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USA : Hoffnung für ein schwer krankes Land

Die Impfstoffe gegen Corona in dem riesigen Land zu verteilen, ist eine große logistische Herausforderung

21.12.2020
2023-08-30T12:38:28.7200Z
4 Min

Sandra Lindsay kniff nicht einmal die Augen zusammen, als die Nadel in ihren Arm fuhr. "Das fühlt sich auch nicht anders an als jede andere Spritze", sagte die Pandemie-gestählte Notkrankenschwester , die in einem der am schlimmsten vom Virus betroffenen New Yorker Krankenhäuser arbeitet. Doch natürlich wusste auch Lindsay, dass dies keine Impfung wie jede andere war. Die Krankenschwester wurde vergangene Woche feierlich als erste Amerikanerin offiziell mit dem Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer versorgt, der nun bevorzugt an Angestellte im Gesundheitswesen und an Bewohner von Altersheimen vergeben wird. "Ich hoffe, dass dies den Beginn der Heilung für unser Land bedeutet", sagte Lindsay.

Viele Tote Eine Heilung brauchen die USA dringend. Nordamerika steckt mitten in einem neuen Schub der Covid-Pandemie. Rund 200.000 Menschen infizieren sich derzeit im Schnitt jeden Tag, die Zahl der Toten liegt bei etwa 3.000 täglich. Vor kurzem haben die USA die traurige Marke von mehr als 300.000 Covid-Toten überschritten. Der Vertrieb der ersten Impfungen lässt das Land, das schwerer als jedes andere westliche Land unter der Pandemie leidet, Hoffnung schöpfen. "Ich glaube daran, dass dies die Waffe ist, die den Krieg beenden wird", sagte der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo. Sein Kollege Gavin Newsom in Kalifornien warnte jedoch davor, sich all zu früh in Sicherheit zu wiegen. "Wir sind noch lange nicht am Zielstrich", sagte Newsom, nachdem auch die ersten Ärzte und Krankenschwestern in Kalifornien den Impfstoff erhalten hatten.

Kalifornien ist der bevölkerungsreichste Staat der USA und gleichzeitig einer jener Staaten, die von der jüngsten Infektionswelle am stärksten betroffen ist. Erst Anfang Dezember brach Kalifornien seinen eigenen nationalen Rekord mit 22.369 Neuinfektionen pro Tag. Im Durchschnitt sterben im Staat mehr als 100 Menschen pro Tag an Covid. Insgesamt sind bereits mehr als 21.000 Kalifornier seit Beginn der Pandemie gestorben. Um diese Statistiken zu drücken, das weiß Newsom, wird kurzfristig nicht annähernd genug Impfstoff zur Verfügung stehen. Deshalb verhängte Newsom Anfang Dezember einen erneuten Lockdown über den Staat.

Keine schnellen Erfolge Bis die Impfungen die Verbreitung des Virus eindämmen, dauert es selbst nach optimistischen Schätzungen noch Monate. Anthony Fauci, Direktor des nationalen Gesundheitsamts NIH, glaubt, dass mehr als 50 Prozent der Bevölkerung geimpft werden müssen, bevor die Ausbreitung des Virus "signifikant" verlangsamt wird. Soweit, glaubt Fauci, werden die USA frühestens im nächsten Sommer sein. Bis das Leben wieder zur Normalität zurückkehren kann, meint Fauci, dürfte es bis Ende des kommenden Jahres dauern.

Der Pharmakonzern Pfizer, der bislang das einzige zugelassene Präparat anbietet, will bis zum Jahresende 25 Millionen Dosen zur Verfügung stellen. Angesichts der Tatsache, dass jeder Patient zwei Injektionen braucht, ist dies jedoch in einem Land mit mehr als 330 Millionen Menschen bestenfalls ein Anfang. Die US-Regierung hat bei Pfizer 100 Millionen Dosen vorbestellt. Eine Option auf weitere 100 Millionen hat die Regierung aus Kostengründen ausgeschlagen. Die Trump-Regierung musste dafür massive Kritik einstecken.

Doch es gibt Hoffnung. In Kürze soll das Präparat der Firma Moderna ebenfalls genehmigt werden. Der Moderna-Impfstoff war in Tests zwar weniger effektiv als das Präparat von Biontech/Pfizer. Er kann dafür wesentlich leichter transportiert werden. Der Biontech/Pfizer-Wirkstoff muss auf minus 70 Grad gekühlt werden, die Firma hat deshalb spezielle Transportcontainer entworfen.

Logistische Probleme Das stellt die Gesundheitsbehörden vor massive logistische Probleme. Der Impfstoff muss auf Trockeneis transportiert werden und möglichst schnell zum Patienten gelangen. Dabei dürfen die Kühlcontainer nur ein bis zwei Mal pro Tag geöffnet werden. Um den Vertrieb zu ermöglichen, musste die US-Bundesregierung den Fluggesellschaften Sondergenehmigungen erteilen, damit Trockeneis transportiert werden darf, das sonst in der Luftfahrt verboten ist. Der Bodentransport wird von den großen Logistik-Dienstleistern UPS und FedEx übernommen, die versprochen haben, den Impfstoff mit Vorrang zu transportieren.

Die Hindernisse für einen effektiven Vertrieb sind jedoch damit noch nicht zu Ende. Bislang klagen die Staaten darüber, dass sie von der Bundesregierung keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um die Impfungen organisieren zu können. Die Staaten benötigen 8,4 Milliarden Dollar, um Ärzte und Krankenschwestern auszubilden und Daten über die Impfungen zu erheben und zu verwalten. Bislang sind jedoch lediglich 350 Millionen Dollar angekommen. Unklar ist, wie die Impfungen in der Bevölkerung ankommen. Laut einer Erhebung des Pew Research Instituts wollen sich 18 Prozent der Amerikaner nicht impfen lassen, weitere 21 Prozent sind zurückhaltend.

Immerhin hat der künftige US-Präsident Joe Biden signalisiert, dass er die Rolle der Bundesregierung im Kampf gegen das Virus ernster nehmen wird als sein Vorgänger. So will er die Bundesbehörde zur Seuchenbekämpfung, CDC, die Trump entmachtet hat, wieder stärken. Zudem plant er, ein Expertengremium unter Leitung von Fauci zu gründen, das bundesweite Empfehlungen ausspricht.

Doch die Mittel, die dem Präsidenten zur Verfügung stehen, um die Pandemie einzudämmen, sind begrenzt. Um etwa mehr Gelder für die Implementierung des Impfprogramms zu erhalten, braucht Biden die Zustimmung des Kongresses. Eine Mehrheit im Senat für seine Partei hängt jedoch an der Stichwahl in Georgia im Januar.

Ansonsten kann Biden nur Empfehlungen aussprechen. Der Beschluss spezieller Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung liegt bei den Bundesstaaten. So sprechen sich Florida und Texas, anders als Kalifornien, trotz explodierender Infektionszahlen weiterhin gegen schärfere Einschnitte aus. Daran würde auch Biden nichts ändern können.

Der Autor ist Journalist in New York.