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FALL AMRI : Die Qual der Wortwahl

Ausschuss hört Verfassungsschützer

05.10.2020
2023-08-30T12:38:23.7200Z
3 Min

Derselbe Saal, dieselben Fragesteller, mehr oder weniger auch dieselben Fragen. Gilbert Siebertz muss sich in der vorigen Woche vorgekommen sein wie in der Wiederholung eines Films. Er hat hier ja schon einmal gesessen, vor ziemlich genau zwei Jahren, Ende September 2018, und Auskünfte erteilt, ziemlich genau dieselben wie jetzt auch. Auf dem Stuhl des Vorsitzenden saß damals freilich ein anderer, auf dem Platz des AfD-Obmanns ebenfalls. Und in einem einzigen Punkt, einem Detail, eigentlich einer bloßen Frage der Wortwahl, hat sich auch aus Sicht des Zeugen etwas geändert: Den Satz, der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri sei ein "reiner Polizeifall" gewesen, würde er "so nicht mehr verwenden", weil er "missverständlich" sei.

Der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, hatte Anfang 2017 diese Formulierung geprägt, an der sich Kritiker des Behördenhandelns im Fall Amri seither abarbeiten. Allzu sehr schien es so manchem doch, als versuche hier einer, Verantwortung abzuwälzen. Als werde die Wahrheit interessengeleitet verzerrt. Dass für die Betreuung Amris federführend die Polizei zuständig gewesen sei, haben freilich seither alle Zeugen aus dem Verfassungsschutz dem Amri-Untersuchungsausschuss bestätigt, auch der Leitende Regierungsdirektor Siebertz, der seit Anfang 2015 der mit der Abwehr radikalislamischer Bestrebungen betrauten BfV-Abteilung 6 angehört.

»Polizeiliche Zuständigkeit« Und im Kern klang es aus seinem Mund jetzt nicht anders: "Aus meiner Perspektive hat es sich um einen Sachverhalt in polizeilicher Zuständigkeit gehandelt." Den Verfassungsschutz habe das nicht davon abgehalten, sich "im Bereich unserer eigenen Zuständigkeit" ebenfalls auf Amris Fersen zu heften: "Wo möglich, hätten wir den Polizeibehörden zugearbeitet." Dazu sei es allerdings bis zum Anschlag nie gekommen, weil der Verfassungschutz zu keinem Zeitpunkt mehr gewusst habe als die Polizei. Gleichwohl: "Dass wir uns operativ mit Amri beschäftigt haben, habe ich nie bestritten." In diesem Sinne sollte es der Ausschuss verstehen, wenn Siebertz von einem "reinen" Polizeifall nicht mehr sprechen mochte, was er, wie er erinnerte, bei seinem vorigen Auftritt noch getan hatte.

Spätestens seit Anfang 2016 sei dem Verfassungsschutz auch bekannt gewesen, dass das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt Amri durch einen hoch effizienten V-Mann bearbeiten ließ. Er habe daher, sagte Siebertz, keine Notwendigkeit gesehen, einen Informanten seiner Behörde in der Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit, in der Amri ein und aus ging, an diesen "heranzusteuern". Der Mann habe mit Amri nie persönlich gesprochen, ihn auf einem Foto nicht einmal erkannt. Wieso also ihn weiter behelligen? In einem Fall, der schon in guten Händen zu sein schien? "Wir haben einen Sachverhalt in polizeilicher Zuständigkeit, wo eine VP dran ist, die die dollsten Sachen erzählt. Warum sollte ich in dem Zusammenhang meine VP an ihn heransteuern?" So sah Siebertz es damals. Nach dem Anschlag habe sich sein Fussilet-Gewährsmann dann erinnert, Amri doch dreimal gesehen, einmal sogar als Prediger gehört zu haben.

Behördenzeugnis Für den Leiter der Abteilung 6, Klaus Rogner, den zweiten Zeugen des Tages nach Siebertz, lautet daher eine der Schlussfolgerungen, "dass keine Sicherheitsbehörde glauben darf, dass sie, wenn andere ihre Befugnisse voll ausschöpfen, nicht auch die eigenen Befugnisse voll ausschöpfen muss". Siebertz selbst wiederholte, was er dem Ausschuss bereits vor zwei Jahren gesagt hatte, dass er Amris Attentat auf dem Breitscheidplatz als "persönliche Niederlage" empfunden habe.

Man habe schließlich seit langem gewusst, mit wem man es zu tun hatte. Anfang 2016 fertigte der Verfassungsschutz ein "Behördenzeugnis" für die Berliner Staatsanwaltschaft, in dem von Waffenkäufen die Rede war, die Amri plante. Das Papier diente dem Zweck, die Herkunft der Information vom V-Mann des Düssseldorfer Landeskriminalamts zu verschleiern. "Natürlich waren wir zu dem Zeitpunkt auch der Meinung, dass das eine gefährliche Person ist und diesem Sachverhalt nachzugehen ist", berichtete Siebertz dem Ausschuss, "dass wir es hier mit einem Gefährdungssachverhalt zu tun haben, den man ernst nehmen muss, sehr ernst nehmen muss". Nicht ernst genug, wie sich im Nachhinein zeigte.