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Grundrente : Das Rezept ist fertig

Nach zähem Ringen hat sich die Koalition auf eine Mindestrente für Geringverdiener verständigt. Bis zu 1,5 Millionen Menschen sollen davon profitieren

18.11.2019
2023-08-30T12:36:30.7200Z
4 Min

Der Praxistest könnte noch interessant werden. Was Anfang vergangener Woche aus dem Munde der Koalitionsspitzen so einfach klang, bekam schon zwei Tage später von den Praktikern der Rentenversicherung einen recht deutlichen Dämpfer. Durch einen Datenaustausch zwischen den Finanzämtern und der Rentenversicherung sollen nach den Plänen von CDU/CSU und SPD die Ansprüche von Rentnern auf die neue Grundrente geprüft werden. Und da die Grundrente für Geringverdiener schon ab 2021 ausgezahlt werden soll und geübte Beobachter wissen, wie mittelmäßig deutsche Behörden mitunter ihre Daten untereinander austauschen, sind die Zweifel durchaus nachvollziehbar.

Zwei Tage nachdem die Koalition ihren monatelangen Streit über die Grundrente beigelegt und in ein Konzept gegossen hatte, warnte nämlich die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, vor erheblichen Problemen bei der Umsetzung der Grundrente. Schon die Ermittlung, wer von den 21 Millionen Rentnern die nötigen 35 Beitragsjahre aufweist, sei "alles andere als trivial", denn möglicherweise gebe es gar nicht von allen die nötigen Daten. Werde der elektronische Datenaustausch mit den Finanzbehörden nicht rechtzeitig realisiert, benötige die Rentenversicherung mehrere tausend zusätzliche Mitarbeiter, warnte Roßbach. Ein Worst-Case-Szenario, das die Freudenstimmung innerhalb der Koalition etwas eintrüben dürfte.

Einkommen statt Vermögen Dabei hatte die Woche so gut angefangen: Noch Anfang des Jahres drohte die Koalition an der Frage der Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente zu scheitern. Nun starteten die erleichterten Koalitionäre mit einem Kompromiss in die vergangene Woche, der Folgendes vorsieht: Eine Bedürftigkeitsprüfung, bei der die Rentner ihr gesamtes Vermögen offenlegen müssen, soll es nun nicht mehr geben. Dies hatte die Union gefordert, mit dem Argument, andernfalls bekämen zu viele nicht bedürftige Menschen die Grundrente - Stichwort: Zahnarztgattin. Stattdessen gibt es nun lediglich eine automatische Einkommensprüfung durch die Rentenversicherung.

Das bedeutet: Hat man 35 Jahre Beiträge (inklusive Kindererziehungs- oder Pflegezeiten) in die Rentenkasse eingezahlt, prüft die Rentenversicherung automatisch, ob ein Anspruch besteht. Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) hatte vergangene Woche aber auch angekündigt, dass es eine "kurze, wirksame Gleitzone" für die Beitragsjahre geben soll, um zu verhindern, dass jemand mit etwas weniger als 35 Beitragsjahren leer ausgeht.

Anspruch auf Grundrente besteht darüber hinaus nur, wenn das Einkommen nicht mehr als 1.250 Euro (Paare: 1.950 Euro) beträgt. Auch hier soll es aber Gleitzonen geben, die Details sind noch unklar.

Hat man diese Bedingungen erfüllt, berechnet die Rentenversicherung die Entgeltpunkte: Wer genauso viel verdient wie der Durchschnittsverdiener (2018 waren das monatlich 3.156 Euro im Westen Deutschlands), der sammelt dafür pro Jahr einen Entgeltpunkt. Verdient man 80 Prozent des Durchschnittseinkommens, sind es 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr, bei 30 Prozent nur 0,3 Entgeltpunkte. Bekommen soll die Grundrente, wer weniger als 80 Prozent, aber mehr als 30 Prozent der Beiträge des Durchschnittsverdieners eingezahlt hat. Die erreichte Rentenleistung wird verdoppelt, jedoch höchstens auf 80 Prozent der Durchschnittsleistung und für maximal 35 Jahre. Dieser Zuschlag wird dann allerdings um 12,5 Prozent gekürzt, um das Äquivalenzprinzip - die Abhängigkeit der Renten von den Beiträgen - nicht ganz aufzugeben.

Auch diese Verdopplung der Rentenleistung kann aber unter Umständen nicht ausreichen, um mit der Grundrente über der Grundsicherung im Alter zu liegen. Für diesen Fall soll es einen Freibetrag geben, bis zu dem die eigene Rente nicht mit der Grundsicherung verrechnet wird. Auch beim Wohngeld wird ein anrechnungsfreier Freibetrag eingeführt. Damit soll sichergestellt werden, dass auch diese Rentner letztlich ein Einkommen zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung haben.

Geteiltes Echo Die Resonanz auf das Paket war vor allem bei Sozialverbänden und Gewerkschaften positiv. "Altersarmut zu vermeiden, ist eine elementare Anforderung an einen Sozialstaat", die Grundrente leiste dazu einen wichtigen Beitrag, lobte etwa der Präsident des Deutsches Caritasverbandes, Peter Neher. Als "Schritt in die richtige Richtung", der noch verbesserungsbedürftig sei, charakterisierte Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband den Kompromiss. Wirtschaftsverbände dagegen kritisierten die Einigung. Als "Dammbruch", weg von der Lohnleistungsrente hin zu immer mehr beitragsunabhängigen, aus Steuern finanzierten Leistungen bezeichnete etwa Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft die Grundrente.

Und die Parteien? Die Union hatte vergangene Woche Mühe, die parteiinternen Kritiker wieder einzufangen. Diese hatten vor einem Gießkannen-Prinzip gewarnt und kritisiert, dass die Grundrente nicht generationengerecht sei. Peter Weiß, Sozialexperte der Union, betonte dagegen: "Die Grundrente stärkt die Akzeptanz der Rentenversicherung." Ungewohnt ruhig ging es hingegen in der SPD zu, auch wenn deren linker Flügel zu viele Zugeständnisse an die Union kritisierte. "Die Grundrente sorgt für mehr Leistungsgerechtigkeit und mehr Sicherheit im Alter", zeigte sich hingegen Hubertus Heil überzeugt.

Kritik kam von den Liberalen. Johannes Vogel, Rentenexperte der FDP-Fraktion, sagte, ohne echte Bedürftigkeitsprüfung entstünden neue Ungerechtigkeiten. AfD-Chef Jörg Meuthen bezeichnete die Grundrente als "Sozialdemagogie auf Kosten der Jüngeren". Den Linken geht das Konzept nicht weit genug. Matthias W. Birkwald, Rentenexperte der Fraktion, sagte, um Altersarmut zu bekämpfen, müsse das Rentenniveau für alle steigen und alle Menschen mit Erwerbseinkommen müssten in die Rentenversicherung einzahlen. Wie die Linken kritisierten auch die Grünen die Zugangshürden als zu hoch. Markus Kurth, Rentenfachmann der Grünen-Fraktion, warb für die "Grüne Garantie-Rente", für die 30 Beitragsjahre ausreichten. Eine vernünftige Grundrente müsse sich daran messen, wie effektiv sie Altersarmut verhindere, so Kurth.

Zweifel hat auch die Bertelsmann-Stiftung. Sie warnte erst im September davor, dass die Armutsgefährdung im Alter in den nächsten 20 Jahren von knapp 17 auf 21 Prozent steigen werde, im Osten verdopple sie sich sogar. Das Konzept der Koalition könne den Anstieg der Altersarmut kaum bremsen und verringere das Armutsrisiko bis 2039 nur um 0,4 Prozentpunkte, kritisierte Christof Schiller von der Stiftung.

Die Diskussion um eine armutsfeste Mindestrente, die die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrem Konzept einer "Lebensleistungsrente" 2012 angestoßen hatte und mit dem sie sich doch nicht durchsetzen konnte - sie ist noch lange nicht zu Ende. Aber sie machte vor einer Woche nach Jahren immerhin einen "ersten Schritt".