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wirecard : Er verweigert die Aussage

Vor dem Untersuchungsausschuss zeigt sich der ehemalige Vorstandschef störrisch

23.11.2020
2023-08-30T12:38:26.7200Z
4 Min

Ein Wirtschaftskrimi ohne wichtige Verdächtige: Markus Braun, 51 Jahre alt, Wirtschaftsinformatiker aus Wien, wurde von Polizisten bis zum Sitzungssaal geführt. Er hatte die Nacht in einem Berliner Gefängnis zugebracht und gab zur Beginn seiner Befragung die Justizvollzugsanstalt Augsburg als Wohnort an. Die Abgeordneten des 3. Untersuchungsausschusses durften vermuten, dass dieser Mann erheblich zur Aufklärung der Rätsel rund um die Wirecard AG beitragen könnte - wenn er zur Zusammenarbeit bereit wäre.

Braun war 2002, im Jahr drei der Firmengeschichte, zum Vorstandsvorsitzenden geworden. Unter seiner Führung ist die Zahl der Mitarbeiter von 200 auf 5.500 angewachsen, die Bilanzsumme hat er von einigen Millionen auf sechs Milliarden Euro hochgetrieben. "Seine Visionen wirkten in den Präsentationen überzeugend", sollte später an diesem Tag eine andere Zeugin sagen. Doch jetzt saß er in Rollkragenpullover und dunklem Jackett vor den Abgeordneten und gab fast nichts von dem Preis, was er wissen musste.

Die Wirecard AG steht im Zentrum eines monumentalen Wirtschaftsskandals. Das Unternehmen stieg unter Braun zum Star der deutschen Börsenwelt auf, schaffte es dank scheinbar traumhafter Gewinne 2018 in den Leitindex DAX. Doch im Juni 2020 kam heraus: Ein Großteil der Geschäftsentwicklung beruhte auf Luftbuchungen. Die Aufsichtsbehörden hatten zwar Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten und sich mit dem Unternehmen beschäftigt - ohne jedoch das Ausmaß des Betrugs auch nur zu erahnen. In der Kasse von Wirecard fehlen nach eigenem Eingeständnis 1,9 Milliarden Euro; Fachleute schätzen die Lücke eher auf drei Milliarden. Die Gläubiger fordern 12,5 Milliarden Euro, denen nur Schulden gegenüberstehen. Der Wirecard-Untersuchungsausschuss will klären, welche Organe der Bundesregierung Fehler im Umgang mit dem internationalen Zahlungsdienstleister gemacht haben könnten. Die Abgeordneten wollen zugleich lernen, wie sich die Wirtschaftskontrolle eventuell verbessern lässt.

Ex-Firmenchef Markus Braun half dabei jedoch nur wenig. Er beschränkte sich auf eine kurze, abgelesene Erklärung. Den Aufsichtsbehörden und der Politik bescheinigte er eine reine Weste: Hier habe er kein Fehlverhalten beobachtet. "Das gilt auch für den Aufsichtsrat und die Wirtschaftsprüfer, die offenbar massiv getäuscht wurden." Es sei nun Sache der Gerichte, den Verbleib der veruntreuten Unternehmensgelder aufzuklären, sagte er - und klang dabei fast so, als sei er ein Opfer und nicht, wie die Staatsanwaltschaft München annimmt, der Anstifter des Betrugs. Weitere Aussagen, sagte Braun, wolle er nur gegenüber der Staatsanwaltschaft machen. Bei praktisch allen weiteren Fragen der Abgeordneten verwies er auf sein Recht, die Aussage zu verweigern, wenn er sich damit selbst belaste.

Ein solch störrischer Zeuge hat sich selten vor einem Bundestagsausschuss eingefunden. Die Mitglieder versuchten, ihn mit einfachen Faktenfragen aus der Reserve zu locken: "Haben Sie eine Tochter?", fragte Fabio De Masi (Die Linke). Braun antwortete auch darauf nicht. Er verwies immer wieder auf seine Erklärung, vor dem Ausschuss nichts sagen zu wollen. Dessen Vorsitzender Kay Gottschalk (AfD) zeigte Verständnis für das Recht, die Aussage in bestimmten Fällen zu verweigern. Doch er ermahnte den Zeugen, dass er grundsätzlich verpflichtet sei, vor einem Bundestagsausschuss Antworten zu geben. Der Abgeordnete Florian Toncar (FDP) wies darauf hin, dass ein Bundestagsausschuss dem Gericht hier durchaus gleichgestellt sei.

Doch es wird eben das Gericht sein, nicht dieser Ausschuss, der über eine eventuelle Strafe für Braun entscheiden wird. Daher hat Braun wohl mit seinem Anwalt zusammen die Strategie entwickelt, nicht schon vor den Abgeordneten Fakten zu schaffen, sondern erst gegenüber der Staatsanwaltschaft auszusagen. Danach sei er durchaus bereit, zum Ausschuss zu sprechen, kündigte er an. In der Sitzungspause dachten die Abgeordneten bereits laut darüber nach, welche Sanktionen sie ihm für seine Blockadehaltung aufdrücken können.

Vorerst keine Aussagen Mit zwei weiteren Ex-Managern von Wirecard gingen die Ausschussmitglieder sanfter um als mit Braun. Stephan Freiherr von Erffa und Oliver Bellenhaus haben wichtige Konzernteile geleitet. Auch sie sitzen im Gefängnis, und auch sie verweigern vorerst die Aussage vor den Abgeordneten. Doch anders als Braun, der an der Spitze stand, haben sie eindeutig signalisiert, sich vollständig reinwaschen zu wollen. Sie stellten bei der Vernehmung am späten Abend in Aussicht, im Januar umfangreich zu den Fragen der Abgeordneten Stellung zu nehmen - wenn sie erste Aussagen bei der Staatsanwaltschaft hinterlegt haben.

Wesentlich aufschlussreicher verlief die Befragung der Zeugin Tina Kleingarn. Die Unternehmensberaterin saß von 2016 bis 2017 im Aufsichtsrat von Wirecard. Damals beklagte sie offen die intransparente Unternehmenskultur und die mangelnde Bereitschaft des Vorstands, sich extern überwachen zu lassen. Deshalb legte sie das Aufsichtsratsmandat nach anderthalb Jahren nieder. Bei ihrem Rückzug schrieb sie einen Brief mit Hinweisen auf Probleme bei der Art der Unternehmensführung, der nun die Grundlage der Vernehmung vor dem Ausschuss bildete.

Kleingarn ahnte ihrer Aussage zufolge nichts vom Ausmaß des Betrugs bei Wirecard. Sie stellte lediglich fest, dass die Vorstände nur zögerlich Einblick in Geschäftsdetails gewährten. Doch grundsätzlich hat auch sie sich von der Fassade des innovativen Wachstumsunternehmens täuschen lassen. "Am Ende war es eine Anhäufung von Auffälligkeiten, die das Fass zum überlaufen gebracht" und sie zum Rücktritt bewogen habe, sagte Kleingarn.

Der Abgeordnete Fritz Güntzler (CDU) wies darauf hin, wie wichtig es sei, auch mit einer ehemaligen Aufsichtsrätin zu sprechen. "Als Gesetzgeber liegt es an uns, an Reformen des Rahmens für die Corporate Governance zu arbeiten." Der Fall Wirecard hat schonungslos offengelegt, wo die Schwächen in der deutschen Wirtschaftsregulierung liegen. Der Aufsichtsrat als unabhängiges Kontrollgremium gilt als Basis der Mechanismen, die Bilanzskandale verhindern sollen. Bei Wirecard hat er versagt.