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FALL AMRI : Kopfschütteln in der Krisenrunde

Ausschuss geht erneut widersprüchlichen Zeugenaussagen nach

30.11.2020
2023-08-30T12:38:26.7200Z
3 Min

Man sollte sich nicht vorstellen, dass die blanke Panik ausgebrochen wäre. Nein, ganz "unaufgeregt" und "wenig emotional" sei es zugegangen in der Runde, die am 15. November 2019 im Bundesinnenministerium zusammensaß. Nur ein "ungläubiges Kopfschütteln" sei hier und da wahrnehmbar gewesen, in der Art etwa: "Was erzählt der denn da, wo kommt das her?"

"Der", das war der Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar M., der am Vortag dem Amri-Untersuchungsausschuss Erstaunliches berichtet hatte. Über einen Spitzel seines Landeskriminalamts, genannt "VP01", der hochkarätige Informationen aus dem radikalislamischen Milieu geliefert und auch den späteren Berliner Attentäter Anis Amri im Blick gehabt habe. Über eine Begegnung im Februar 2016 mit einem Kollegen aus dem Bundeskriminalamt (BKA), der ihm unter vier Augen anvertraut habe, genau diese VP01, dieser Meisteragent, solle "totgeschrieben" werden, weil er "zu viel Arbeit" mache. Die Anweisung dazu sei "ganz oben" erfolgt, auf der Führungsebene des BKA und im Innenministerium.

Dort hätte die Order von Stefan K. kommen können, dem damals zuständigen Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit (ÖS). Doch K. hatte keine Ahnung, wie er in der vorigen Woche vor dem Untersuchungsausschuss beteuerte: "Ich schließe absolut aus, dass ich 2016 etwas von der VP01 wusste. Ich hatte auch von Amri, seiner ganzen Vita, seinem Aufenthalt in der Bundesrepublik, nie etwas gehört."

»Geradezu absurd« War es dann vielleicht der Minister selbst, damals Thomas de Maizière (CDU)? "Geradezu absurd" findet K. eine solche Vorstellung: "Ein Minister müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er sich so verhalten würde. Er kann doch nicht ernsthaft professionellen Ermittlern so reingrätschen." Nicht viel anders habe sich auch de Maizière ihm gegenüber eingelassen, sagte K..

Ihn selbst habe ein als Beobachter zum Ausschuss abgeordneter Beamter seines Hauses noch am Abend des spektakulären Zeugenauftritts alarmiert und damit "einigermaßen verblüfft." Für den nächsten Morgen berief K. eine Krisensitzung ein, die dann nach seinen Worten so "unaufgeregt" verlaufen sein soll. Aus dem BKA waren die Zuständigen telefonisch zugeschaltet, unter ihnen auch jener Erste Kriminalhauptkommissar, aus dessen Mund der Zeuge M. die erschütternde Mitteilung vernommen haben wollte.

Eine ganze Stunde lang, berichtete K., habe er den Mann "deutlich und intensiv befragt, ich habe ihm richtig auf den Zahn gefühlt, denn der Vorwurf im Raum, der hatte schon was". Schließlich sei ihm klar gewesen, dass an der Geschichte des Zeugen M. nichts dran war. Er habe daher entschieden, mit einem "starken Dementi" an die Öffentlichkeit zu gehen.

"Wir dachten, dass das der beste Weg wäre, diese Dinge aus der Welt zu schaffen", bekam der Ausschuss von einem anderen Teilnehmer der damaligen Krisenrunde zu hören, Ministerialrat Jens K.. Nach dessen Ansicht war die massive Reaktion des Ministeriums wegen der "absehbaren Pressewelle" geboten: "Im Raum stand, dass ein Bundesminister des Inneren die Anweisung erteilt, eine Quelle totzuschreiben." Und "wenn bestimmte Dinge mit einem gewissen Drive den Weg in die Presse gefunden haben", dann besage seine Erfahrung, "dass man das nicht so schnell wieder ausgeräumt kriegt".

Indes, gerade das ist auch in diesem Fall nicht gelungen. Vielmehr hat sich in der interessierten Öffentlichkeit längst doch eher die Ansicht durchgesetzt, dass die Version des Zeugen M. zutrifft und das Dementi nicht. So mussten sich die Vertreter des Ministeriums im Ausschuss anhören, sie hätten die Reputation eines nordrhein-westfälischen Beamten beschädigt, um ihren Mann im Bundeskriminalamt zu decken.