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Anhörung : »Die Krise ständig mitdenken«

Experten sehen den Katastrophenschutz in Deutschland zwar gut aufgestellt, Nachholbedarf aber unter anderem beim Schutz vor Pandemien

20.01.2020
2023-08-30T12:38:12.7200Z
3 Min

Insbesondere der Klimawandel, aber auch mögliche Cyber-Attacken und die weltweiten Migrationsbewegungen stellen den Zivil- und Katastrophenschutz in Deutschland vor neue Herausforderungen. Dies war in der vergangenen Woche der Tenor einer Expertenanhörung im Innenausschuss. Insgesamt sei die Infrastruktur zur Abwehr von Gefahren für die Bevölkerung "gut aufgestellt" und gelte als weltweit vorbildlich, hieß es. Dennoch gebe es Handlungs- und Nachholbedarf in wesentlichen Bereichen. Gegenstand der Anhörung waren ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel "Vorsorgestrukturen ausbauen - Ehrenamt in Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken" (19/8541) sowie Berichte der Bundesregierung zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2017 (19/9520) und 2018 (19/9521).

Der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) und heutige Vorsitzende des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, Albrecht Broemme, nannte in diesem Zusammenhang die Abwehr einer möglichen Pandemie, einer "eskalierenden" Erkrankungswelle, als Schwachstelle des Zivilschutzes. Nachrüstungsbedarf bestehe auch gegen die Bedrohung durch ABC-Waffen. Hier sei derzeit die "Reaktionsfähigkeit schwach ausgebaut". Insgesamt gelte: "So gut, wie der Katastrophenschutz aufgestellt ist, sollten wir ihn nicht schlechtreden, aber einige Punkte kritisch sehen." Der amtierende THW-Präsident Gerd Friedsam mahnte eine Ertüchtigung seiner Organisation insbesondere in den Bereichen der Notstrom- und der Trinkwasserversorgung an. Das THW müsse in der Lage sein, im Katastrophenfall "systemrelevante Einrichtungen zuverlässig mit Strom" zu beliefern. Angesichts der mit dem Klimawandel zunehmenden Gefahr lang anhaltender Dürreperioden seien auch die Kapazitäten auf dem Feld der Trinkwasserbeschaffung und -aufbereitung zu erweitern.

Vollkasko-Mentalität Der Berliner Landesbranddirektor Karsten Homrighausen beklagte eine "Vollkasko-Mentalität" in Teilen der Gesellschaft. Schon bei der "erstbesten Störung" ertöne der Ruf nach dem Staat. Dagegen seien die Eigenverantwortung und die "Selbsthilfefähigkeit" der Menschen stärker zu betonen und einzufordern. Der Staat allein könne nicht alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Auf "Störungen" vorbereitet zu sein, sei auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Um diesen Gesichtspunkt stärker ins Bewusstsein zu heben, bedürfe es eines "gesellschaftlichen Dialogs". Als großes Problem der Einsatzkräfte nannte Homrighausen die Nachwuchsgewinnung. Der Katastrophenschutz-Beauftragte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Frank Jörres, erinnerte an die verheerenden Waldbrände der jüngsten Zeit zur Begründung seiner Forderung, den "Bevölkerungsschutz neu zu denken". Jörres mahnte, Vorsorgestrukturen auszubauen und das Ehrenamt zu stärken. Der "Betreuungsbereich", also die Notunterbringung und Versorgung von Betroffenen einer Katastrophe, sei das "Stiefkind des Bevölkerungsschutzes". Jörres zitierte die Faustformel, dass der Staat Notunterkünfte für zwei Prozent der Bevölkerung, in Deutschland also 1,6 Millionen Menschen, vorhalten sollte. Es sei nicht damit getan, die Alltagsversorgung zu optimieren: "Wir müssen die Krise ständig mitdenken."

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Christoph Unger, wies auf politische Entscheidungen hin, die den Erfordernissen des Zivilschutzes zuwiderliefen. So gebe es derzeit eine Tendenz, Krankenhauskapazitäten abzubauen. Diese würden im Katastrophenfall aber dringend gebraucht. Auch Unger sprach sich für eine "formale Stärkung der Bundeskompetenz" im Zivilschutz aus. Der ehemalige Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Helmut Ziebs, machte auf "erhebliche Defizite" in der Bevorratung mit Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen aufmerksam. Auch er befürwortete eine "Rahmenkompetenz" des Bundes im Katastrophenschutz.