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Parlamentarisches Profil : Der Bergmann: Michael Gerdes

06.07.2020
2023-08-30T12:38:19.7200Z
3 Min

Silvester 2008, Brandenburger Tor: Das bunte Treiben genießt der mit seiner Frau aus Bottrop angereiste SPD-Kommunalpolitiker Michael Gerdes, heimische Genossen sind dabei. Unverhofft kommt die Frage auf, ob er nicht für den Bundestag kandidieren wolle. Er braucht mit seiner Frau nicht lange nachzudenken: "Unsere Kinder sind aus dem Haus. Und dies ist eine einmalige Chance." Neun Monate später weiß er, dass er nun häufig am Brandenburger Tor vorbeikommen wird.

Von Arbeitsbedingungen kennt Michael Gerdes (60) eine Menge: 17 Jahre hat er als Elektrohauer unter Tage geschafft, acht Jahre als freigestelltes Betriebsratsmitglied für soziale Angelegenheiten gearbeitet. Inzwischen sitzt er als letzter Bergmann im Parlament, zumindest als "letzter Steinköhler", wie er sagt.

Die aktuelle Diskussion im Ausschuss für Arbeit und Soziales wird allerdings von einer ganz anderen Branche bestimmt: "Wir werden jetzt ein Gesetz vorlegen, um Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie zu verhindern." Das Kerngeschäft eines Schlacht- und Zerlegebetriebs sei ja nun mal das Schlachten und das Zerlegen. Und dennoch seien die so Beschäftigten fast nur noch Werksvertragsarbeiter. Gerdes macht klar: "Ein Schwein wird im Grunde nicht nur physisch, sondern auch arbeitstechnisch zerlegt - nämlich in mehrere Werkverträge." Das seien dann Sub-, Sub-, Subunternehmen, die dann verschiedene Aufträge an einem Schwein ausführten.

Das gesetzliche Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Kerngeschäft sei allerdings nicht nur für die Fleischindustrie gedacht, die jetzt groß aufgefallen sei. Es solle auch in anderen Industriezweigen gelten. Etwa vom Schiffbau sei derzeit die Rede. Gerdes unterstreicht es noch einmal: "Uns geht es aber jetzt in erster Linie darum, diese mafiösen Strukturen - und diesen Begriff verwende ich aus Überzeugung - in der Fleischindustrie zu verbieten."

Gerdes versichert: "Wir sind davon nicht überrascht worden. Wir sind da schon länger dran. Corona hat nur den Nebel über dieser Branche gelüftet." Gerade in diesem Bereich seien schon mehrfach Gesetze geändert worden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Indes: "Wir konnten gar nicht so schnell Gesetze machen wie die umgangen wurden." Deshalb sei sein Ansatz: "Wir werden das zügig machen, aber nicht schnell." Sorgfalt sei vonnöten. damit "uns nicht anschließend irgendein Gericht das Gesetz um die Ohren haut". Für ihn steht fest: "Wenn irgendeiner der Fleischbarone dagegen klagt und wir unterliegen, wäre das ein Schuss nach hinten."

Gerdes sitzt im Bottroper Stadtrat, Vorsitzender des Ausschusses für Sport und Bäder. Ist er mit kommunalen Themen näher an den Bürgern? Er sehe da keinen Unterschied: "Ich habe gerade auf einem belebten Platz, auf dem man genügend Abstand halten kann, eine Bürgersprechstunde durchgeführt, da kamen bundespolitische und kommunale Themen auf den Tisch." Bundespolitik: Wie kann vor allem kleinen Reisebüros geholfen werden, die nicht runterfallen dürften. Kommunalpolitisch: Bottrop sei Bergbaurückzugsgebiet. Prosper-Haniel, wo er gearbeitet hat, sei die letzte Zeche in seiner Heimatstadt, die geschlossen wurde. Riesige Freiflächen seien die Folge. "Da sollen jetzt kommunale Areale entwickelt werden. Geklärt werden muss, ob es nur Gewerbeflächen geben soll oder auch Freizeitangebote."

Eins geht coronabedingt in diesem Sommer nicht: "Grillen mit Gerdes". Im Wahlkampf hatte er sich das mal ausgedacht, dann Jahr für Jahr wiederholt: Der Abgeordnete kommt zu den Bürgern in Bottrop, Gladbeck oder Dorsten in den Garten oder auf den Balkon: "Das war das beste Format, das ich hatte." Er sei dabei durchaus auch auf Kritiker gestoßen. Vom "wechselseitigen Austausch" habe er sehr profitiert. In der nächsten Zeit will er stattdessen vielleicht mal zu einer Fahrradtour einladen. Zumal Kommunalwahlkampf herrscht in Nordrhein-Westfalen.Und weil das Grillen ausfällt, braucht er sich auch keine Gedanken zu machen über faire Fleischpreise.