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BEZIEHUNGEN : Scharmützel nach der Scheidung

Noch ist ein harter Brexit nicht vom Tisch

14.04.2020
2023-08-30T12:38:15.7200Z
4 Min

Die dritte Verhandlungsrunde hätte Anfang April stattfinden sollen. Nach dem EU-Austritt Großbritanniens Ende Januar sollten Vertreter beider Seiten in Brüssel die künftigen Beziehungen ausloten. Doch in der EU-Hauptstadt läuft der Politbetrieb genauso wie in London in diesen Tagen nur in sehr gedämpfter Form. Die Corona-Pandemie hat beide Verhandlungsführer erreicht. Sowohl EU-Chefunterhändler Michel Barnier als auch sein britischer Kollege David Frost sind wegen Covid-19 in Selbstisolation. Und Großbritanniens Premier Boris Johnson musste ins Krankenhaus.

Noch ist überhaupt nicht abzusehen, wie es mit den Gesprächen von EU und Großbritannien weitergeht. Einen Termin für die dritte Runde gibt es so wenig wie für die weiteren Treffen, die im Mai und Juni abwechselnd in Brüssel und London geplant waren. Der Kontakt über den Kanal sei nicht abgerissen, heißt es aus der EU-Kommission. Aber Videokonferenzen, wie sie EU-Minister und Regierungschefs in diesen Tagen nutzen, kommen für die Brexit-Unterhändler nicht wirklich in Frage. Rund jeweils hundert Beamte gehören auf beiden Seiten zum Team. Eine Videoschalte wäre ein schlechter Ersatz für persönliche Treffen.

"Die Coronavirus-Pandemie macht einen ohnehin schon ehrgeizigen Zeitplan noch komplizierter", sagt der deutsch-schottische Europaabgeordnete David McAllister (CDU), der die Großbritannien-Kontaktgruppe des EU-Parlaments leitet. Sein Rat: "Unter den gegebenen Umständen sollte London eine Verlängerung sorgfältig untersuchen." Bisher hat sich der britische Premierminister einem Verlängerungsantrag heftig widersetzt. Er hatte mit dem Versprechen, den Brexit so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, im Dezember die Wahl gewonnen und will die Verbindung zur EU schnell kappen. Eine Verlängerung müsste er bis Ende Juni beantragen.

Unvereinbar Schon vor der Corona-Pandemie hatten die Beteiligten mit schwierigen Gesprächen gerechnet. EU-Handelskommissar Phil Hogan sprach nach der ersten Verhandlungsrunde Anfang März von "Eröffnungsscharmützeln", wie man sie vom körperbetonten irischen Nationalsport Hurling kenne.

Die beiden ersten Treffen zeigten einen Grundkonflikt. Boris Johnson will einen möglichst weitreichenden Zugang zum Binnenmarkt der EU, ohne sich deren Regeln zu unterwerfen. Die EU pocht dagegen auf die Einhaltung der im Binnenmarkt geltenden Sozial-, Umwelt- und Klimastandards. Beide Positionen lassen sich nicht miteinander verbinden. Frankreich fordert sogar, dass London auch künftige EU-Standards übernehmen soll. Eine solche dynamische Anpassung der Regulierung passt jedoch überhaupt nicht zu Johnsons Versprechen, dass Großbritannien künftig selbst über sein Schicksal entscheidet.

Die britische Position birgt Widersprüche. Großbritannien will die Zollunion mit der EU verlassen, damit das Land Freihandelsabkommen mit anderen Ländern wie den USA abschließen kann. Gleichzeitig will London aber einen Zugang zum EU-Markt ohne Zölle und Quoten, über den nicht einmal Kanada verfügt, das ein sehr weitreichendes Freihandelsabkommen mit der EU ausgehandelt hat.

Johnson setzt große Hoffnungen auf ein Abkommen mit den USA, unterschätzt dabei aber die unterschiedliche Verhandlungsmacht beider Seiten. "Die USA sind bereit, schnell ein Abkommen abzuschließen, aber zu ihren Konditionen, die Chlorhühnchen und geringer Zugang bei Finanzmärkten enthalten werden", heißt es dazu in Brüssel. Britische Unterhändler haben in Brüssel zu verstehen gegeben, sich vorstellen zu können, dass britische Produzenten unterschiedlichen Regeln - je nach Absatzmarkt - einhalten würden. Ein Landwirt würde dann in einem Teil seiner Farm Hühner nach den strengeren EU-Regeln für den europäischen Markt aufziehen und in einem anderen Teil die weicheren US-Regeln einhalte. Bei den Gesprächspartnern in Brüssel hat das für Irritation gesorgt.

Starke Position Auf dem Papier hat die EU beim Thema Handel eine starke Position. Großbritannien ist mehr von der EU abhängig als umgekehrt. Rund 46 Prozent der britischen Ausfuhren gehen in die EU, aber nur rund 17 Prozent der EU-Ausfuhren nach Großbritannien. Gleichwohl ist ein harter Brexit immer noch nicht vom Tisch. Wenn beide Seiten nicht zueinander finden, dann würde der Handel nach den Regeln der Welthandelsorganisation stattfinden. Johnson und sein Unterhändler haben anklingen lassen, dass die Vorstellung eines harten Brexit sie nicht schreckt. In Brüssel wird schon darüber spekuliert, dass die Londoner Regierung an Zolleinnahmen interessiert sein könnte, die dann in den britischen Haushalt fließen würden.

Jenseits des Themas Handel geht es bei den Gesprächen zu den künftigen Beziehungen um eine Vielzahl von Fragen, etwa zur Zusammenarbeit im Bereich Äußeres und Sicherheit. Zwei Themen sind besonders dringend. So wollen die Europäer den Zugang zu den britischen Fischereigründen erhalten. Die EU hat ein Fischereiabkommen bis Juli 2020 gar zur Bedingung für weitere Gespräche gemacht. Länder wie Frankreich und die Niederlande haben ein großes Interesse, dass ihre Fischer weiter vor den britischen Küsten fangen können.

Zugleich haben die Europäer mit dem Zugang zu ihren Finanzmärkten einen echten Trumpf im Verhandlungspoker, denn London will seinen Finanzdienstleistern auch weiterhin den Zugang zum europäischen Markt sichern. Die EU entscheidet darüber alleine.

Wie schnell die EU den Trumpf allerdings ausspielen kann, weiß niemand. Die Corona-Krise sorgt für Unwägbarkeiten in einem ohnehin komplexen Prozess.