konnten diese Parteien mit ihren Themen tatsächlich wenig punkten. Zudem profitieren die kleineren Koalitionspartner fast nie. Gleichzeitig sind SPD und Grüne traditionell in Thüringen in einer schwächeren Position. Schon seit 1999 ist die SPD nicht mehr die stärkste linke Kraft. Auf der anderen Seite haben die Grünen strukturelle Nachteile, weil das Land sehr ländlich geprägt ist. Auch bei dieser Wahl konnten sie nur in den urbanen Räumen gewinnen, aber nicht auf dem Land und waren selbst bei den jüngsten Wählern nur die viertstärkste Partei.

Nach dem Erfolg der Grünen bei der Europawahl wurde der Klimawandel zu dem zentralen, wahlentscheidenden Thema ausgerufen. Wie dominant war das Thema im Wahlkampf in Thüringen?

Es hat im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In Thüringen empfinden nur 15 Prozent der Wähler dieses Thema als besonders wichtig - im Gegensatz zum Bundestrend, wo es 40 Prozent sind. Im Wahlkampf ging es dagegen sehr stark um landespolitische Themen wie Bildung und Infrastruktur. Die Analysen zeigen uns, dass die Themen Umwelt und Klima wirklich nur für die Grünen-Wähler wahlentscheidende Themen waren. In anderen Milieus wurde es eher kritisch diskutiert. So war der Windradausbau ein Thema, das jenseits des grünen Wählermilieus für starke Ablehnung sorgte.

Die Jugend wählt grün - das scheint spätestens seit dieser Wahl nicht mehr zu gelten. Wer sind die vielen jungen Wähler, die nun der AfD in Thüringen ihre Stimme gegeben haben?

Wir haben auch bei den jungen Wählern große Unterschiede: Die Grünen konnten bei diesen durchaus punkten, nämlich vor allem bei den Frauen in den urbanen Zentren und bei Wählern mit einer vergleichsweise hohen Bildung. Die AfD hat dagegen überdurchschnittlich bei männlichen Wählern mit einfachen Berufen und in Wahlkreisen mit einer stark schrumpfenden Bevölkerung gepunktet.

Die AfD wurde bisher vor allem als Protestpartei gesehen. Inwiefern gilt das noch für Thüringen?

Die Protestwähler stellen mit 53 Prozent immer noch die Mehrheit, allerdings ist der Anteil im Vergleich zu früheren Wahlen deutlich gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil jener, die AfD gewählt haben, weil sie mit deren inhaltlichen Positionen übereinstimmen, gestiegen. Er liegt mittlerweile bei 39 Prozent.

Inwiefern spielte die eigene wirtschaftliche Lage für die Wahlentscheidung eine Rolle?

Im Wahlkampf spielten ökonomische Fragen nur eine untergeordnete Rolle. Das Land erlebt seit Jahren eine gute Wirtschaftsentwicklung, es hat die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1994. Zwischen 70 und 80 Prozent der Thüringer geben in Befragungen an, dass sie mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage und mit der Gesamtsituation zufrieden oder sehr zufrieden sind. Gleichzeitig verdichten sich auch in Thüringen der demografische Wandel und die Abwanderung der vergangenen Jahrzehnte zu einem Problem, das viele Menschen bewegt. Denn dadurch dominiert in vielen Regionen das Gefühl, abgehängt zu sein. Hier sehen wir einen relativ großen Frust bei vielen Menschen, insbesondere auch bei jungen Wählern. Dabei ist es nicht unbedingt so, dass es ihnen selber wirtschaftlich schlecht geht, sondern es ist eher die Angst vor einem kommenden Statusverlust und vor Veränderung.

Wie deutlich ist das Gefälle zwischen boomenden und eher abgehängten Regionen bei dieser Wahl gewesen?

Es gibt sehr große Unterschiede. In den schrumpfenden Regionen sind überwiegend die hochmobilen gebildeten Gruppen abgewandert mit der Folge, dass dort nun eine sehr homogene Bevölkerungsstruktur existiert von Menschen, die oft frustriert sind. Und es gibt ja auch tatsächlich objektive Faktoren, die dieses Gefühl widerspiegeln, wie die mangelnde Infrastruktur oder der Pflegenotstand auf dem Land. Im Wahlkampf konnte man gerade dort eine sehr starke Betonung der Angst vor Überfremdung beobachten, obwohl diese objektiv in diesen Regionen überhaupt nicht existiert. Aber es gibt eben insgesamt eine Abneigung gegen Veränderungsprozesse und insofern war auch die Migration ein dominierendes Thema.

Wie ausgeprägt sind denn diese fremdenfeindlichen Einstellungen?

Die Befragungen im Rahmen des "Thüringen-Monitors" haben ergeben, dass 50 Prozent der Wähler fremdenfeindliche Einstellungen äußerten. Und dies vor allem auch in Regionen, wo früher beispielsweise die NPD stark war und noch entsprechende Strukturen existieren.

Wirkt sich die eigene wirtschaftliche Lage direkt auf die Bewertung unseres demokratischen Systems allgemein aus?

Nicht unbedingt. Eine Mehrheit jener, die mit ihrer materiellen Situation zufrieden sind, gibt gleichzeitig an, dass sie die Sorge haben, auf die Verliererseite des Lebens zu geraten, dass ihre Anliegen nicht mehr wirksam vertreten werden und dass die Menschen keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung tut. 80 Prozent der Befragten des "Thüringen-Monitors" sagen, die Parteien sind nur an den Stimmen und nicht an den Belangen der Bevölkerung interessiert. Gleichzeitig gibt es aber sehr hohe Zustimmungswerte für die Demokratie, die 90 Prozent der Befragten als beste Staatsform bezeichnen. Die Demokratie wird also generell unterstützt, aber gleichzeitig werden die wahrgenommenen Repräsentationsdefizite durch Parteien deutlich kritisiert.

Marion Reiser leitet den Lehrstuhl für das politische System der Bundesrepublik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.