Piwik Webtracking Image

Parlamentarisches Profil : Der Kämpfer: Matthias W. Birkwald

16.12.2019
2023-08-30T12:36:32.7200Z
3 Min

E r hat das Zitat nach mehr als anderthalb Jahrzehnten noch abrufbereit im Kopf. Nein, korrigiert Matthias Birkwald, nicht von "einer der schöneren", sondern von "einer der schönsten Nächte" seines Lebens habe Horst Seehofer damals gesprochen. Es war im lauen Frühsommer des Jahres 2003, als der Sozialexperte der Union mit der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt etwas ausheckte, was dem Linken-Abgeordneten Birkwald bis heute als Schurkenstück vorkommt, die Ausplünderung der Betriebsrentner zugunsten der gesetzlichen Krankenkassen. "Ich kämpfe seit rund fünf Jahren an der Seite der Betroffenen", sagt Birkwald.

Man müsse sich das doch einfach mal vorstellen: Zunächst hätten damals Regierung und Opposition in schöner Eintracht "das gesetzliche Rentenniveau politisch willkürlich in den Sinkflug" geschickt und den Menschen erklärt, sie müssten künftig eben zusätzlich privat vorsorgen. Viele hätten daraufhin eine Betriebsrente abgeschlossen, um dann festzustellen, dass sie bis zu 20 Prozent des Ersparten an Kranken- und Pflegekasse abtreten müssen. "Erst angelockt, dann abgezockt" lautet der Reim, den sich Birkwald darauf gemacht hat.

Von "Doppel-", gar von "Dreifach-Verbeitragung" sprechen Wortführer der Betroffenen. Schließlich stamme das angesparte Altersvermögen in vielen Fällen aus Einkommen, auf das der Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung bereits entrichtet wurde, und müssten Betriebsrentner heute den vollen Satz, also auch den Arbeitgeberbeitrag, zahlen. Gemeinerweise hätten Seehofer und Schmidt auch keinen Vertrauensschutz für Inhaber bereits bestehender Altverträge vorgesehen, als sie die Regelung in ihren Gesundheitsreform-Kompromiss aufnahmen: "Sie suchten eine Finanzierungsquelle für leere Sozialkassen und haben die Betriebsrentner gefunden."

Abhilfe verheißt erst jetzt ein Gesetzentwurf, den die Koalition in der vorigen Woche beschloss. Demnach verwandelt sich die geltende "Freigrenze" von rund 155 Euro in einen "Freibetrag". Das ist mehr als nur Wortklauberei. Wenn bisher eine Betriebsrente nur um einen Cent über der Freigrenze lag, bestand Beitragspflicht für die gesamte Summe. Künftig soll nur der über dem Freibetrag liegende Anteil herangezogen werden.

Birkwald spricht von einem "Schritt in die richtige Richtung". Zufrieden ist er nicht. Für Bezieher kleiner Betriebsrenten sei das "eine gute Sache". Wer 1000 Euro und mehr bekomme, werde "nur bedingt begeistert" sein. Besser wäre es, meint er, Einzahlungen während der "Ansparphase" mit dem Arbeitnehmeranteil zu belasten und dafür die Leistungen im Alter beitragsfrei zu stellen. Zumindest wünscht er sich einen rückwirkenden Vertrauensschutz für Verträge aus der Zeit vor 2004: "Die Linke war bei diesem Thema die erste", sagt Birkwald. "Immer an unserer Seite hatten wir allerdings die FDP und die Versicherungswirtschaft."

Rente ist das politische Lebensthema des 58-jährigen gebürtigen Münsteraners, der seit früher Kindheit in Köln beheimatet ist: "Das habe ich mir erkämpft." Als Birkwald 2009 erstmals in den Bundestag einzog, hatte seine Fraktion ihn zunächst als Gesundheitsexperten vorgesehen. Er weigerte sich. Warum? Wegen der Bedeutung des Themas, das eine gewaltige Mehrheit der Menschen in Deutschland betreffe, 74 Millionen derzeitige und künftige Rentner.

Birkwald plädiert für den Systemwechsel. Er findet die demographischen Risiken für die Rentenkasse im geläufigen Expertendiskurs weit überschätzt. Der seit dem 19. Jahrhundert erzielte Produktivitätsfortschritt werde dabei regelmäßig ausgeblendet, die Öffentlichkeit mit reiner Arbeitgeber-Propaganda "beballert". Ginge es nach Birkwald, würde die Riester-Rente ins gesetzliche System integriert. Ein Durchschnittsverdiener würde dann derzeit statt 120 nur 39 Euro zusätzlich im Monat bezahlen. Allerdings: "Sein Chef auch - der will das nicht." Das sei der Knackpunkt. Winfried Dolderer