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wirecard : Prüfer mit Aktien

Im Ausschuss bekennt ein führender Aufseher, selbst mit Wirecard-Papieren gehandelt zu haben

14.12.2020
2023-08-30T12:38:27.7200Z
4 Min

Es war die Abgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD), die kurz nach Mitternacht die entscheidende Frage stellt: "Haben Sie Wirecard-Aktien?" Der Zeuge Ralf Bose zögert. Er ist Leiter der Wirtschaftsprüferaufsichtsstelle (Apas), die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt ist. Bisher hatte er in der Befragung mit lockeren Antworten eine gute Figur gemacht, aber er ahnt, dass seine Antwort der Vernehmung nun eine neue Richtung geben wird. "Nein", sagt er zunächst. Dann fügt er noch etwas leiser hinzu: "Nicht mehr."

Es war in diesem Augenblick klar, dass das Eingeständnis eines führenden deutschen Wirtschaftsaufsehers, in der Vergangenheit mit Wirecard-Aktien gehandelt zu haben, eine Flut von Nachfragen auslösen würde. Tatsächlich wurde es eine lange Nacht für die Abgeordneten des 3. Untersuchungsausschusses, bis die Vorgänge einigermaßen sortiert und eingeordnet waren.

Der Fall Wirecard ist einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Das Unternehmen aus Aschheim bei München galt spätestens mit seinem Aufstieg in den Deutschen Aktienindex Dax Ende 2018 als Star der deutschen Wirtschaftswelt. Im Juni 2020 folgte der tiefe Fall: Das Management musste zugeben, dass Milliardensummen aus der Bilanz auf Betrug beruhten. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch die traumhaften Gewinne erlogen waren. Der Fall hat jedoch auch eine politische Seite: Wie konnten die deutschen Institutionen so bei der Aufsicht versagen? Und warum hat die Politik das Unternehmen noch gedeckt, als die Zweifel an seiner Seriosität sich bereits verdichteten?

Die Sitzung am vergangenen Donnerstag hat sich ausschließlich mit einer speziellen Frage der Finanzaufsicht befasst: Der staatlichen Überwachung der privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Eigentlich wollten die Abgeordneten daran arbeiten, eines der großen Rätsel des Skandals zu ergründen: Wie konnte die große Abschlussprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) der Wirecard AG viele Jahre lang saubere Bilanzen bescheinigen, wenn der Löwenanteil der Umsätze und der ganze Gewinn durch Kreisgeschäfte aufgebläht war?

Dazu konnte Bose letztlich nur wenig beitragen, denn in seiner Behörde läuft das Verfahren gegen EY noch. Die Abgeordneten fragten stattdessen intensiv nach, warum er das Verfahren erst im Mai 2020 eröffnen ließ, als der desaströse Zustand von Wirecard schon offen zutage lag. Schließlich gab es im Frühjahr 2019 schon starke Verdachtsmomente: Artikel in der britischen Zeitung "Financial Times" legten Elemente der Betrugsgeschäfte offen. Außerdem meldete sich der Deutschland-Vorstand von EY überraschend bei Bose mit einem Telefontermin, indem er die Unregelmäßigkeiten erläutern wollte.

Hochverdächtig? Nicht für Bose und sein Team. Sie gaben sich mit dem Versprechen von EY zufrieden, die Unregelmäßigkeiten zusammen mit Wirecard rasch aufzuklären. "Damit war der Fall für uns erledigt", sagte Bose.

Diese Art der Aufsicht basiere zu sehr auf Vertrauen, klagte der Abgeordnete Jens Zimmermann (SPD). Die Apas habe es ganz dem überwachten Unternehmen überlassen, die Zweifel auszuräumen. Sie habe nach Bekanntwerden der immer neuen Vorwürfe immer wieder abgewartet. Sie habe abgewartet, was die Bafin über den Fall herausfindet. Sie habe abgewartet, wie EY die Unregelmäßigkeiten erklären würde. Später habe sie gewartet, was ein Sonderbericht der parallel eingeschalteten Prüfungsfirma KPMG zutage bringt.

Sensation Doch diese Fragen wurden schnell von der kleinen Sensation mit Boses Aktiengeschäften überlagert. Dieser hatte nach eigener Angabe am 28. April 2020 ein großes Paket Wirecard-Aktien geordert und am 20. Mai wieder verkauft. Eine kurze Zeitspanne, in der er zudem nur Verlust gemacht hat. Beide Daten fallen mit ersten Meilensteinen der Aufklärung des Skandals zusammen. Ende April hat eine weitere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, KPMG, einen Bericht veröffentlicht, der den Betrugsverdacht erhärtet. Im Mai hat die deutsche Finanzaufsicht Bafin den Apas-Beamten, darunter Bose, weitere Details aus dem vertraulichen Teil des Berichts erläutert. Bose hat zwar, wenn seine Darstellung richtig ist, eher eine Dummheit gemacht als ein erfolgreiches Insider-Geschäft. Aber der ganze Vorgang weckte enormes Misstrauen beim Ausschuss.

Die verschiedenen Ausschussmitglieder hatten unterschiedliche Probleme mit Boses Verhalten. Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD) zeigte sich erschrocken über den Anschein der Korruption, der sich hier ergab. Fabio De Masi (Die Linke) verwies auf die Außenwirkung: Anleger verlieren ihr Geld, Aufsichtsbeamten zocken mit der Aktie. Die Abgeordneten Jens Zimmermann (SPD) und Florian Toncar (FDP) zeigen sich vor allem erstaunt von Boses Naivität in Finanzdingen. Dieser hatte selbst bei KPMG gelernt und leitet die Apas seit ihren Anfangstagen. Wie konnte er glauben, mit Wirecard noch Gewinn machen zu können, wenn sich der ganze Betrieb gerade als Luftnummer herausstellte? Für Toncar war Boses Instinktlosigkeit eine Erklärung dafür, warum er schon 2019 die Indizien für Betrug nicht ernst genommen hat.