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Ortstermin: Besuch bei einer Britin in Konstanz : »Meine Heimat ist mir fremd geworden«

14.04.2020
2023-08-30T12:38:15.7200Z
3 Min

Seit einem Jahr lebt die Britin Madelaine Pitt in Konstanz am Bodensee. Dort, im Dreiländereck, studiert die 27-Jährige, die aus den West-Midlands kommt, an der Universität Konstanz Politikwissenschaft. Als sie dort ankam, verspürte sie vor allem eins: Erleichterung. Erleichterung, nicht mehr in ihrer so polarisierten Heimat mit der aufgeheizten Stimmung leben zu müssen. "Ich hatte schon länger überlegt, meinen Master im Ausland zu machen und hier kann ich auf Englisch studieren", sagt Pitt. Die Stadt empfinde sie als international und weltoffen.

Der Brexit ist für sie zu einem Dauerthema geworden und hat ihr Leben nachhaltig verändert. Kurz nach ihrer Immatrikulation forderte die Universität sie schriftlich auf, Studiengebühren zu zahlen. "Anscheinend war ihnen nicht klar, dass Briten, solange das Übergangsabkommen gilt, wie alle anderen Bürger der Europäischen Union (EU) behandelt werden müssen", berichtet sie. Mit diesem Problem war sie nicht die einzige britische Studentin in Deutschland, ein mulmiges Gefühl blieb trotzdem.

Erst mit der Zeit realisierte Pitt, wie sehr sich Großbritannien verändert hat seit 2016. "Meine Heimat ist mir fremd geworden", erklärt Pitt. Beim Referendum habe sie nicht glauben können, dass der Brexit wahr werde. Erst als die damalige Premierministerin Theresa May sagte, Großbritannien werde den Binnenmarkt verlassen, habe sie richtig verstanden, was das bedeutet: "Ab dem Moment bin ich für 'Remain' auf die Straße gegangen und habe bereut, dass ich das nicht schon 2016 getan habe", erinnert sich Pitt. Jetzt schäme sie sich dafür, wie die Regierung, EU-Ausländer behandelt: "Ich bin einerseits wütend, dass diese Menschen auf einmal nicht mehr willkommen sein sollen. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob ich mein Heimatland vielleicht nicht gut genug gekannt habe", sagt sie. Der Brexit habe sie stark politisiert - vorher habe sie nur vor sich hin studiert. "Ich bin immer davon ausgegangen, dass nichts Schlimmes passieren wird, bis mir klar wurde, wie schnell eine nationalistische Ideologie im Mainstream ankommen kann."

Ende Januar 2020 folgte dann die für sie schwerste Zeit: "In den zwei Wochen vor dem EU-Austritt habe ich kaum mehr die Nachrichten verfolgt, weil ich so niedergeschlagen war", sagt Pitt. Ihr Umfeld in Konstanz teile ihre Meinung, dass der Brexit ein Fehler sei, aber in ihrer Heimatstadt und auch in der Familie habe es Menschen gegeben, die das fundamental anders sehen. "Die allermeisten Briten wollen jetzt nur noch, dass das Thema durch ist", berichtet sie. Bevor sie ein Auslandssemester in Frankreich gemacht habe, habe sie Mitbürger verstanden, die sagten, man könne nicht Brite und Europäer gleichzeitig sein. "Jetzt wissen viel mehr Menschen als vorher, was sie verlieren. Aber dass Großbritannien wieder Teil der EU werden könnte, liegt, denke ich, in ferner Zukunft", sagt Pitt.

Für kommende Generationen junger Briten werde viel davon abhängen, welche Möglichkeiten die EU ihnen einräume. Dass es schwieriger wird, internationale Erfahrungen zu machen, sei aber klar. Es ist Trotz in ihrer Stimme, wenn Pitt über ihre Heimat spricht. Sie fühle sich "europäischer denn je", sagt sie. Auch deshalb wünscht sie sich, nach ihrem Uniabschluss eine berufliche Zukunft in der EU - vielleicht sogar in Brüssel. Lisa Brüßler