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FAMILIE : Die starken Schwachen

Bundestag debattiert über verbesserte Finanzhilfe für Kinder. Ruf nach Grundsicherung wird lauter

18.02.2019
2023-08-30T12:36:16.7200Z
4 Min

Etwa 4,4 Millionen Kinder sind in Deutschland nach Schätzungen des Kinderschutzbundes von Armut betroffen - etwa 1,4 Millionen mehr als in den offiziellen Statistiken verzeichnet. Ein Grund sei, dass viele Familien staatliche Leistungen nicht in Anspruch nehmen, verkündete Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers im August vergangenen Jahres. "Oft liegt es daran, dass die Eltern mit den bürokratischen Abläufen überfordert sind oder sich schlichtweg dafür schämen."

Am vergangenen Donnerstag beriet der Bundestag nun über den von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegten Entwurf des "Starke-Familien-Gesetzes" (19/7504), mit dem die Koalition der Kinderarmut zu Leibe rücken will. Im Kern geht es um eine Erhöhung des Kinderzuschlages auf 185 Euro pro Kind und Monat für Geringverdiener und einen Ausbau des Bildungs- und Teilhabepakets (siehe Text unten). "Wir wollen, dass Eltern nicht deshalb arm werden, weil sie Kinder haben", sagte Giffey. Der Bund werde deshalb mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich in den nächsten Jahren ausgeben und der Kreis der Anspruchberechtigten werde auf zwei Millionen Kinder erweitert. Auch Kinder von Alleinerziehenden sollen verstärkt in den Genuss des Kinderzuschlags kommen.

Die Ministerin räumte ein, dass derzeit lediglich 30 Prozent der Anspruchsberechtigten den Kinderzuschlag auch beantragen. Das Ziel müsse es sei, die Quote auf 100 Prozent zu bringen. Deshalb werde derzeit auch das Antragsformular überarbeitet, es soll deutlich vereinfacht werden. Zukünftig soll der Kinderzuschlag digital und über jedes Smartphone beantragt werden können.

Komplizierte Antragsverfahren Das Urteil der Oppositionsfraktionen über die Gesetzesvorlage fiel gewohnt kritisch, aber auch ungewohnt einhellig aus: Von AfD bis Linksfraktion begrüßten sie zwar einerseits die Erhöhung des Kinderzuschlags und den Ausbau des Bildungs- und Teilhabepakets, zugleich bemängelten sie aber, dass auch zukünftig viel zu wenige Familien in den Genuss der Leistungen kommen würden. Der familienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Grigorios Aggelidis, hielt der Koalition vor, dass laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage seiner Fraktion, der Anteil der Empfänger des Kinderzuschlags lediglich von 30 auf 35 Prozent steigen werde. Die Gründe dafür seien das zu komplizierte Antragsverfahren und der Umstand, dass die Leistung alle sechs Monate erneut beantragt werden müsse. Der Kinderschutzbund habe völlig recht, so befand Aggelidis, wenn er das Starke-Familien-Gesetz als Starke-Bürokratie-Gesetz bezeichne. Die FDP brachte einen Antrag (19/7692) ein, in dem sie für eine dreistufige Kindergrundsicherung, bestehend aus einkommensabhängigen und einkommensunabhängigen Leistungen ausspricht.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rechnete vor, dass sich die Erhöhungen beim Kinderzuschlag sowie beim Bildungs- und Teilhabepaket für die betroffenen Familien auf circa 50 bis 70 Euro belaufen: "Natürlich ist das viel Geld. Aber das bringt wirklich keine Familie und keine Kinder aus der Armut raus." Statt sich im "Klein-Klein" zu verzetteln, müsse die Koalition die Regelsätze anheben, um das soziokulturelle Existenzminimum in bedarfsdeckender Höhe abzusichern, und schließlich eine Kindergrundsicherung einführen.

Für eine Erhöhung der Regelsätze und eine Kindergrundsicherung sprach sich auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus, die dazu einen eigenen Antrag (19/7451) vorlegte. Die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Katja Dörner, begrüßte zwar die Erhöhung des Kinderzuschlags, bemängelte jedoch zugleich, dass dieser nicht automatisch an die anspruchsberechtigten Familien ausgezahlt werde: "Alle, die den Kinderzuschlag brauchen, müssen den Kinderzuschlag auch bekommen."

»Mogelpackung« Der AfD-Familienpolitiker Martin Reichardt bezeichnete die Gesetzesvorlage als eine weitere "Mogelpackung" von Familienministerin Giffey. So wie das Gute-Kita-Gesetz keine guten Kitas hervorbringe, stärke das Starke-Familien-Gesetz die Familien nicht ausreichend, urteilte Reichardt (siehe auch Interview auf Seite 2).

Unterstützung für Giffeys Gesetzesentwurf kam hingegen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen. "Dieses Gesetz ist eine der großen familienpolitischen Maßnahmen in dieser Legislaturperiode", sagte die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Nadine Schön (CDU). Es helfe Familien, die arbeiten und bei denen das Geld kaum reiche, um über die Runden zu kommen, sowie Alleinerziehenden und Familien im Sozialleistungsbezug, die ihren Kindern mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen wollen. Für die Union sei es besonders wichtig, dass zukünftig die sogenannte harte Abbruchkante abgeschafft werde. Dadurch falle der Kinderzuschlag bei steigendem Einkommen nicht automatisch komplett weg, sondern laufe langsam aus. "Wer mehr arbeitet, der soll auch mehr in der Tasche haben." Das Gesetz bilde insgesamt den richtigen Ansatz im Kampf gegen Kinderarmut.

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt bezeichnete das Gesetz als Beitrag "für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit". Die Sozialpolitikerin betonte zugleich, dass dies für die SPD nur ein erster Schritt sei, und verwies auf den Beschluss auf der Klausurtagung ihrer Partei, eine Kindergrundsicherung einführen zu wollen. Dies könnte jedoch für Zündstoff in der Großen Koalition sorgen. Bislang hat die Union eine Kindergrundsicherung immer abgelehnt.