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VERTEIDIGUNG : Schwere Lasten

Bundeswehr muss sich trotz steigendem Etat vorerst von Beschaffungsvorhaben verabschieden

05.10.2020
2023-08-30T12:38:23.7200Z
3 Min

Seit rund vier Jahrzehnten fliegt das "Lastentier" bei der Bundeswehr. So lautet der liebevolle Spitzname für den Transporthubschrauber Sikorsky CH-53, der Mitte der 1970er Jahre bei den deutschen Streitkräften eingeführt wurde. Doch das Lastentier ist müde geworden. Die alten Maschinen sind reparaturanfällig, müssen immer öfter am Boden bleiben. Bereits 2017 war die Entscheidung gefallen, einen neuen schweren Transporthubschrauber für die Truppe zu beschaffen. Beworben um den Auftrag hatten sich Boeing mit dem CH-47 "Chinook" und Sikorsky mit dem Modell CH-53K. Doch pünktlich zum Auftakt der Haushaltsberatungen im Bundestag informierte das Verteidigungsministerium die Parlamentarier in der vergangenen Woche, dass das Beschaffungsvorhaben vorerst gestoppt worden ist. Grund: Die Angebote seien "unwirtschaftlich", sprich zu teuer. Für die Bundeswehr ist dies ein weiterer Rückschlag bei der Beschaffung von modernen Großsystemen.

"Wir zeigen beim Projekt schwerer Transporthubschrauber, dass wir nicht alles und nicht zu dem Preis abnehmen, was uns angeboten wird", betonte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in der ersten Lesung des Wehretats 2021. Überhaupt dürften die großen Beschaffungsvorhaben nicht "bedingungslos" zu Lasten kleiner und mittlerer Anschaffungen umgesetzt werden. So plane die Bundeswehr bereits seit 20 Jahren die Anschaffung eines speziellen Pionierwerkzeugsatzes, aber das Beschaffungsvorhaben sei 20 Jahre lang immer wieder verschoben worden, weil das Geld nicht gereicht habe. Dies führe zu "Verdruss" in der Truppe. Die Ministerin ahnt wohl, dass die Belastungen für den Bundeshaushalt durch die Corona-Pandemie in der nahen Zukunft nicht spurlos am Wehretat vorbeigehen werden. Im kommenden Jahr steigen die Verteidigungsausgaben zwar noch einmal um 1,16 auf insgesamt 46,81 Milliarden Euro, trotzdem scheint nicht alles finanzierbar zu sein, was die Truppe sich wünscht.

Kritik der Opposition Bei den Bundestagfraktionen stieß der Beschaffungsstopp für den schweren Transporthubschrauber auf unterschiedliche Reaktionen. Tobias Lindner, Wehr- und Haushaltsexperte von Bündnis 90/Die Grünen, bescheinigte Kramp-Karrenbauer, es sei zwar richtig, sich von der Industrie nicht jeden Preis diktieren zu lassen, aber er erwarte von der Ministerin einen "Plan B".

Der FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein befürchtet, dass auch weitere Beschaffungsvorhaben bedroht sind. Die Entwicklung eines gemeinsamen neuen Kampfflugzeuges mit Frankreich (FCAS) sei ebenso mit einem Fragezeichen im Haushalt versehen wie das taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) oder die Eurodrohne. Das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel, 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben, werde nur aufgrund der coronabedingt geschrumpften Wirtschaft erreicht, monierte Klein. Angesichts steigender Personalkosten bliebe immer weniger Geld für die dringend benötigte Modernisierung der Bundeswehr.

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, bescheinigte gar, der in Artikel 87a Grundgesetz formulierte Verfassungsauftrag "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf" sei zur "hohlen Phrase" geworden. Die Bundeswehr könne ihren Auftrag nicht mehr erfüllen. Das Beschaffungswesen sei dysfunktional, sämtliche Rüstungsvorhaben steckten "irgendwo zwischen Träumerei und Realitätsverlust fest".

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte (CDU), wies die Kritik der AfD zurück. Allerdings mahnte auch er, dass der Finanzplan für die kommenden Jahre "eine verlässliche Grundlage" für die anstehenden Beschaffungsvorhaben sein müsse. Zu ihnen gehöre neben dem geplanten Mehrzweckkampfschiff 180, dem Schützenpanzer Puma und bewaffneten Drohnen eben auch ein neuer schwerer Transporthubschrauber. Mit Blick auf das gestoppte Beschaffungsvorhaben mahnte der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz, die Bundeswehr müsse zukünftig "mehr von der Stange" kaufen. Er verstehe nicht, dass andere Nato-Partner ihre Hubschrauber mit lieferfertigen Ausrüstung fliegen, während Deutschland Anforderungen an die Technik stelle, die erst Neuentwicklungen erfordert.

Die Linksfraktion wiederum hält den Verteidigungshaushalt seit jeher für zu groß. Deren Haushaltsexperte Michael Leutert führte aus, dass angesichts eines Wehretats von rund 47 Milliarden Euro die Frage gestellt werden müsse, was durch diese Summe abgedeckt sei. Über die Landesverteidigung bestehe zwar Konsens, aber die Bündnisverteidigung müsse angesichts des Zustandes der Nato "in Zweifel" gezogen werden. Leutert verwies in diesem Zusammenhang auf die angespannten Beziehungen zwischen den Nato-Partnern Türkei und Griechenland.