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EinstieG : Kohle im Ost-West-Konflikt

In Südostasien wächst die Kohleverstromung so stark, dass sie alle Klimaziele bedroht

09.03.2020
2023-08-30T12:38:14.7200Z
5 Min

Im Mai 2019 erreichte Großbritannien einen historischen Punkt: Für 18 Tage und sechs Stunden versorgte sich das Land vollständig mit Strom, der nicht aus Kohle gewonnen wurde. Elektrizität aus Kohle, die noch 2012 etwa 40 Prozent des Bedarfs deckte, macht inzwischen nur noch etwa fünf Prozent aus. Den Rest erledigen Gas, Atomkraft und Erneuerbare Energien.

Im Mutterland der Industriellen Revolution begann 1882 das Kohle-Zeitalter, als in London das weltweite erste Kohlekraftwerk gebaut wurde. Nun ist Großbritannien wieder Vorreiter unter den traditionellen Industrieländern - beim Abschied von der Energieform, die mit dem höchsten CO2-Anteil weltweit am meisten zur Klimakrise beiträgt. Seit 1990 hat das Vereinigte Königreich seine CO2-Emissionen laut offizieller Statistik um 42 Prozent gesenkt, während die Wirtschaft um über 70 Prozent gewachsen ist. 2025 soll ganz Schluss sein mit dem "schwarzen Gold". Wirtschaftsminister Greg Clark sagte: "Wir werden das erste größere Industrieland sein, das Null-Emissionen gesetzlich festschreibt."

Großbritannien ist beim Ausstieg aus der Kohle Vorreiter, aber nicht die Ausnahme. Ganz im Gegenteil: In den klassischen Industrienationen sinkt der Kohleverbrauch in den vergangenen Jahren drastisch, weil Klimaschutz und niedrige Preise für erneuerbare Energien Druck machen. Die Welt insgesamt ist allerdings von einem Kohleausstieg noch weit entfernt. Statistiken und Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA zeigen: Global gesehen stagniert der Kohleverbrauch, der etwa 40 Prozent des Stroms und des Klimagases CO2 produziert, auf hohem Niveau. Während Europa und die USA abbauen, legt vor allem Südostasien noch zu.

Unter den klassischen Industrieländern ist Deutschland mit seinem Kohleausstieg bis 2038 ein Nachzügler. Das Land mit dem global höchsten Verbrauch am weltweit CO2-intensivsten Brennstoff Braunkohle gibt sich stolz auf diesen "historischen Kraftakt", wie der Vorsitzende der "Kohlekommission", Roland Pofalla, sagte. Etwa 50 Milliarden Euro an Strukturhilfen und Entschädigungszahlungen sollen dafür über die nächsten 20 Jahre fließen. Tatsächlich ist die Kohlenutzung in Deutschland 2019, im Jahr nach dem Kohlekompromiss, auch massiv eingebrochen. Es wurde etwa 20 Prozent weniger Kohle verfeuert. Das war allerdings vor allem eine Reaktion auf die steigenden Preise im EU-Emissionshandel.

Ebenfalls 2019 wurde Deutschland in einen bis dahin exklusiven Club aufgenommen: Die "Allianz der Länder, die für eine Zukunft nach der Kohle Druck machen". Diese "Powering Past Coal Alliance" (PPCA) wurde 2017 von Großbritannien und Kanada zusammengebracht, um international das schnelle Kohle-Aus voranzutreiben. Die 97 Mitglieder - darunter Staaten wie Dänemark, Frankreich, Schweden, Bundesstaaten und Städte wie Kalifornien, Ontario oder Taipeh und Unternehmen wie EDF, Iberdrola und Hermes - verpflichten sich, keine neue Kohlekraftwerke zu bauen oder zu finanzieren und Pläne für das Kohle-Aus vorzulegen. Ursprünglich galt 2030 als spätestes Datum. Um die Deutschen und andere an Bord zu bekommen, wurden die Regeln verwässert.

In der PPCA sind viele Länder weiter als Deutschland - auch, weil sie kaum auf Kohle angewiesen sind. Frankreich etwa stützt sich für den Strom vor allem auf Atomkraft, Kanada ringt mit seiner Produktion von Öl, Gas und Ölsänden. Aber selbst im Kohle-Land Polen liegt inzwischen der lang geplante und hoch umstrittene Neubau des Kohlekraftwerks Ostroleka C auf Eis. Der Grund: Es finden sich keine Geldgeber.

Weltweit ist klar: Wenn das Pariser Abkommen zum Klimaschutz eingehalten werden soll, das die Erderwärmung bis 2100 auf möglichst 1,5 Grad begrenzen soll, darf nur noch ein kleiner Teil der globalen Kohlereserven verbrannt werden. Insgesamt müssten bis 2030 etwa 80 Prozent der jetzigen Kohleverbrennung enden, bis 2040 muss Kohle praktisch bei Null sein, hat der Thinktank "Climate Analytics" errechnet. Die Länder müssen damit auf eine relativ sichere, heimische, erprobte und kurzfristig billige Energiequelle verzichten. Das fällt umso leichter, je billiger und verfügbarer Alternativen sind. Und je mehr Druck es aus Wissenschaft und Umweltverbänden gibt, die Klimaziele ernst zu nehmen.

Die USA allerdings legen einen rapiden Kohle-Ausstieg hin, obwohl Präsident Donald Trump immer wieder versprach, er werde "die Kohle zurückbringen". Die Realität sieht ganz anders aus, der Verbrauch fällt jedes Jahr um etwa vier Prozent, schätzt die IEA. Seit Trumps Amtsantritt ist die Verbrennung von Kohle für Strom in den USA um etwa ein Viertel zurückgegangen. Während Deutschland 2019 noch 38 Prozent an Kohle im Strommix hatte, ist er in den USA, die aus dem Pariser Abkommen aussteigen, auf 22 Prozent gesunken. Grund dafür ist vor allem das billige Gas, das in den USA den Markt überflutet. Durch das umstrittene "Fracking" schwimmen die Märkte in Öl und Gas, die Preise sind im Keller. Ob der Umstieg auf Gas dem Klima viel nützt, bezweifeln Wissenschaftler allerdings: Durch die hohen Verluste des extrem klimaschädlichen Methans aus Bohrlöchern und Pipelines könnten die USA deutlich mehr zum Klimawandel beitragen, als der Kohleausstieg vermuten lässt.

Eine gespaltene Welt zeigt auch der IEA-Bericht zur Zukunft der Kohle von Ende 2019: "Über die nächsten fünf Jahre sagen wir einen stabilen globalen Kohlemarkt voraus", schreiben die Experten. China, Indien und andere asiatische Volkswirtschaften führen demnach die Entwicklung an. In China, dem weltgrößten Kohlemarkt, erwartet die IEA den Höhepunkt für 2022. Diese Stabilität könnte nur "unterminiert werden durch stärkere Klimapolitik, niedrigere Gaspreise oder Entwicklungen in China".

Die Ökonomie spricht immer öfter gegen die Kohle: Erneuerbare Energien sind inzwischen bei Neubauten in vielen Märkten billiger als Kohle. Selbst wenn man die Kosten für Energiespeicher dazurechnet, die Erneuerbare gegenüber der Kohle brauchen, um sicher Strom zu liefern, sind erste Projekte schon konkurrenzfähig, zeigen etwa Zahlen des Fraunhofer Instituts für solare Energiesysteme ISE.

Trotzdem erlebt die Kohle einen Boom: Die Ausbaupläne etwa in Indonesien, Indien, Pakistan oder Bangladesch haben viele Gründe, sagte Michael Jakob, Kohle-Experte beim Mercator Institute on Global Commons and Climate Change (MCC): "Vor allem ärmere Länder, die schnell eine erprobte Technik für die Elektrifizierung bevorzugen und leicht verfügbare heimische Ressourcen nutzen möchten, setzen auf die Kohle", sagt er. Am MCC führen Experten gerade umfangreiche Analyse zur "politische Ökonomie der Kohle" durch, weil der anhaltende Boom sämtliche Klimaziele gefährdet. Dabei zeige sich: Kohle wächst vor allem dort, wo sie eine starke politische und wirtschaftliche Lobby hat. In Indien etwa subventioniert die staatliche Kohleindustrie über die Frachtraten die staatliche Eisenbahngesellschaft. Trotz eines sehr ehrgeizigen Solarprogramms für den ländlichen Raum setzt das Land daher weiter stark auf Kohle.

Dazu kommt: Die Finanzierung von Kohleprojekten ist oft einfacher als bei Erneuerbaren. China hilft mit großzügigen Krediten, etwa beim Programm der "neuen Seidenstraße", auch um die chinesische Kraftwerksindustrie auszulasten. Die Finanzierung von Wind- oder Solarprojekten ist oft ungewohnt und bei heimischen Behörden schwer durchzusetzen und am Anfang sehr teuer, weil die meisten Kosten am Beginn anfallen. Gebraucht werde, so Jakob, eine "finanzielle und politische Risiko-Minderung"

Einen radikalen Vorschlag hat deshalb der Chef der IEA.Fatih Birol: Die Schwellenländer aus ihren Kohleprojekten rauszukaufen: "Wir müssen einen Finanzierungsmechanismus schaffen, um diese Länder zu entschädigen, wenn sie ihre Kraftwerke früher vom Netz nehmen." Das werde sicher "Billionen von Dollar kosten", sagt der IEA-Chef, aber "die Kohleflotte in diesen Ländern kann noch 40 Jahre laufen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir den Klimazielen 'Auf Wiedersehen' sagen." Bernhard Pötter

Der Autor ist Redakteur der "tageszeitung" in Berlin.