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BUNDESTAG : »Sehr ernste Vorfälle«

AfD-Gäste bedrängen Abgeordnete. Die anderen Fraktionen sehen einen Angriff auf die Demokratie

23.11.2020
2023-08-30T12:38:26.7200Z
4 Min

Drinnen debattiert und entscheidet der Bundestag über das neue Bevölkerungsschutzgesetz (siehe Seite 1 bis 3), draußen demonstrieren Tausende gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen, während ein Großaufgebot der Polizei für einen ungestörten Parlamentsbetrieb sorgt. So war es am vergangenen Mittwoch, doch ganz so ungestört blieb es in den Bundestagsgebäuden nicht: Mehrere Gäste von AfD-Abgeordneten bedrängten dort andere Parlamentarier, filmten sie gegen ihren Willen - "sehr ernste Vorfälle", schrieb Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) am Folgetag nach "intensiven Beratungen des Ältestenrates" in einem Brief an alle Mitglieder des Hohen Hauses.

Er habe, heißt es darin weiter, die Verwaltung gebeten, "alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, gegen die Täter und diejenigen vorzugehen, die ihnen Zugang zu den Liegenschaften des Bundestages verschafft haben". Darüber hinaus lasse er prüfen, wie das bestehende Regelwerk ergänzt werden könne, um wirkungsvoller gegen solchen Missbrauch vorgehen zu können.

Heftige Empörung Auch am Freitagvormittag sorgten die Vorfälle in einer Aktuellen Stunde des Parlaments für heftige Empörung aller anderen Fraktionen; beantragt hatte die Koalition die Debatte mit dem Titel "Bedrängung von Abgeordneten verurteilen - Die parlamentarische Demokratie schützen". Was man am Mittwoch erlebt habe, konstatierte Michael Grosse-Brömer (CDU) als erster Redner, sei "ein Angriff auf das freie Mandat und ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie". Zwar sei man gewohnt, dass die AfD das Ansehen des Parlaments "in den Dreck ziehen" wolle, doch sei mit diesen Ereignissen "eine neue Qualität" erreicht worden. Eine Abstimmung im Bundestag habe offenbar "durch Bedrängung - man könnte auch sagen: durch Nötigung" beeinflusst werden sollen. Dies sei der Tiefpunkt einer dauerhaften Strategie der AfD im Parlament.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte, dass gewählte Volksvertreter von Gästen zweier Abgeordneter seiner Fraktion "bedrängt und belästigt wurden, ist unzivilisiert und gehört sich nicht". Dafür entschuldige er sich als Fraktionsvorsitzender. Hier sei etwas "aus dem Ruder gelaufen", fügte er hinzu und räumte ein: "Das hätten wir verhindern und diese Besucher beaufsichtigen müssen." "Unterstellungen", diese Vorfälle seien von der AfD-Fraktion beabsichtigt gewesen, seien jedoch "infam". Auch vermisse er bei der Bewertung der Vorfälle "die Gleichheit der Maßstäbe". So sei am Mittwoch ein Mitglied seiner Fraktion außerhalb des Parlaments von der Polizei festgenommen worden, obwohl er sich als Abgeordneter ausgewiesen habe. Es wäre angemessen, wenn die anderen Fraktionen auch diesen "Angriff auf einen Volksvertreter" verurteilen würden.

Dirk Wiese (SPD) nannte Gaulands Rechtfertigung "scheinheilig". Bei den Vorfällen habe es sich nicht um einen zufällig geschehenen Einzelfall gehandelt, sondern um eine "bewusste Grenzüberschreitung in voller Absicht". Man lebe aber heute in einer wehrhaften Demokratie und wisse, "wie wir mit Verfassungsfeinden umgehen können". Es sei richtig, dass der Ältestenrat beschlossen habe, diese Vorfälle straf- und ordnungsrechtlich zu prüfen.

»Tabubruch « Marco Buschmann (FDP) warf der AfD vor, "die Institutionen in den Schmutz ziehen" zu wollen, weil sie diese hasse. Ziel der Vorfälle vom Mittwoch sei es gewesen, "ein Klima der Bedrohung in dieses Haus zu tragen". Die AfD sei erstmals von "technischer Obstruktion zu physischer Obstruktion des Parlaments übergegangen". Dies sei ein "Tabubruch". Man werde jedoch alle bestehenden rechtlichen Instrumente nutzen und gegebenenfalls erweitern, um sich dagegen zu wehren: "Physische Obstruktion lässt sich dieses Parlament nicht gefallen", unterstrich Buschmann.

Petra Pau (Linke) nannte es "menschenverachtend und demokratiefeindlich", dass AfD-Abgeordnete Personen in Bundestagsgebäude geholt hätten, "die andere Parlamentarier hier drinnen bedrängen und bedrohen". Wie die AfD im Zusammenhang mit dem neuen Bevölkerungsschutzgesetz von einem "Ermächtigungsgesetz" wie von 1933 zu sprechen, verharmlose den Faschismus und verhöhne dessen Opfer. Die AfD werfe anderen Parteien vor, die Corona-Pandemie "parteiegoistisch zu missbrauchen", doch tatsächlich versuche sie sich selbst auf Kosten von vielen erkrankten und gefährdeten Bürgern zu profilieren. Dies sei "erbärmlich".

Britta Haßelmann (Grüne) unterstrich, die "von der AfD eingeschleusten Personen wollten die gewählten Abgeordneten an der Ausübung ihres freien Mandats hindern". Dabei hätten die AfD-Abgeordneten genau gewusst, wen sie einladen und was deren Absicht gewesen sei. Gaulands Äußerungen seien "Ausflüchte mit doppeltem Boden". Wer Abgeordnete einzuschüchtern versuche, "greift unsere Demokratie an". Vor diesen "destruktiven und antiparlamentarischen Angriffen" würden FDP, Union, Grüne, SPD und Linke zusammen das Parlament schützen, betonte Haßelmann und fügte hinzu, man lasse sich "von Rechtsextremen nicht auf der Nase herumtanzen - weder hier im Parlament noch anderswo".