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GEWEBESPENDE : Neue Hoffnung schenken

Manche schwer kranken Patienten können mit Hilfe von Transplantationen geheilt werden

20.01.2020
2023-08-30T12:38:12.7200Z
6 Min

Wenig beachtet von der breiten Öffentlichkeit werden jedes Jahr Tausende von Gewebespenden transplantiert. Das Thema spielt in der Diskussion über Organspenden meist eine nachrangige Rolle. Bisweilen entsteht der Eindruck, die Gewebespendenpraxis werde verschämt verschwiegen, obwohl gespendete Gewebe für die Empfänger doch vergleichbar segensreich sind wie gespendete Organe und die Abläufe im Gewebegesetz von 2007 klar geregelt sind. Woran liegt das?

Womöglich hängt es mit verstörenden Geschichten zusammen, die immer mal wieder auftauchen und den Eindruck erwecken, dieser Teil der Spendenpraxis sei weniger kontrolliert, weniger reguliert und somit anfällig ist für eine als unethisch empfundene Behandlung toter Körper.

Organ- und Gewebespenden hängen miteinander zusammen, denn Gewebespenden stammen auch von Organspendern. Für die Gewebespende ist eine separate Zustimmung erforderlich. In den konkurrierenden Vorschlägen für eine Organspendenreform wurden Gewebespenden jeweils mit aufgeführt.

Im Organspendenausweis ist die "Spende von Organen/Geweben" in allen möglichen Varianten, von Zustimmung bis Ablehnung, gemeinsam genannt. Eine separate Ablehnung allein der Gewebespende ist nicht vorgesehen. Das ist womöglich ein Manko, wenn Menschen zwar Organe, aber keine Gewebe spenden möchten und dann den Ausweis nicht ausfüllen.

Unterschiedlicher Ablauf Im Flyer zum Organspendenausweis der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind Organ- und Gewebespende getrennt voneinander erklärt. Die dort aufgeführte Liste der möglichen Gewebespenden ist deutlich länger als die der Organspenden und zeigt, dass der menschliche Körper weit mehr "Ersatzteile" bietet, als Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse oder Darm.

Abgesehen davon, dass sich mit den Gewebespenden die medizinischen Optionen vergrößern, bestehen zwischen der Organ- und Gewebespende deutliche Unterschiede, und das nicht nur ihr "Image" betreffend, auch der medizinische Ablauf ist verschieden. Während die Organspende zentral über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) koordiniert wird, ist die Gewebespende dezentral, aber ebenfalls gemeinnützig organisiert.

Haltbarkeit Mögliche Gewebespenden sind viel zahlreicher als Organspenden und einfacher zu handhaben, denn sie können nach Angaben von Experten teilweise sogar noch bis zu 72 Stunden nach dem Tod eines Menschen entnommen und aufbereitet werden, auch noch nach dem Herz-Kreislauf-Tod. Die Organspende ist in Deutschland medizinisch an eine vorherige Hirnschädigung und die darauf folgende Hirntod-Diagnose (Irreversibler Hirnfunktionsausfall) gebunden. Spenden nach Herzstillstand sind nicht erlaubt. Die Hirntod-Diagnostik ist aufwendig und muss von zwei Fachärzten unabhängig voneinander bestätigt werden. Sind sämtliche Hirnfunktionen des Patienten unumkehrbar ausgefallen, gilt der Tod als sicher festgestellt.

Kleines Zeitfenster Organe können nur in einem kleinen Zeitfenster für eine Transplantation entnommen werden, solange das Herz-Kreislauf-System aufrechterhalten werden kann und die Organe durchblutet bleiben. Wie lange der Kreislauf künstlich stabil gehalten werden kann, ist nicht sicher vorherzusagen, daher ist in jedem Fall Eile geboten. Da die Hirntod-Diagnose selten vorkommt, ist auch die Zahl der potenziellen Spender schon deswegen gering, von den weiteren nötigen Voraussetzungen mal abgesehen. Für eine Gewebespende kommen hingegen theoretisch fast alle Verstorbenen in Betracht, weil Gewebe auch nach dem Herz-Kreislauf-Tod noch gewonnen werden können. Das Alter der Spender spielt zudem eine nachrangige Rolle, feste Altersgrenzen gibt es nicht.

Gespendet werden können Horn- und Lederhaut der Augen, Herzklappen, Haut, Blutgefäße, Knochen-, Knorpel- und Weichteilgewebe sowie Gewebe, das aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) oder der Leber gewonnen wird.

Gewebebanken Auch für eine Gewebespende ist der sicher festgestellte Tod zwingende Voraussetzung. Spender werden auf absolute Kontraindikationen oder gewebespezifische Ausschlussgründe sowie mögliche Infektionskrankheiten hin untersucht. Speziell geschulte Mitarbeiter der Gewebeeinrichtungen entnehmen die Gewebe.

Für eine Hornhautspende wird zum Beispiel das gesamte Auge entnommen und später durch eine Prothese ersetzt. Die Angehörigen des Spenders sollen gar nicht erkennen können, dass Gewebe entnommen wurden, oder sich gar erschrecken. Ästhetik und Ethik spielen hier eine herausgehobene Rolle.

Nach der Entnahme werden die Gewebe in einer Gewebebank aufbereitet und für eine mögliche Transplantation gelagert. Über das Land verteilt gibt es viele spezialisierte Einrichtungen, sodass Gewebespenden fast überall möglich sind.

Wie aus dem Bericht der Bundesregierung über die Versorgung der Bevölkerung mit Gewebe und Gewebezubereitungen von November 2018 hervorgeht, werden Gewebe in drei überregionalen Multi-Gewebeeinrichtungen, 22 Knochenbanken, rund 130 lokalen Knochenbanken, 28 Augenhornhautbanken und fünf kardiovaskulären Gewebeeinrichtungen zubereitet. Die Zahl der meldepflichtigen Gewebeeinrichtungen ist seit Einführung der Meldepflicht 2007 von damals 349 auf 1.427 im Jahr 2017 gestiegen.

Die unabhängige Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) mit Sitz in Hannover wurde 2007 als gemeinnütziges Unternehmen gegründet und ist heute das größte Netzwerk der Gewebemedizin hierzulande, das Kliniken und Gewebebanken umfasst. Die Gesellschaft versorgt nach eigenen Angaben mehr als 120 Transplantationsprogramme mit Augenhornhäuten, 35 Kliniken mit Herzklappen und Blutgefäßen sowie etwa 40 Einrichtungen mit Amnionpräparaten.

Wertvolle Lebendspende Das Amnion ist Teil der Fruchtblase und kann bei der (Kaiserschnitt)-Geburt eines Kindes aus der Plazenta gewonnen werden, es handelt sich also um eine Lebendspende. Aufbereitete Amnionmembrane werden aufgrund ihrer heilungsfördernden Wirkung bei der Versorgung von Verbrennungswunden und in der Augenchirurgie genutzt.

Andere Gewebe-Lebendspenden sind die Vollblut- oder Knochenspende. Patienten können bei einer Hüftgelenksoperation zustimmen, dass der abgenutzte Hüft- oder auch Femurkopf (Caput femoris), der durch ein künstliches Hüftgelenk ersetzt wird, zu einem Knochentransplantat aufbereitet wird. Auch bei einer Herztransplantation können einzelne Herzklappen des Patienten als Lebendspende weitergegeben werden, während der Klappenspender selbst ein neues Organ erhält. Postmortal kommt eine Herzklappenspende nur in Betracht, wenn das gesamte Herz nicht transplantiert werden kann, wobei immer die Regel angewendet wird: Organspende geht im Zweifel vor Gewebespende. Bei Herzoperationen werden sowohl gespendete Pulmonal- wie auch Aortenklappen implantiert.

Hilfe für Unfallopfer In den meisten Fällen werden Gewebe postmortal gespendet. Arterien oder Venen von Verstorbenen werden bei Notfalloperationen eingesetzt. Die transplantierte Augenhornhaut kann Menschen zu neuer Sehfähigkeit verhelfen. Aufbereitet werden auch Bein- und Armknochen, Knorpel, Sehnen, Bänder und Haut. Knochenspenden werden bei Unfallopfern eingesetzt, bei Patienten mit einem Knochenverlust nach einer Operation oder aufgrund eines Tumors. Bei Tumorerkrankungen können auf diese Weise sogar Amputationen vermieden werden. Knochenspenden werden aber auch teilweise zerschnitten und gemahlen und sodann als Gewebezubereitungen angeboten, sie gelten dann als Arzneimittel und dürfen kommerziell vertrieben werden. Ansonsten ist der Handel mit Organ- und Gewebespenden laut Transplantationsgesetz (TPG) verboten.

Einige Engpässe Die Zahl der gespendeten Gewebe übersteigt die der Organe um ein Vielfaches. Gleichwohl kommt es immer wieder zu Engpässen, so etwa bei Augenhornhäuten, die tendenziell stark nachgefragt werden, und bei Herzklappen, obwohl in der Herzchirurgie auch auf künstliche oder tierische Implantate gesetzt wird. Bei biologischen Klappen ist das Risiko für eine Embolie geringer, dafür halten tierische Klappen nicht so lange. Mechanische Herzklappen haben eine hohe Lebensdauer, die Patienten müssen jedoch dauerhaft Gerinnungshemmer einnehmen. Die Aortenklappenstenose (Verengung) ist aufgrund der immer älter werdenden Menschen mittlerweile eine der häufigsten Gründe für eine Herzoperation.

Der Mangel an Herzklappen hängt auch mit den schwachen Organspenderzahlen zusammen, da sie zu einem Großteil aus nichttransplantierbaren Organen stammen. Eine zentrale Warteliste wie bei Organen gibt es für Gewebe nicht. Gespendete Gewebe werden nach Dringlichkeit, Erfolgsaussicht und Wartezeit an Patienten vermittelt, Notfälle gehen vor.

Die unlängst veröffentlichen Zahlen der DGFG für 2019 weisen auf eine leicht steigenden Tendenz bei den Gewebespenden hin. Laut DGFG spendeten 2019 im Netzwerk 2.753 Menschen (2018: 2.732) ihr Gewebe, wodurch 5.740 Gewebe zur Transplantation vermittelt werden konnten.

Insgesamt gingen den Angaben zufolge im vergangenen Jahr 39.132 Meldungen über potenzielle Spender aus den Kliniken im Netzwerk der DGFG ein. Beauftragte in den Kliniken führten 7.565 Gespräche, um über die Spende aufzuklären. Im Schnitt lag die Zustimmungsrate der Angehörigen letztlich bei rund 40 Prozent.

Treibende Kraft für diese positive Entwicklung seien die Gewebespende-Koordinatoren in Kliniken, die beim Spenderscreening, den Angehörigengesprächen, der Gewebeentnahme und bei der Klärung datenschutzrechtlicher Fragen Unterstützung gewährten.