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gentechnik : Eingriffe ins Erbgut

Die Debatte über Einsatz, Förderung und Nutzen des Forschungszweigs ist neu entbrannt

23.11.2020
2023-08-30T12:38:26.7200Z
4 Min

Mehr Offenheit für Gentechnik, dafür werben die Liberalen seit Jahren beharrlich. Mit der Verleihung des Nobelpreises an die Erfinderinnen der Genschere "Crispr/Cas9" und der Entwicklung des genetischen Corona-Impfstoffes durch das Mainzer Unternehmen BioNTech glaubte die FDP-Fraktion nun über zwei neue, schlagende Argumente zu verfügen, um die Diskussion über Gentechnik in Deutschland neu zu entfachen und in eine andere Richtung zu lenken. Es brauche endlich eine offene Debatte, die nicht länger auf die Risiken verengt werden dürfe, forderte Volker Wissing, rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (FDP), am Donnerstag im Bundestag. Anlass zu der Aussprache hatten drei Anträge der Liberalen zur Gentechnik geliefert. Darin spricht sich die Fraktion für ein Aktionsprogramm für den Gentechnik-Standort Deutschland (19/24365) aus, dieser Antrag wurde im Anschluss an den Forschungsausschuss zur weiteren Debatte überwiesen. In weiteren Vorlagen plädieren die Liberalen für ein technologieoffenes Gentechnikrecht (19/10166) sowie den Einsatz neuer Züchtungsmethoden (19/ 23694). Zudem lag dem Plenum ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für "eine Agrarwende statt Gentechnik" (19/13072) vor. Letztere Anträge fanden keine Mehrheit.

Der Erfolg von BioNTech mache deutlich, dass die wachsenden Möglichkeiten der Biotechnologie und insbesondere der Gentechnik in den Blick genommen werden müssten, sagte Wissing. Das gelte für die "grüne, rote und weiße Gentechnik", also somit für Einsatzbereiche in Landwirtschaft, Medizin oder etwa bei der Herstellung von Lebensmitteln. Ein "vorauseilendes Verbot" neuer Verfahren sei fahrlässig. Die Forschung dürfe nicht eingeschränkt werden, so der Liberale. Im Gegenteil: Der Gentechnikstandort Deutschland brauche mehr Förderung, zum Beispiel einen Fonds, der jungen Unternehmen ausreichend Wagniskapital zur Verfügung stellen könne. Das sei im Interesse Deutschlands, argumentierte Wissing: Als "Exportnation" sei man auf Innovationen angewiesen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Förderdschungel Viel "Heißluftprosa" meinte hingegen Michael von Abercron (CDU) in den Anträgen der FDP zu erkennen. Zwar räumte er ein, die Gesetzgebung in Bezug auf Genom Editing und neue Züchtungsmethoden müsse überarbeitet werden. Doch ein neuer Förderfonds für Gentechnik sei überflüssig - der deutsche und europäische Förderdschungel sei ohnehin schon groß genug. Aber auch den Grünen ersparte er nicht Kritik: "Die geradezu dogmatisch-religiöse Ablehnung von Gentechnik ist brandgefährlich", sagte er. In der Medizin gebe es gentechnische Verfahren, die Leben retten.

Stephan Protschka (AfD) kritisierte vor allem die FDP scharf: Sie mache gegenüber den Landwirten billige Heilsversprechungen. Die neue Züchtungsmethode böten sicherlich große Chancen, dennoch sei die Genschere kein Wunderwerkzeug, mit dem sich alle Probleme in der Pflanzenzucht beseitigen ließen, gab er zu bedenken. "Salz- oder Hitzeresilienz" ließen sich so etwa nicht einfach in Pflanzen hineinzaubern, sagte Protschka.

René Röspel (SPD) mahnte zur Vorsicht bei der Anwendung von Agrogentechnik: Da, wo Organismen verändert und ausgebracht würden und die Folgen nicht abschätzbar und irreversibel seien, müssten Entscheidungen sehr wohl abgewogen werden. Das Vorsorgeprinzip als Leitlinie der Umwelt- und Gesundheitspolitik dürfe daher nicht durch ein Innovationsprinzip, wie es die FDP fordere, verwässert werden.

Ähnlich sah dies Kirsten Tackmann (Die Linke). Sie warf der FDP vor, ständig ihr "Mantra von den Heilsversprechen gentechnische veränderter Pflanzen" zu wiederholen, obwohl solche Versprechen längst gebrochen worden seien: "Gentechnisch veränderte Pflanzen haben vor allem Saatgut- und Chemie-Multis reich gemacht, statt den versprochenen essentiellen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherung zu leisten", sagte Tackmann

Der Abgeordnete Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) unterstellte der FDP billige Polemik. Unsachgemäß werfe sie unterschiedliche Anwendungen der Gentechnik im Agrar- und Medizinbereich in einen Topf: Während Impfstoffe im geschlossenen System angewandt würden, gehe es bei der Agrogentechnik darum, gentechnisch veränderte Pflanzen in Ökosystemen freizusetzen. "Das ist ein grundlegender Unterschied", sagte Ebner. Impfstoffe würden zu Recht vor der Anwendung umfassend auf Risiken geprüft. Bei gentechnisch veränderten Pflanzen sei die FDP aber dagegen, monierte der Grünen-Politiker. Damit setze die FDP die Gesundheit von Menschen fahrlässig aufs Spiel.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) plädierte in der Debatte für mehr Sachlichkeit und weniger ideologische Scheuklappen. Sie warf den Grünen vor, immer wieder von den Landwirten eine regionale und ressourcenschonende Produktion bei Verzicht auf Pflanzenschutzmittel zu verlangen, ohne ihnen aber das dazu nötige Instrument an die Hand zu geben. Andererseits schürten sie die Angst vor vermeintlichen Gesundheitsrisiken. "Das ist unanständig", befand Klöckner, schließlich gehe es um nichts weniger als das Menschenrecht auf Nahrung, dass es weltweit umzusetzen gelte. Gentechnisch veränderte Pflanzen könnten im Kampf gegen Lebensmittelknappheit einen Beitrag leisten, so die Ministerin.