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Parlamentarisches Profil : Die Gewerkschafterin: Susanne Ferschl

11.05.2020
2023-08-30T12:38:17.7200Z
3 Min

D en Tag der Arbeit erlebte Susanne Ferschl am Computer. Für die Gewerkschafterin war das hart. "Den 1. Mai gemeinsam auf der Straße zu begehen, das ist nicht nur eine Tradition, sondern immer wieder besonders und irgendwie prickelnd", sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete am Telefon. Doch Corona machte dem einen Strich durch die Rechnung. Die Folge: Die Maikundgebung des DGB verfolgte Ferschl, 47, am Bildschirm. Und auf die Straße ging sie am Nachmittag. Aber zum Spazieren.

Schwächt Corona die Arbeiterbewegung? "Nicht, wenn wir uns solidarisch verhalten", sagt die Allgäuerin. Was sie darunter versteht, hat sie in einen Antrag gepackt, der in der vergangenen Woche in den Bundestag eingebracht worden ist: "Sozialen Schutz auch während der COVID-19-Pandemie umfassend gewährleisten" heißt er und umfasst mehrere Punkte - für die Zeit der Corona-Krise sollen unter anderem die Regelsätze für Hartz-IV um 200 Euro pro Monat erhöht werden, und es soll einen einmaligen Zuschuss für Kinder geben, damit sie im Zuge des Home Schooling zurechtkommen. "Insbesondere ärmere Familien haben ein Problem: Viele Alltagsprodukte haben sich verteuert - und plötzlich müssen Eltern für den Unterricht daheim sorgen. Dafür sind zumindest vorübergehend die Regelsätze zu erhöhen und Zuschüsse für IT-Ausstattung zu bezahlen", sagt Ferschl. Auch soll der Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen für diesen Zeitraum auf alle Personen ausgeweitet werden, die sich in Deutschland aufhalten, "das ist schlicht ein notwendiges Gebot der Menschlichkeit".

Es überrasche sie, sagt sie, wie schnell, leise und effizient in der Corona-Krise Hilfe für Unternehmen organisiert wurde - im Vergleich zu den Arbeitnehmern; zum Beispiel erstattet die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgebern nun die Sozialabgaben auf die kurzarbeitsbedingt entfallene Arbeitszeit komplett. "Beim Kurzarbeitergeld dagegen wird mehr gegeizt, dabei sollte es auf 90 Prozent erhöht werden."

Ferschl ist eingefleischte Arbeitnehmervertreterin. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Lebensmittelchemie studieren, begann 1992 zur Vorbereitung eine Ausbildung als Chemielaborantin bei Nestlé. Schnell politisierte sie sich, sah "die Ungleichgewichte und ständigen Auseinandersetzungen wegen Arbeitsbedingungen und Entlohnung" - aber auch, dass man "relativ gut mitreden und mitentscheiden kann". Als Azubi trat sie der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) bei, 1994 wurde sie in den Betriebsrat gewählt. Zwei Jahre später wurde sie im Alter von 26 Jahren zur freigestellten Betriebsratsvorsitzenden gewählt und übernahm damit Verantwortung für 700 Kollegen. Es folgten: 2006 Wahl zur Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates von Nestlé Deutschland, in den europäischen Betriebsrat und in den Aufsichtsrat. "Die Aufgaben wurden immer mehr. Bald entschied ich mich, doch nicht mehr zu studieren und weiter für Arbeitnehmerrechte zu kämpfen. Das ist eine Richtungsentscheidung, welche die sachliche Karriere abschneidet."

Früher sei sie SPD-affin gewesen, sagt sie, habe aber mit der Agendapolitik unter Gerhard Schröder ein "Trauma" erlitten. Erst seit 2016 ist Ferschl Mitglied bei den Linken, seit 2017 sitzt sie für den Wahlkreis Kaufbeuren-Ostallgäu im Bundestag, ist Fraktionsvize. "Irgendwann dämmerte mir, dass es nicht ausreicht, nur im Betrieb Veränderungen anzustreben - sondern für die ganze Gesellschaft." Die Linke, die sich immerhin in der Nachfolge einer Arbeiterpartei sieht, interessierte sich für Ferschl, es gab Anfragen. In ihrer Fraktion ist sie als Arbeiterin, wie in allen anderen Fraktionen auch, in der Minderheit. "Der Bundestag erinnert mich sehr an einen Betriebsrat", sagt sie. "Manche Diskussionen mit dem Management hatten wenig mit der Basis zu tun - und unter Parlamentariern ist es oft auch so."

Seit Tagen ist ihr wichtigstes Arbeitsutensil das Telefon. Gespräche von 8:30 Uhr bis 12 Uhr, dann von 14 Uhr bis 18 Uhr, alles durchgetaktet. "Das Organisieren ist schwieriger geworden. Aber geschafft werden muss ja."