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PKW-MAUT : Seehofer wehrt sich

Ex-CSU-Chef weist Verantwortung für Scheitern des Projekts zurück

02.06.2020
2023-08-30T12:38:18.7200Z
4 Min

So viele Fernsehteams haben sich schon lange nicht mehr im Vorraum des Anhörungssaals gedrängt, in dem sich der 2. Untersuchungsausschuss des Bundestags mit der Aufarbeitung der Pkw-Maut - offiziell Infrastrukturabgabe genannt - befasst. Denn nachdem in den vorangegangenen Sitzungen hauptsächlich Referenten und Referatsleiter Rede und Antwort hatten stehen müssen, konnte der Ausschussvorsitzende Udo Schiefner (SPD) am vergangenen Donnerstag ein politisches Schwergewicht begrüßen: Horst Seehofer (CSU), einst CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident und jetzt Bundesinnenminister.

Seehofer machte unmissverständlich klar, welch zentrales politisches Anliegen für ihn die Pkw-Maut war. Im "Bayernplan", mit dem die CSU 2013 sowohl in den bayerischen Landtagswahlkampf als auch in den Bundestagswahlkampf zog, nahm die Maut eine entscheidende Rolle ein. Dabei habe die CSU versprochen, dass in Deutschland lebende Fahrzeughalter durch die Maut nicht zusätzlich belastet würden, rief Seehofer in Erinnerung. Und er habe im Wahlkampf immer wieder betont: "Ich unterschreibe keinen Koalitionsvertrag ohne die Maut."

Nach der Bundestagswahl kam es dann allerdings in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD zu unerwarteten Schwierigkeiten. Denn ausgerechnet Seehofers Parteifreund Peter Ramsauer, von 2009 bis 2013 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, meldete Zweifel an der vorgesehenen Ausgestaltung der Maut an. Welche Motivation Ramsauer dafür gehabt habe, sei für ihn "bis heute nicht recht nachvollziehbar", sagte Seehofer. Er selbst habe sich an sein Wahlversprechen gebunden gefühlt: "Ich kann nicht drei Wochen nach der Wahl sagen, dass die Menschen jetzt doch belastet werden."

Ramsauers Kritik an Seehofer Die Motivation für seine Zweifel hatte Ramsauer dem Ausschuss in seiner Vernehmung am 13. Februar geschildert. Demnach erfuhr er am 6. November 2013 in Brüssel vom damaligen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas, unter welchen Bedingungen die EU-Kommission eine deutsche Maut akzeptieren würde. Zentrale Vorgabe: Es müsse unter den inländischen Fahrzeughaltern Gewinner und Verlierer geben; manche Autobesitzer müssten also nach Einführung der Maut finanziell besser gestellt sein als zuvor, andere schlechter. Seehofer bestand hingegen auf der Zusicherung, keinen einzigen inländischen Fahrzeughalter zusätzlich zu belasten. Diese Formulierung fand auch Eingang in den Koalitionsvertrag. Deshalb warf Ramsauer seinem Parteifreund Seehofer vor, "sehenden Auges" eine "europarechtliche Unmöglichkeit" in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt zu haben. Die Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer (beide CSU) hätten somit keine Chance gehabt, die Vorgaben des Koalitionsvertrags europarechtskompatibel umzusetzen.

Diese Argumentation wies Seehofer zurück. Sämtliche deutschen Verfassungsorgane hätten dem Gesetz über die Pkw-Maut zugestimmt, argumentierte er. Auch die EU-Kommission habe das von ihr selbst angestrengte Vertragsverletzungsverfahren eingestellt, und der Generalanwalt habe sich in seinem Plädoyer vor dem Europäischen Gerichtshof, der die Klage Österreichs gegen die Maut verhandelte, ebenfalls auf die Seite Deutschlands geschlagen. Wenn ein EU-Kommissar Bedenken habe, so müsse man dessen Position nicht einfach akzeptieren, sondern könne sie durch Verhandlungen ändern.

Was aber passierte in der zweiten Hälfte des Jahres 2018, als die Weichen für die Umsetzung der Maut gestellt wurden? Ende 2018 unterzeichnete das Bundesverkehrsministerium den Betreibervertrag mit dem Konsortium Kapsch TrafficCom/CTS Eventim, obwohl damals die Klage Österreichs gegen die Maut noch anhängig war. Am 18. Juni 2019 gab der Europäische Gerichtshof dieser Klage statt. Er habe Verkehrsminister Scheuer keine Anweisungen erteilt, versicherte Seehofer. Beschlüsse des Bundestags seien immer "in eigener Verantwortung eines Bundesministers umzusetzen".

Rolle von Toll Collect Stundenlang befragt über diese entscheidenden Monate wurde vom Ausschuss Stefan S., der von 2015 an Projektleiter Infrastrukturabgabe im Mautreferat war und am 1. Oktober 2018 für fünf Monate in die Geschäftsführung der Toll Collect GmbH wechselte. Diese für die Erhebung der Lkw-Maut zuständige Gesellschaft war kurz zuvor verstaatlicht worden. Dadurch hätten sich neue Handlungsoptionen ergeben, schilderte S: Statt eines Betreibermodells sei nun auch die Eigenrealisierung der Pkw-Maut durch den Bund möglich geworden.

Diese Überlegung gewann zusätzlich an Charme, als sich herausstellte, dass nur einer von ursprünglich vier Bietern ein finales Angebot für die Erhebung der Pkw-Maut abgab. Es kam deshalb zu zwei Treffen zwischen Toll Collect und Bundesverkehrsministerium. Beim ersten dieser Treffen am 13. September 2018 war S. - damals noch als Vertreter des Ministeriums - anwesend. Dabei sei es darum gegangen, zu eruieren, ob Toll Collect die Erhebung der Pkw-Maut oder wenigstens einzelne Leistungen übernehmen könne, sagte der Zeuge. Die Vergabestelle des Ministeriums sei an diesem Gespräch nicht beteiligt gewesen. Weil es um die Realisierung in eigener Regie des Bundes gegangen sei, "hatte das mit dem Vergabeverfahren nichts zu tun", begründete dies S.

An einem zweiten Treffen am 19. November 2018 habe er - inzwischen als Geschäftsführer von Toll Collect - nicht teilgenommen, um Interessenskonflikten aus dem Weg zu gehen. Offenbar wiederholte das Ministerium dabei den dringenden Wunsch, Toll Collect möge noch in dieser Legislaturperiode die Pkw-Maut umsetzen. Das aber habe die damals vierköpfige Geschäftsführung von Toll Collect abgelehnt, berichtete der Zeuge. Denn Toll Collect sei als bundeseigene Gesellschaft an das Vergaberecht gebunden und habe nicht das Risiko eingehen wollen, einen Termin nicht einhalten zu können.

Allerdings wurde in der Folge dem verbliebenen Bieterkonsortium die Nutzung der Zahlstellenterminals von Toll Collect zugesichert. Das trug wesentlich dazu bei, die vom Konsortium verlangte Summe um rund ein Drittel auf die zwei Milliarden Euro zu reduzieren, die der Bundestag für das Projekt Pkw-Maut bewilligt hatte. Ob mit diesem Vorgehen die anderen Bieter benachteiligt worden seien, da ihnen diese Mitnutzung der Toll-Collect-Terminals nicht angeboten worden sei, könne er nicht sagen, da er kein Jurist sei, erklärte der Zeuge S. Christian Hunziker