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Hauptstadt : Der Städte-Streit

Die Aufteilung der Bundesministerien auf Berlin und Bonn sorgt seit gut zwei Jahrzehnten für leidenschaftliche Debatten

24.08.2020
2023-08-30T12:38:21.7200Z
6 Min

Hauptstadt Deutschlands ist Berlin." So steht es im deutsch-deutschen Einigungsvertrag von 1990 und so ist es seit 2006 auch im Grundgesetz festgeschrieben. Im Jahr Eins der deutschen Einheit beschloss der Bundestag im Juni 1991, seinen Sitz nach Berlin zu verlagern (siehe Beitrag unten); 1994 verlegte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker seinen ersten Amtssitz an die Spree, 1999 folgten Parlament und Regierung nach Berlin, im Jahr 2000 auch der Bundesrat.

Auch gut zwei Jahrzehnte nach dem Umzug von Bundestag und Regierung sind indes alle Ministerien weiter mit je einem Dienstsitz an Rhein und Spree vertreten. Zwar hält sich die Bundesregierung damit an die im Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 formulierte Arbeitsteilung zwischen der "Bundeshauptstadt" und der "Bundesstadt". Doch die Entwicklung der Mitarbeiterzahlen zeigt einen klaren Trend: Immer mehr Beschäftigte der Ministerien arbeiten in Berlin. Das befeuert die jahrzehntelange Debatte über die Zukunft die Aufteilung der Ministerien auf zwei Standorte.

Während im Jahr 2000 noch 10.470 Stellen der Ministerien in Bonn und 6.756 Stellen in Berlin angesiedelt waren, hat sich das Verhältnis mittlerweile fast umgekehrt. In Berlin unterhielten die Ministerien im Jahr 2019 etwa 15.400 Arbeitsplätze, in Bonn hingegen nur noch rund 6.750 Stellen. Das geht aus dem Teilungskostenbericht der Bundesregierung für 2019 hervor. Die Aufteilung der Ministerien verursachte danach im vergangenen Jahr Kosten von rund 9,2 Millionen Euro.

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) kritisiert die Aufteilung der Regierung schon lange und fordert den Komplettumzug nach Berlin. "Jährlich 40.000 teilungsbedingte Video-Konferenzen, 500 zusätzliche Pendler-Büros, 20.000 Dienstreisen pro Jahr und enorme Arbeitszeitverluste durch das Hin- und Hertingeln zwischen Bonn und Berlin - das alles muss endlich aufhören", sagt BdSt-Präsident Reiner Holznagel.

Arbeitsteilung Dem steht das 1994 beschlossene Berlin/Bonn-Gesetz entgegen. Darin schrieb der Bundestag fest, wie der Umzugsbeschluss des Parlaments vom 20. Juni 1991 umgesetzt werden soll. Zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn ist dem Gesetz zufolge eine "faire Arbeitsteilung" vorgesehen. Alle Ministerien sollen mit jeweils einem Dienstsitz in Bonn und Berlin präsent sein, wobei "insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten" bleiben soll.

Vom Umzugsbudget in Höhe von umgerechnet rund zehn Milliarden Euro erhielt Bonn damals rund 1,4 Milliarden Euro, Berlin etwa 665 Millionen Euro, wie im Hauptstadtfinanzierungsvertrag vom 30. Juni 1994 für den Zeitraum 1995 bis 2004 festgeschrieben wurde. Finanziert wurden damit unter anderem die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 und der Bau des Autotunnels unterm Tiergarten.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) unterstreicht, wie wichtig der Beschluss des Bundestags zum Umzug nach Berlin war - und macht zugleich Druck, die Ministerien komplett nach Berlin zu verlegen. "Die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt war ein sehr wichtiger Baustein zur Vollendung der Einheit Deutschlands", sagt Müller. "Das Modell der zwei Regierungsstandorte hatte seine historische Berechtigung, ist aus heutiger Perspektive aber anachronistisch." Berlin sei vor 25 Jahren als Hauptstadt Deutschlands noch hoch umstritten gewesen, heute dagegen "eine sehr anerkannte, international gefragte Metropole und wie selbstverständlich auch Regierungssitz". Diese Normalität drücke sich auch in den Zahlen aus: Von Jahr zu Jahr steige in Berlin der Anteil der Beschäftigten in den Bundesministerien. Dabei gehe es nicht um ein Gegeneinander von Bonn und Berlin. Denn klar sei, dass auch Bonn seinen Platz gefunden und sich erfolgreich entwickelt habe. "Ein Komplettumzug wird sicherlich kommen", ist Müller überzeugt.

Der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) sieht seine Stadt zwar auf gutem Weg - führt das aber auf das Berlin/Bonn-Gesetz zurück. "Fast 30 Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Deutschen Bundestages und nach nunmehr 20 Jahren nach dem Umzug können wir heute sagen, dass der dadurch ausgelöste Strukturwandel im Großen und Ganzen gelungen ist", sagt er. "Das war so damals nicht zu erwarten." Dieses Gelingen resultiere aber auch aus den Gewährleistungen des Berlin/Bonn-Gesetzes, mit dem der Bund seine Verantwortung für die Stadt und die Region Bonn anerkannt habe, "deren monostrukturierte Entwicklung er seit 1949 maßgeblich mitgeprägt hatte."

Bonn hat zwar durch den Berlin-Umzug Arbeitsplätze verloren. Gleichzeitig sind durch die Verlagerung von Institutionen wie dem Bundeskartellamt, dem Bundesversicherungsamt und dem Bundesrechnungshof in die Region Bonn neue Jobs entstanden. So stieg die Zahl der Stellen in Einrichtungen des Bundes in der Region Bonn von 35.144 im Jahr 2000 auf 37.307 im Jahr 2015. Und dabei sind die Stellen der Telekom und der Post in Bonn noch nicht mal enthalten. Laut dem Teilungskostenbericht 2015 gab es allein in den Konzernzentralen der Dax-Unternehmen Deutsche Post/DHL und Telekom damals 5.181 Stellen.

Bonn pocht auf die Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes von 1994. "Die Zusagen des Bundes gegenüber Bonn und der Region waren und sind zeitlich nicht befristet", sagt Sridharan. Damit der erfolgreiche Strukturwandel und das damit in Bonn entstandene Kooperationsgeflecht weiterhin Bestand haben, sei "die Anwesenheit der Bundesministerien in Bonn auch in Zukunft unabdingbar".

Ähnlich sieht es das Land Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) weist Forderungen nach einem Komplettumzug zurück. "Mit den digitalen Erfahrungen in der Corona-Krise hat sich die Frage eines Komplettumzugs nach Berlin erledigt", sagt Laschet. "Jetzt Zehntausende Menschen in die Metropole Berlin mit einem schon überhitzten Wohnungsmarkt für Milliarden Euro umzuziehen, macht keinen Sinn." So wie in den vergangenen Wochen ohne Flüge und Dienstreisen kommuniziert worden sei, so lasse sich auch in einer digitalen Arbeitswelt an zwei Orten der Regierung effizient Verwaltungsarbeit organisieren. Für Laschet hat sich die Aufteilung der Ministerien zwischen Bonn und Berlin bewährt. "Bonn als internationales Konferenz- und Wissenschaftszentrum, als einziger deutscher UN-Standort und als Sitz der Klimarahmenkonvention UNFCCC ist Anziehungspunkt und Entscheidungsort für globale Zukunftsfragen." Damit sei die Bundesstadt Bonn "unser nationales Kompetenzzentrum für internationale Politik und Fragen nachhaltiger Entwicklung, Cyber-Sicherheit und moderner Verwaltung".

Die Berliner Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) hält die Aufteilung der Ministerien dagegen für "nicht mehr zeitgemäß". Die Kosten für den doppelten Regierungssitz seien auf Dauer nicht zu rechtfertigen. "Auch aus ökologischen Überlegungen sind die vielen Dienstreisen per Flugzeug nicht mehr akzeptabel", findet sie. Einen weiteren Ausgleich für Bonn lehnt Lötzsch ab. Die Stadt habe sich seit dem Umzug von Teilen der Bundesregierung nach Berlin sehr gut entwickelt:. "Viele internationale Organisationen haben sich dort angesiedelt. In Bonn gibt es mehr DAX-Konzerne als in ganz Ostdeutschland." Die Zeit für einen Komplettumzug ist laut Lötzsch reif: "In der nächsten Legislaturperiode sollte dieser Anachronismus beendet werden."

»Rechtsbruch« Der Bonner Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) lehnt einen Komplettumzug ab. Die "Aufteilung zwischen den Ministerien ist gesetzlich und praktisch verankert und hat sich auch bewährt", argumentiert er. "Wenn Dienstreisen nötig sind, ist Berlin gut zu erreichen - und Brüssel ist von Bonn aus ohnehin viel näher." Die Ansiedlung von immer mehr Arbeitsplätzen in Berlin sei "ein seit Jahren fortgesetzter Rechtsbruch", kritisiert Graf Lambsdorff. Ein erneuter Bonn-Ausgleich sei daher zwingend nötig. "Eine Lösung könnte sein, Bonn als internationalen Standort der Bundesregierung auszubauen".

Dass die Ministerien mehr Beschäftigte in Berlin als in Bonn haben, führt immer wieder zu Streit. Laut einem Gutachten, das von der Stadt Bonn und angrenzenden Kreisen in Auftrag gegeben wurde, verstößt die Verteilung der Arbeitsplätze gegen die gesetzliche Vorgabe. Aus Sicht der Bundesregierung handelt es sich dagegen bei der Gesetzespassage nur um eine "Soll-Regelung", um der Bundeskanzlerin organisationsrechtlichen Spielraum zu belassen.

Die Ministerien bauen unterdessen ihre Dienstsitze in Berlin weiter aus. Zurzeit werden Gebäude für das Gesundheitsministerium sowie das Familienministerium saniert. Weitere Bauprojekte wie die Erweiterung des Auswärtigen Amts und ein Neubau für das Umweltministerium befinden sich nach Angaben der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Planung. Auf bundeseigenen Freiflächen sei zudem ein Neubau für das Finanzministerium und ein Bau zur Deckung "weiteren ministeriellen Bedarfs vorgesehen". Wie teuer ein Komplettumzug nach Berlin wäre, lässt sich momentan nur schwer sagen. Ein BImA-Sprecher: "Eine seriöse Kostenschätzung kann nur bei einem feststehenden Bedarf, einer verlässlichen Planung und Klarheit über die anzusetzende Zeitschiene erfolgen."

Der Autor ist Redakteur der "Berliner Zeitung"