Piwik Webtracking Image

BLICK IN DIE ZUKUNFT : "Wir haben es heute einfacher, weil es nicht so chaotisch zugeht"

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher über die Chancen der Kernstadt und Herausforderungen im Umland - und was heute leichter ist als früher

24.08.2020
2023-08-30T12:38:21.7200Z
4 Min

Frau Lüscher, die Gemeinsame Landesplanung Berlin/Brandenburg hat im vergangenen Jahr mit einer Neuauflage des Landesentwicklungsplans die planerischen Perspektiven für die Region skizziert. Wie sehen diese aus?

Unsere zwei Länder könnten unterschiedlicher kaum sein: Das dichte Berlin und das relativ dünn besiedelte, weite Brandenburg; dazu die verschiedenen Wirtschaftsstrukturen. Daher geht es zunächst um eine geordnete Siedlungsentwicklung, und dafür braucht man drei Elemente: Die verkehrliche Erschließung, die bebaubaren Flächen und die Freiräume. Dies zu einem Gesamtleitbild zusammenzufügen, bildet den Kern des Leitbildes.

Wie genau sieht dieses Leitbild aus?

Wie schon in der Vergangenheit sollen sich sowohl die bauliche als auch die industrielle Entwicklung entlang der Schienenwege vollziehen. Zugleich wollen wir die städtischen Kerne in der Fläche Brandenburgs stabilisieren, damit dadurch ein tragfähiges Netz für die ländliche Entwicklung entsteht. Die neuen Überlegungen sehen nun zwei weitere Siedlungsachsen vor, und zwar im Norden und Nordosten Berlins. Zudem sind auf Wunsch Brandenburgs die Städte in der zweiten Reihe, wie beispielsweise Neuruppin, in das Bild des Siedlungssterns einbezogen worden, um auch deren Stadtkerne zu stärken. Insgesamt ist in diesem Raum ein erheblicher Arbeitsplatz- und Siedlungszuwachs möglich, der natürlich kommunal gestaltet werden muss.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander - schon in Städten kurz hinter der Grenze Berlins buhlen die Bürgermeister zum Teil um Einwohner.

Hier kommt eine der drei Entwicklungssäulen zum Tragen, die verkehrliche Erschließung. Im Prinzip ist unser räumliches Modell extrem robust, setzt aber voraus, dass man die Mobilität gewährleistet. Mit dem zwischen Berlin, Brandenburg und dem Bund verabredeten Investitionen in die Bahninfrastruktur sind wir da ein gutes Stück vorangekommen. Einzelne Regionalbahnverbindungen sind schon verstärkt worden, gleichzeitig stoßen wir auch rasch wieder an Grenzen. Wer ins Umland ziehen möchte, muss sich darauf verlassen können, auch ohne Nutzung eines Automobils jederzeit mobil zu sein.

In der Vergangenheit ist das nicht überall gelungen. Es sind Siedlungen gewachsen, ohne dass die Infrastruktur mitkam.

Die Bevölkerungszahl von Falkensee hat sich de facto verdoppelt auf etwa 25.000 Einwohner, ohne entsprechenden Ausbau des Nahverkehrs. Das ist sicherlich ein großer Nachteil, wobei ich hier auf die Bundeskompetenz verweisen muss: Der Bund hat andere Schwerpunkte gesetzt.

Kann man heute überhaupt noch Planungen wie vor 100 und mehr Jahren skizzieren, wie es etwa 1862 James Hobrecht mit seinem Bebauungsplan für Berlin gemacht hat?

Hobrecht hat mehr einen Entwicklungsplan für die Kernstadt entworfen, das würde ich nicht mit einer heutigen Landesplanung vergleichen. Der erste regionale Entwicklungsplan ist vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Man wollte eine Ordnung konzipieren, um dem explosiven Wachstum zu begegnen - an diesen Prinzipien orientiert man sich bis heute. Ein Beispiel dafür ist, dass die bauliche Dichte mit der Höhe des Erschließungsgrads einhergeht.

War das damals leichter, weil es weniger Beteiligungsmöglichkeiten gab?

Ich habe zu der Zeit noch nicht gelebt, also kann ich es nicht wirklich beurteilen. Klar ist aber, dass damals ein enormer staatlicher Handlungsdruck bestand, um aus diesen Wachstumsschmerzen heraus bestimmte Entwicklungen miteinander in Einklang zu bringen. Ich würde fast sagen, wir haben es heute einfacher, weil es nicht so chaotisch zugeht und zum Beispiel riesige Dampfmaschinenfabriken aus dem Boden schießen und die Kommunen dann sehen müssen, wie sie mit den Nebenerscheinungen umgehen. Das wird in unserer Zeit natürlich alles im Vorfeld geprüft.

An der heutigen Gemeinsamen Landesplanung gibt es gleichwohl Kritik, zu wenig schlagkräftig zu sein. Das gipfelte in der Forderung nach einem zentralen "Regionalrat" als Steuerungsgremium.

Es gibt belastbare Verabredungen zwischen den jeweiligen Landesgremien, und die Zusammenarbeit zumindest auf unserer Fachebene ist sehr gut. Eine Art Nebenparlament aufzumachen mit einem neuen Gremium ist wenig zielführend.

Was passiert eigentlich, wenn der Wachstumsdruck auf Berlin nachlässt?

Da ist meine Sorge gering. Wir hatten Anfang der 1990er einen sehr starken Bauboom, auch in der Region. Sehr schnell hat sich herausgestellt, dass dieser Überschuss von Berlin absorbiert wurde. Das Problem der kleineren Städte in Brandenburg ist natürlich, dass sie genau diese Zukunftsfestigkeit nicht vorhersehen können. Daher tun sich Investoren in solchen Städten auch schwerer, größere Projekte zu realisieren.

Wie kann man von Berlin aus unterstützen?

Erstmal durch die gemeinsamen planerischen Verabredungen. Die Ansiedlung von Tesla im Umland ist aktuell ein gutes Beispiel, wie Berlin/Brandenburg, Kommunen und Anrainerkreise mit diesem Projekt Strukturentwicklung betreiben wollen. Wir beteiligen uns also an etwas, das nicht auf unserem Territorium liegt; natürlich wollen wir sicherstellen, dass die Verbindungen zur Hauptstadt gut funktionieren.

Wie groß ist die Gefahr, dass man mit so einer Planung eine anziehende Kernstadt Berlin schafft und Schlafstädte außen herum?

Ich glaube, dass mit der Veränderung von Arbeitswelten diese Gefahr kleiner und Arbeiten von zu Hause aus realer wird.

Aber den Druck haben wir doch, weil die Menschen nach Berlin wollen.

Inzwischen verschiebt sich das. Wir haben einen abnehmenden Zuzug nach Berlin, und im Zu- und Wegzugssaldo zwischen Berlin und Brandenburg hat letzteres das Übergewicht.

Ein Wettbewerb zu einer Vision für Berlin 2070 hat einen Wachstumsraum nach Schwedt an der Oder entworfen. Wird Schwedt zum neuen Vorort Berlins?

Hoffentlich nicht - denn das hieße, dass dazwischen alles bebaut würde. Wenn wir aber das Prinzip von Haltepunkten entlang der Schiene mit Freiräumen dazwischen entwickeln und die Anbindung verbessern, wäre Schwedt ein perfekter Wachstumskern innerhalb der Metropolregion Berlin.

Das Gespräch führte Kristina Pezzei.

Die Architektin Regula Lüscher ist seit 2007 Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin in Berlin.